Korallenriffe

Rettende Wimpernschläge

Steinkorallen nutzen einen raffinierten körpereigenen Ventilator, um sich vor Umweltstress zu schützen
[23. August 2022] 

Sterbende Riffe und einstmals bunte Korallenstöcke, die jede Farbe verloren haben: Der Klimawandel setzt den Architekten der Unterwasser-Städte massiv zu. Die sogenannte Korallenbleiche greift durch das wärmer werdende Wasser immer weiter um sich. Doch nicht alle Korallen reagieren darauf gleich empfindlich. Ein internationales Team um das Alfred-Wegener-Institut und das Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie hat nun eine mögliche Erklärung dafür: Mithilfe von winzigen Flimmerhärchen können Korallen die Strömungsverhältnisse in ihrer Umgebung beeinflussen und sich so vor schädlichen Sauerstoffkonzentrationen schützen, berichten die Forscher im Fachjournal Current Biology.

Korallenriffe gehören nicht nur zu den artenreichsten Ökosystemen der Erde, sondern auch zu den wirtschaftlich wichtigsten. „Sie spielen zum Beispiel eine große Rolle für die Fischerei und den Tourismus“, sagt Moritz Holtappels. „Und als Wellenbrecher leisten sie sehr gute Dienste für den Küstenschutz.“ Entsprechend große Sorgen machen sich Fachleute um den Zustand der wertvollen Unterwasserstädte. Denn diese werden gleich von mehreren Seiten in die Zange genommen: Die Überdüngung und Versauerung der Ozeane machen ihnen ebenso zu schaffen wie eine zu intensive Fischerei. Und der Klimawandel führt immer häufiger zu den gefürchteten „Korallenbleichen“.

Diese entstehen, wenn den Baumeistern der Riffe das Wasser zu warm wird. Die meisten der kleinen Polypen, die diese beeindruckenden Kalkgebilde schaffen, leben in einer Symbiose mit Algen aus der Gruppe der Dinoflagellaten zusammen. Sie bieten diesen Organismen Schutz und bekommen im Gegenzug energiereichen Zucker und andere Produkte, die ihre Untermieter mithilfe des Sonnenlichts aus Kohlendioxid und Wasser herstellen. Dieser Photosynthese genannte Prozess aber wird bei zu hohen Temperaturen zum Problem. Statt die Korallen mit Energie zu versorgen, setzen die Algen dann sogar schädliche Substanzen frei. Also werfen die Polypen ihre Mitbewohner hinaus, der Korallenstock verliert seine Farbe – und stirbt dann oft ganz ab. „Dem fallen allerdings nicht alle Korallen eines Riffs zum Opfer“, erklärt Cesar Pacherres. „Einige bleichen schnell, andere gar nicht.“ Was aber steckt hinter diesen Unterschieden?

Um das herauszufinden, haben die Forscher das komplexe Zusammenleben zwischen der Steinkoralle Porites luteaund ihren grünen Mitbewohnern genauer unter die Lupe genommen. Eines der Probleme der Unterwasser-Wohngemeinschaft besteht demnach darin, dass bei der Photosynthese der Algen jede Menge Sauerstoff frei wird. Der ist zwar für die meisten Tiere und Pflanzen lebenswichtig. Zu viel davon kann aber gerade in warmem Wasser auch gefährlich werden. Denn bei zu hohen Konzentrationen verarbeitet der Photosynthese-Apparat der Algen verstärkt Sauerstoff statt Kohlendioxid. Das führt nicht nur zu einer weniger effektiven Energiegewinnung, es entstehen dabei auch gefährliche Sauerstoff-Radikale, die Zellen schädigen können. „Bei viel Sonnenlicht haben Korallen ein Problem, den überschüssigen Sauerstoff loszuwerden“, erklärt Cesar Pacherres. „Geringe Wasserbewegung und hohe Temperaturen fördern diesen sogenannten oxidativen Stress, der als Hauptursache für die Korallenbleiche gilt.“

Mit neuen Untersuchungsmethoden sind die Forscher nun der Spur des Sauerstoffs gefolgt. Dabei haben sie festgestellt, dass sich dessen Produzenten in den untersuchten Korallen keineswegs gleichmäßig verteilen. In manchen Bereichen sind die Algen viel dichter gesät als in anderen. „Wir hatten erwartet, dass wir über diesen Hotspots der Photosynthese auch die höchsten Sauerstoffkonzentrationen im Wasser finden würden“, sagt Soeren Ahmerkamp. „Überraschenderweise war aber genau das Gegenteil der Fall.“

Das steht im Gegensatz zur gängigen Theorie über den Stoffaustausch zwischen Korallen und ihrer Umgebung: Bisher hatte man nämlich angenommen, dass freigesetzte Substanzen beim Verlassen des Gewebes einfach durch Diffusion von den Regionen mit hoher zu solchen mit niedriger Konzentration wandern. Dann aber hätte sich dort am meisten Sauerstoff finden müssen, wo auch am meisten produziert wurde. Ein anderes Muster kann nur entstehen, wenn die Korallen das Element aktiv woanders hin transportieren. Und dank ausgeklügelter Überwachungstechnik wissen die Forscher inzwischen auch, wie sie das machen.

„Der Trick besteht darin, dass die Flimmerhärchen auf der Oberfläche der Korallen durch koordiniertes Schlagen kleine Wirbel erzeugen“, erläutert Soeren Ahmerkamp. Auf diese Weise können die Polypen die Strömung so beeinflussen, dass sie die Bereiche mit vielen Algen gezielt belüften. Dabei führen sie von oben sauerstoffarmes Wasser aus der Umgebung neben die Flecken mit den höchsten Algendichten. Dort wird es mit Sauerstoff beladen. Der aufsteigende Ast des folgenden Wirbels fließt dann wieder von den Korallen weg und entlässt seine Fracht ein Stück weiter oben ins Meer. Mithilfe eines Computermodells haben die Forscher das Zusammenspiel von Diffusion und Wimpernschlag an der Korallenoberfläche simuliert. Durch die Wirbel in der Nachbarschaft der Algen kann die Steinkoralle den Bereich mit kritischen Sauerstoffkonzentrationen demnach um die Hälfte reduzieren.

„Die festsitzenden Korallen sind also nicht auf Gedeih und Verderb der Meeresumwelt ausgeliefert, wie man bisher gedacht hat“, resümiert Moritz Holtappels. Den Stoffaustausch mit ihrer Umgebung gezielt zu beeinflussen und überschüssigen Sauerstoff wegzufächeln, kann für die Tierchen lebenswichtig sein – vor allem, wenn sie in Meeresregionen mit wenig Strömung wachsen. Allerdings ist dieses ausgeklügelte Ventilationssystem vermutlich nicht bei allen Korallen gleich gut ausgebildet. Das könnte erklären, warum manche bei widrigen Bedingungen so viel stärker ausbleichen als andere.

Originalpublikation

Cesar O. Pacherres, Soeren Ahmerkamp, Klaus Koren, Claudio Richter und Moritz Holtappels: Ciliary flows in corals ventilate target areas of high photosynthetic oxygen production. Current Biology (2022). DOI: https://doi.org/10.1016/j.cub.2022.07.071

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