Gletscher entstehen durch Niederschlag von Schnee aus der Atmosphäre. Die den Niederschlag bildenden Luftmassen verändern ihre physikalischen und chemischen Eigenschaften auf ihrem Weg. Verdampfung, biogeochemische Prozesse, Vulkanausbrüche und Staubwirbel bringen Wasserdampf, reaktive Spurengase und Aerosole in die Atmosphäre. Die gemessene Konzentration der chemischen Verunreinigungen, die Größenverteilung der Aerosole und die Verhältnisse der stabilen Wasserisotope im Schnee beziehen sich auf die oben genannten Prozesse und sind Proxy-Parameter für den Zustand der Bio-Geo-Sphäre zum Zeitpunkt der Schneebildung. Der vergangene Schnee verwandelt sich in Gletschereis und ist an geeigneten Stellen in den polaren Eisschilden zum Teil ungestört geschichtet, was eine kontinuierliche Rückreise in die Zeit mit der Tiefe ermöglicht. Im Gegensatz zu anderen Klimaarchiven schließt polarer Firn (mindesten 2 Jahre alter Schnee) direkt die alte Luft in Bläschen ein, was ein einzigartiger Zugang zu direkten Proben aus der Paläoatmosphäre ist.

Ein weiterer Schwerpunkt der Eiskernforschung am AWI ist die Untersuchung der physikalischen Eigenschaften des erborten Materials. Dabei interessiert besonders das mechanische Verhalten, da dieses sich direkt auf die Deformation der Eismassen und damit auf die Bewegung des Eises Richtung Ozean auswirkt. Die wichtigste Rolle spielt dabei die hohe Anisotropy der Minerals Eis, die anhand der optischen Anisotropie gut messbar ist (Polarisationsmikroskopie). In Kombination mit weiteren Parametern auf der mikroskopischen Ebene, sowie Mikrokartierung dieser Parameter ermöglicht dies die Identifikation und Abschätzung der relevanten Prozesse (Deformation und Rekrisatllisation). Großräumigere Spuren zur Deformation lassen sich in von Ablagerungsschichten (Stratigraphie) finden, beobachtet im Dunkelfeld am sonst transparenten Eis. Die Verbindung beider Felder (Paläoklima und mechanisches Verhalten von Eis) ist ein gemeinsamer und weltweit einzigartiger Fokus am AWI.

Sowohl die Rekonstruktion paläoklimatischer Aufzeichnungen als auch das Verständnis zur Entwicklung von Eisschilden benötigen ein tiefes Verständniss der relevanten Prozesse im Eis. Neben paläoklimatischen Rekonstruktionen auf Basis der physikalischen und chemischen Standardparameter konzentrieren wir uns in unseren Prozessstudien auf die Verdichtung und Lufteinschlüsse im polaren Firn und den Einfluss von Mikrostrukturen auf die Verformungseigenschaften des Eises. Für diese Studien ergänzen wir den Satz von Standardparametern durch ausgefeilte und teilweise weltweit einzigartige Analysetechniken wie iceCT, cryo-Ramanspektroskopie und Fabric Analyzer.

Die Eisschilde (bis zu 4km dick) werden durch das Bohren von Eiskernen z.T in ihrer gesamten Mächtigkeit beprobt. Die dielektrischen Eigenschaften entlang eines Eiskerns ermöglichen es, den Eiskern mit den geophysikalischen Profilen in ihrer jeweiligen Umgebung zu verbinden und damit mit der Beobachtung des gesamten Eisschildes zu vervollständigen.