PS126 - 1. Wochenbericht | 24. - 31.05.2021

Freiheit!

[02. Juni 2021] 

Endlich ist es so weit: Nach 10 Tagen der Corona-Quarantäne in einem Bremerhavener Hotel durften wir am Pfingstmontag, dem 24. Mai, endlich die notwendige und von allen akzeptierte „Einzelhaft“ beenden und zu unserer Expedition in die Framstraße, die Passage zwischen Grönland und Spitzbergen, aufbrechen.

Für Einzelne mag die Isolation eine höhere Belastung gewesen sein als für andere, die Verpflegung im Hotel mehr oder weniger ausreichend und/oder schmackhaft und die wiederholten Corona-Test mal mehr, mal weniger unangenehm gewesen sein. Letztendlich haben alle Fahrtteilnehmer die Quarantäne-Zeit aber gut überstanden und natürlich war die Freude groß, als wir endlich alle auf dem Schiff waren, unsere FFP2-Masken ablegen konnten und - mit den Einschränkungen, die eine Schiffs-Expedition mit sich bringen - unser Corona-unbelastetes „normales Leben“ wieder aufnehmen konnten.

Wir, das sind neben den 44 Besatzungsmitgliedern insgesamt 52 Wissenschaftler*innen, Ingenieure*innen, Techniker*innen und Studierende mit dem gemeinsamen Ziel multidisziplinäre Untersuchungen in der Atmosphäre, der Wassersäule und am Meeresboden des Arktischen Ozeans durchzuführen. Auf der 6-tägigen Anreise in das Untersuchungsgebiet durften wir vor Süd-Norwegens Küste den dort offenbar obligatorischen ersten „Starkwind“ (mit den üblichen Nebenwirkungen bei weniger hartgesottenen Expeditionsteilnehmer*innen) über uns ergehen lassen. Der eine oder andere Neuling mag sich gefragt haben, ob die Entscheidung, an dieser Seereise teilzunehmen, richtig war. Die Erfahrung zeigt, dass die allermeisten diese Frage am Ende Reise mit einem klaren „Ja“ beantworten werden.

Unmittelbar nach dem Auslaufen wurde mit der Einrichtung der Labore und dem Aufbau unterschiedlichster Mess-, Registrier- und Probennahmegeräte begonnen. Am Sonntag, den 30.05. gegen 08:00 Uhr erreichten wir schließlich die erste Station und konnten mit unserer diesjährigen „Gartenarbeit“ beginnen:

Das Untersuchungsgebiet der Reise, das LTER (Long-Term Ecological Research) Observatorium HAUSGARTEN, wird von uns seit über 20 Jahren alle Jahre wieder in den Sommermonaten aufgesucht. In einem multidisziplinären Ansatz untersuchen wir hier, im Übergangsbereich zwischen dem Nord-Atlantik und dem zentralen arktischen Ozean, den Einfluss globaler klimatischer Veränderungen sowie die Auswirkungen der Ozeanerwärmung und des fortschreitenden Rückgangs des Meereises auf ein marines, polares Ökosystem.

Der HAUSGARTEN besteht aus einem Netzwerk von (inzwischen) 21 Stationen, die entlang zweier Transekte angeordnet sind und Wasserstiefen zwischen 300 und 5500 m aufweisen. Diese Stationen werden alljährlich in den Sommermonaten sowohl in der Wassersäule als auch am Meeresboden beprobt.

Um verschiedene physikalische, chemische und biologische Eigenschaften des Meerwassers zu untersuchen werden an allen HAUSGARTEN-Stationen Wasserproben mit der sogenannten CTD/Rosette gewonnen. Dieses Gerät kombiniert eine Reihe von Sensoren mit einem Kranz aus Wasserprobennehmern. Die CTD/Rosette wird an einem Kabel bis kurz über den Meeresboden herabgelassen und sammelt auf dem Rückweg Wasserproben aus unterschiedlichen Tiefen, die anschließend auf eine Vielzahl biochemischer und biologischer Parameter untersucht werden.

Optische Eigenschaften des Oberflächenwassers werden detektiert, um damit Satellitendaten verifizieren zu können. Plankton-Proben werden aus dem Seewasser filtriert oder mit unterschiedlichen Netzen gefangen. Darüber hinaus kommen auch spezielle Kamera-Systeme zum Einsatz, mit denen kleinste Partikel im Meerwasser, aber auch größeres Zooplankton optisch erfasst werden kann.

Um abschätzen zu können, wieviel potentielle Nahrung aus der Primärproduktion an der Meeresoberfläche in die Tiefsee herabsinkt, werden Verankerungen mit trichterförmigen Sinkstofffallen eingesetzt. Eine solche Verankerung besteht aus einem Grundgewicht und einem bis zu mehreren Kilometern langen, extrem stabilen Kevlar-Seil. Luftgefüllte Auftriebskörper sorgen dafür, dass diese Seile weitgehend senkrecht in der Wassersäule stehen. Neben den Sinkstofffallen trägt jede Verankerung in unterschiedlichen Wassertiefen auch verschiedene Mess- und Registriergeräte, z.B. Strömungsmesser, Sensoren für die Wassertemperatur sowie den Sauerstoff- und den Salzgehalt.

Probennahmen am Meeresboden erfolgen mit kabelgebundenen Greifern, dem sogenannten Multicorer und dem Kastengreifer, die bestimmte Sedimentvolumina aus dem Tiefseeboden ausstechen und an Bord bringen. Ein stahlarmiertes Glasfaserkabel der „Polarstern“ erlaubt uns, die Probennahmen am Tiefseeboden ‚live‘ am Bildschirm zu verfolgen. Ein geschlepptes Foto-/Videosystem gibt uns Aufschluss über die großflächige Verteilung größerer Tiere am Boden des HAUSGARTEN-Gebietes. Der Vergleich mit Aufnahmen aus den vergangenen Jahren gibt uns Auskunft über zeitliche Veränderungen in der Dichte und Zusammensetzung dieses sogenannten Epibenthos.

Neben diesen „klassischen“ Probennahmegeräten der Meeresforschung kommen bei unseren Arbeiten am HAUSGARTEN-Observatorium auch eine Reihe technisch hochkomplexer Systeme zum Einsatz. Hierzu gehören autonome mobile Unterwasserfahrzeuge, die im Oberflächenwasser (Autonomous Underwater Vehicle, AUV) und am Tiefseeboden (Benthic Crawler) operieren, aber auch stationäre Freifall-Geräte (Bottom-Lander) mit denen bodennah verschiedene Experimente durchgeführt werden können. Von all diesen Geräten und ihren vielfältigen Einsatzmöglichkeiten werden wir in den nächsten Wochenberichten detailliert berichten.

Mit den besten Grüßen aller Fahrtteilnehmer,

Thomas Soltwedel

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