PS106/2 - Wochenbericht Nr. 8 | 09. - 16. Juli 2017

Woche 8: Zurück nach Spitzbergen

[17. Juli 2017] 

Nach Abschluss unserer vierten Eisstation am nördlichsten Punkt dieser Expedition setzte Polarstern Kurs Süd-West, in Richtung unserer bekannten PASCAL Eisscholle von PS 106/1. Dieses Mal erlaubten offene Wasserflächen zwischen den Schollen eine zügigere Fahrt durch das Eis. Auf den Stationen entlang unseres Kurses setzten wir in regelmäßigen Abständen eines der zwei Beiboote Laura und Luisa aus, um Proben der Oberflächenschicht zu nehmen, nahmen Vertikalprofile mit der CTD, und setzten die ganze Bandbreite unserer Zooplankton- und Untereisfauna-Beprobungsgeräte ein: LOKI mit AquaScat, Multinetz, RMT und das SUIT. Parallel stiegen die Helikopter auf, um Lichtmessungen über Schmelztümpeln, Vogel- und Säugetiersurveys und Eisdickenmessungen mit dem EM-Bird durchzuführen.

Trotz des weitaus offeneren Meereises waren die Chlorophyllwerte im Wasser sehr gering. Auch die Fänge der Netze enthielten sehr wenig Biomasse. Seevögel oder Säugetiere wurden nur selten gesichtet, was den nördlichen Teil unseres Untersuchungsgebietes Reise wie eine biologische Wüste erscheinen ließ.

Diese Wahrnehmung änderte sich erst kurz vor Erreichen der PASCAL-Eisscholle. Während im Norden das Eis schneebedeckt, schwer und insgesamt winterlich wirkte, war die Schmelze des Meereises im Süden deutlich fortgeschritten, und das Eis war dicht mit Schmelztümpeln übersäht. Plötzlich stiegen die Anzahlen von Seevögeln und Robben wieder an, und die Wassersäule zeigte Zeichen einer beginnenden Phytoplanktonblüte. Während wir uns unserer „alten“ Scholle näherten, wurden die Meereisforscher von ungeduldiger Aufregung erfüllt. Einige Stunden vor der Ankunft hatte ein Erkundungsflug des Helikopters bereits gezeigt, dass alle Installationen auf der Scholle die Wochen überstanden hatten, aber sich das Erscheinungsbild der Scholle komplett geändert hatte (Bild 1). Nichtsdestotrotz konnte die Polarstern am exakt gleichen Ort festmachen, an dem sie auch schon einen Monat zuvor gelegen hatte. Dieses Mal mussten, neben den üblichen Arbeiten an Schmelztümpeln, Eisbohrkernen und dem ROV, mehrere autonome Instrumente geborgen werden. Eine erste Untersuchung an Bord zeigte, dass die meisten Instrumente durchgehend funktionierten und während der vergangenen fünf Wochen eine große Menge wertvoller Daten gesammelt hatten.

Bereits gegen Ender unseres Aufenthalts auf der Scholle während PS 106/1 konnten wir beobachten, dass die Eisalgen durch das Abschmelzen der Eisunterseite ihren Lebensraum verloren. Die Algen bildeten kleine, einige millimeter- bis zentimeterdicke Aggregate, die vielfach an den Unterseiten des Eises trieben. Diese aufschwimmenden Aggregate sind vermutlich eine Strategie, um unter besseren Bedingungen das Eis wieder besiedeln zu können. Mikroskopische Analysen zeigten, dass einige dieser Algen noch richtig gut aussahen, während andere bereits zerfielen. Durch das starke Abschmelzen hatte der sogenannte „Garten“ sich massiv verändert. In den Bereichen mit geringen Schneeauflagen gab es nur noch große durchgeschmolzene Schmelztümpel. Selbst in der Region mit der ehemals hohen Schneeauflage war dieser weg geschmolzen und das Eis insgesamt sehr porös. In den armdicken Poren trieben oft Aggregate der an der Eisunterseite lebenden Alge „Melosira arctica“. Insgesamt hat auch diese Alge unter dem starken Schmelzen gelitten. Die ehemals „blühenden Gärten“ aus Melosira-Fäden sahen nun eher trostlos aus. In den bis zur Meeresoberfläche durchgeschmolzenen Schmelztümpeln schwammen große Melosira-Aggregate an der Oberfläche. Mit der zunehmenden Eisschmelze sinken die Aggregate ab und bilden dann einen Nahrungseitrag für die am Meeresboden lebenden Organismen. Da „Melosira arctica“ dieses Jahr sehr stark verbreitet war, können sich die Bodenbewohner über einen reich gedeckten Tisch freuen.

Die Gruppe der physikalischen Ozeanographie der Universität Göteborg beprobte nur wenige Stunden nach Ende der Eisstation ihren zweiten hydrographischen Transekt. Im tiefen Ozean beginnend, wurde die CTD in kurzen Abständen zu Wasser gelassen, um vertikale Profile von Temperatur, Salzgehalt, Sauerstoffgehalt und Chlorophyllkonzentration zu messen, bis der Schelf bei einer Tiefe von etwa 200 m erreicht war. Während dieses zweiten Transekts brachten die physikalischen Ozeanographen zudem vier autonome Temperatursensoren aus. Diese Sensoren messen für zwei Jahre im 30-Minuten-Takt die Temperatur am Meeresboden, bevor sie wieder an die Oberfläche kommen und ihre Daten per Satellit nach Göteborg senden. Dank dieser Instrumente werden die Ozeanographen wissen, wie oft und wie viel sich die Temperatur entlang der Transekte ändert. Dies hilft bei der Abschätzung, wie repräsentativ die Punktmessungen der vergangenen Tage an Bord der Polarstern im Vergleich zum Rest des Jahres sind. Während der CTD-Einsätze wurden mit Hilfe der 24 an der CTD angebrachten Niskinflaschen große Mengen Wasser aus verschiedenen Tiefen für physikalische und biogeochemische Analysen beprobt. Der weit überwiegende Teil des CTD-Wassers wurde vom Biogeochemie-Team (BGC) des AWI filtriert. Das BGC-Team interessierte sich vor allem für Parameter, die mit dem Phytoplankton zu tun haben, wie die Chlorophyllkonzentration oder den Gehalt an organischem Kohlenstoff. Insgesamt filtrierte das BGC-Team 900 Liter Meerwasser, die später im AWI analysiert werden sollen. Diese Messungen gehören zu einer Langzeitstudie, die seit 1993 die Veränderungen des Ökosystems in der zentralen Arktis dokumentiert.

Die letzte Station der ozeanographischen Schelfhangtransekte war auch die letzte Station, bei der wir das „Surface and Under Ice Trawl“ (SUIT, Bild 2) und das „Rectangular Midwater Trawl“ (RMT, Bild 3) zu Wasser ließen. Beide Netze sind auf den Fang von Organismen im Größenbereich von bis zu wenigen Zentimetern ausgelegt, von kleinen Krebstieren bis hin zu jungen Fischen. Das SUIT ist momentan das einzige Gerät, mit dem die Beprobung dieser Tiere direkt von der Unterseite des Meereises über Distanzen von mehreren Kilometern möglich ist. Das SUIT ist mit kräftigen Schwimmkörpern ausgestattet, die den schweren Stahlrahmen an der Oberfläche halten. Autoreifen an der vorderen Oberkante sorgen dafür, dass das Netz dicht an der Eisunterseite entlang gleitet. Nach dem Aussetzen vom Heck des Schiffes schert das SUIT nach Steuerbord aus, bis es parallel zur Fahrtrichtung der Polarstern unter das Eis gleitet. Verschiedene Sensoren sind am Netz angebracht, die kontinuierlich Eigenschaften des Meereises und der Wassersäule messen, wie zum Beispiel Eisdicke, Wassertemperatur, Salzgehalt, Lichteinfall und Fluoreszenz. Während PS 106/2 wurde das SUIT an 20 Stationen erfolgreich eingesetzt. Entlang zweier Süd-Nord-Transekte vom Schelf in den tiefen Ozean und zurück, konnte das erste Mal in systematischer Art und Weise die Veränderung der Zusammensetzung der Untereis-Fauna entlang dieses Gradienten untersucht werden. Eine erste qualitative Inventur der Fangzusammensetzung zeigt einen Übergang vom Copepoden-dominierten Schelf, über den Krill-dominierten Schelfhang, hinein in die „wüstenartige“ Tiefsee. Hier kamen hauptsächlich Amphipoden und Quallen vor, wenn auch in sehr geringen Anzahlen. Es scheint, dass die Abundanzen deutlich geringer waren als in früheren Studien im Eurasischen Becken des arktischen Ozeans. Die Fänge des RMT zeigten ein ähnliches Muster, wobei jedoch eisassoziierte Fauna weitgehend fehlte.

Die Verteilung und Zusammensetzung von meereisassoziierten Organismengemeinschaften hängt stark mit Meereiseigenschaften wie Eisdicke und Rauigkeit zusammen. Das bedeutet, dass sich mit der Veränderung des Lebensraumes Meereis auch der Lebensraum vieler polarer Organismen ändert, mit unbekannten Konsequenzen für die arktischen Ökosysteme. Daher war eines der Ziele von PS 106/2 die Quantifizierung von physikalisch-ökologischen Eigenschaften des Meereises auf verschiedenen räumlichen Skalen. Die größte Skala wurde mit Hilfe eines am Helikopter angebrachten elektromagnetischen Meereisdicken-Messinstruments, des sogenannten EM-Bird, abgedeckt. Während PS 106/2 wurden fünf EM-Bird Surveys mit jeweils einer Gesamtstrecke von 200 km durchgeführt. Dabei wurde das gesamte Untersuchungsgebiet gut abgedeckt. Die modale Meereisdicke, die ein guter Indikator des dominanten Eistyps der Region ist, lag zwischen 1.0 und 1.5 m (Bild 4). Eiseigenschaften auf kleineren Skalen wurden mit dem SUIT (Kilometer) und dem ROV (Meter bis hunderte Meter) gesammelt. Durch Kombination der Daten des SUIT und des ROV lassen sich die physikalisch-ökologischen Beziehungen verschiedener Meereis Habitate auf mehreren räumlichen Skalen quantifizieren. In Kombination mit dem großskaligen EM-Bird und satellitengestützten Meereisdickenmessungen können regionale und Arktis-übergreifende Meereislebensräume klassifiziert und modelliert werden.

Gestern kehrten wir durch die gleiche Passage, durch die wir drei Wochen zuvor den arktischen Ozean erreicht hatten in das Spitzbergen-Archipel zurück. In dieser Region steht die Fischerei mit dem Grundschleppnetz im Vordergrund. Die ersten zwei Fänge ergaben endlich größere Anzahlen des bis dahin von unseren Fängen weitgehend abwesenden Polardorsches.

Mit den besten Wünschen von Mannschaft und Wissenschaftlern

Hauke Flores, Fahrtleiter

 

Mit Beiträgen von Ilka Peeken (AWI), Cèline Heuzé (University of Gothenburg, UGOT), Elin Andrée (UGOT), Sarah Salin (UGOT), Anique Stecher (AWI), Pim Sprong (AWI), Benjamin Staufenbiel (AWI) und Benjamin Lange (AWI)

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