PS107 - Wochenbericht Nr. 1 | 23. - 30. Juli 2017

Endlich von der Leine

[31. Juli 2017] 

Am Nachmittag des 23. Juli sind wir, 48 Wissenschaftler, Ingenieure, Techniker und Studenten aus 11 Nationen, bei regelrechtem Kaiserwetter in Tromsø ausgelaufen. Die Sonne schien von einem blauen Himmel hinab, während POLARSTERN sich durch die Fjorde in Richtung Nord-Atlantik bewegte. Endlich ging es los. Insbesondere all jene, die das erste Mal auf einer Expedition oder zum ersten Mal in der Arktis sind, befiel eine ganz besondere Aufregung. Endlich ging es Kurs Nord und nachdem die offene See erreicht war und sich die Mitternachtssonne schließlich hinter einer tiefhängenden Wolkendecke versteckt hatte, konnten wir alle unserer ersten Nacht in unseren frisch gemachten Kojen entgegensehen.

Die Expedition PS107 wird uns in die Framstraße führen. Das Untersuchungsgebiet der Reise, das LTER (Long-Term Ecological Research) Observatorium HAUSGARTEN, wird von uns seit mittlerweile etwa 18 Jahren alle Jahre wieder in den Sommermonaten aufgesucht. In einem multidisziplinären Ansatz untersuchen wir hier, im Übergangsbereich zwischen dem Nord-Atlantik und dem zentralen arktischen Ozean, den Einfluss globaler klimatischer Veränderungen und die Auswirkungen des fortschreitenden Rückgangs des Meereises auf das marine, polare Ökosystem.

Der HAUSGARTEN besteht aus einem Netzwerk von inzwischen 21 Stationen, die entlang zweier Transekte angeordnet sind und Wasserstiefen zwischen 300 und 5500 m aufweisen. Die Stationen werden alljährlich in den Sommermonaten sowohl in der Wassersäule als auch am Meeresboden beprobt. Die geplanten Arbeiten werden in enger Zusammenarbeit der HGF-MPG Brückengruppe für Tiefsee-Ökologie und -Technologie, der PEBCAO-Gruppe („Phytoplankton Ecology and Biogeochemistry in the Changing Arctic Ocean“) des AWI und des GEOMAR und der Helmholtz-Hochschul-Nachwuchsgruppe SEAPUMP („Seasonal and regional food web interactions with the biological pump“) durchgeführt und leisten wertvolle Beiträge zu verschiedenen nationalen und internationalen Forschungs- und Infrastruktur-Projekten. Zwei Arbeitsgruppen der Universität Bremen - für Planktonökologie und für Luftchemie - ergänzen das Expeditionsprogram und sind zum Teil eng mit den restlichen Forschungen verzahnt.

Die ersten zwei Tage auf See waren dann geprägt durch die übliche Aufregung, sich erst einmal mit all dem Neuen zurechtzufinden. Labore wurden aufgeteilt und eingerichtet und jeder versuchte sich und sein Equipment möglichst gut auf das Forschungsprogramm der nächsten Wochen vorzubereiten. Erschwert wurde insbesondere die erste Phase des Aufbauens durch die Tatsache, dass unsere Expedition bis nahezu auf den letzten Platz mit Wissenschaftlern besetzt ist und entsprechend viel Equipment und Gerät ausgestaut werden musste. Dabei konnte es dann auch immer wieder vorkommen, dass man sich gegenseitig den Arbeitsplatz zugestellt hat. Es ist jedoch immer wieder bemerkenswert, wie schnell derartige Phasen überwunden werden. Wie schnell durch gegenseitige Hilfe und Verständnis Ordnung in ein scheinbares Durcheinander gebracht wird, weil alle wissen, dass wir sprichwörtlich in einem Boot sitzen.

Zwei Arbeitsgruppen konnten bereits direkt nach dem Auslaufen in Tromsø mit ihrem Messprogramm beginnen.

Der Laborcontainer des IUP von der Universität Bremen war bereits auf dem vorherigen Fahrtabschnitt der POLARSTERN an Bord. Somit waren bereits alle Geräte aufgebaut und messbereit. Die Messkampagne von Philipp Richter ist Teil des Projekts Arctic Amplification (TR172) (dt. arktische Verstärkung), welches sich mit der Frage beschäftigt, warum sich die Arktis schneller erwärmt als der Rest der Erde. Der Container ist mit zwei FTIR Spektrometern ausgerüstet, welche Strahlung der Sonne und der Atmosphäre beziehungsweise von Wolken messen. Dabei werden Interferometer aufgenommen, aus denen dann die Spektren der eingehenden Strahlung berechnet werden. Aus den Spektren der solaren Strahlung können die Mengen von Wasserdampf oder atmosphärischer Spurengase wie Kohlenstoffdioxid (CO2) und Ozon (O3) bestimmt werden, wohingegen aus den Spektren der atmosphärischen Emission Wolkenparameter und Aerosole bestimmt werden sollen.

Da atmosphärische Messungen innerhalb der norwegischen Territorial-Gewässern nicht erlaubt sind und während der ersten Tage auf See das Wetter keine Messungen ermöglichte, wurden Charakterisierungsmessungen der Geräte durchgeführt. Ab Mittwoch lichtete sich die dichte Wolkendecke bestehend aus tiefen Stratuswolken ein wenig. Die Wolken wurden dünner und es gab zeitweise klaren Himmel, sodass erste Messungen der Wolken- und atmosphärischen Emission durchgeführt werden konnten. Donnerstag war dann die Sonne zeitweise klar sichtbar, ohne dass Wolken sie verdeckt haben, was optimale Bedingungen für die Messung der solaren Absorption sind. Leider zogen in unregelmäßigen Abständen Nebelfelder und tiefe Wolken über das Schiff, sodass die Messungen hin und wieder unterbrochen werden mussten. Gegen Abend legte sich dann endgültig ein Nebelfeld über das Schiff. Trotzdem konnten mehrere Messzyklen durchgeführt werden, sodass es im Ganzen erfolgreiche erste Tage für die atmosphärischen Messungen waren.

Die Arbeitsgruppe von Yanyang Liu und Sonja Wiegmann entnimmt seit dem ersten Expeditionstag über die Pumpen des Schiffes kontinuierlich Oberflächenwasser und untersucht in einem Durchflusssystem die optischen Eigenschafften des Wassers. Diese beeinflussen nämlich auf direkte Weise das Eindringverhalten des Lichtes in den Ozean. Neben Nährstoffen ist Licht einer der wichtigen limitierenden Faktoren für biologisches Wachstum im Meer, insbesondere für photosynthetisch aktive Organismen wie Phytoplankton. Hingegen begrenzen Partikel zusammen mit beispielsweise Sedimenten und gelösten farbigen Substanzen ("Gelbstoff") im Wasser die Eindringtiefe des Lichts. Für Beobachtungen mittels satellitengestützter Fernerkundung ist die Eindringtiefe in unterschiedlichen Spektralbereichen des Lichts jedoch entscheidend, da nur aus diesem Bereich Informationen zu Art und Menge der optischen Inhaltsstoffe gewonnen werden können. Zusätzlich müssen diese Lichtmessungen validiert werden, wofür zusätzlich spezifische Größen wie das Absorptions- und Streuverhalten des Seewassers kontinuierlich und mit all seinen Komponenten und die Pigmentzusammensetzung des Phytoplanktons an Wasserproben aus 6 verschiedenen Tiefen gemessen werden. Aus diesen Werten kann dann, durch eine detaillierte Analyse im Labor, ein Zusammenhang zwischen Phytoplankton-Zusammensetzung und Biomasse (Chlorophyll), sowie dem gelöstem Kohlenstoff, im Verhältnis zum eindringenden Licht, für verschiedene Gebiete des Arktischen Ozeans hergestellt werden. 

Im nächsten Wochenbericht werden wir dann etwas näher auf die weiteren Arbeiten eingehen, die wir im HAUSGARTEN durchführen und zusätzliche Einblicke in die einzelnen Forschungsgruppen gewähren.

Mit den besten Grüßen aller Fahrtteilnehmer,

Ingo Schewe, Fahrtleitung
(mit Unterstützung von Yangyang Liu, Sonja Wiegmann und Philipp Richter)

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