Auf dem Weg zu einem globalen UN-Abkommen gegen die Plastikflut

Vom 5. bis 14. August kommen in der Schweiz Vertreter:innen der UN-Mitgliedstaaten sowie aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft zusammen, um die Verhandlungen für ein rechtsverbindliches Abkommen gegen Plastikverschmutzung fortzusetzen. Zwar konnte beim letzten Treffen in Südkorea keine finale Einigung erzielt werden, allerdings traten mehr als 100 Staaten beispielsweise bei Produktionsgrenzen und der Regulierung von Chemikalien, deutlich geschlossener und klarer auf als zuvor. Dies könnte einen Wendepunkt bedeuten. In Genf soll es nun zu einer Einigung auf einen endgültigen Text für das Abkommen kommen.

AWI-Biologin Dr. Melanie Bergmann begleitet die Verhandlungen von Anfang an als Teil der deutschen Delegation und der „Scientists‘ Coalition for an Effective Plastics Treaty”. „Die Delegationen müssen mit Diplomatie darauf hinwirken, dass sich die Positionen trotz geopolitischer Spannungen und unterschiedlicher Interessenslagen annähern, um eine Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zu schaffen.“ Ein wichtiger Knackpunkt wird auch weiterhin sein, ob Entscheidungen mehrheitlich oder einstimmig getroffen werden sollen und wie sich Interessenskonflikte vermeiden lassen. „Im besten Fall erreichen wir in Genf, dass sich die Weltgemeinschaft, oder zumindest weite Teile davon, zu einem starken Abkommen bekennt, das sich an wissenschaftlichen Fakten orientiert und anerkennt, wie schädlich Plastik für den Menschen und die Natur ist, von der wir abhängig sind.“

Die UN-Verhandlungen für ein Plastikabkommen

Seit 2022 treffen sich Delegierte der UN-Mitgliedstaaten sowie Vertreter:innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft, um ein Abkommen zu beschließen, das die Plastikverschmutzung eindämmen soll. 2022 einigten sich 175 Nationen bei der UN-Umweltversammlung UNEA in Nairobi darauf, das erste internationale, rechtsverbindliche Abkommen zu schließen, um die Verschmutzung durch Plastik zu beenden. Hierfür wurde der zwischenstaatliche Verhandlungsausschuss INC (Intergovernmental Negotiating Committee) beschlossen, der das erste Mal im Dezember 2022 in Punta Del Este, Uruguay zusammenkommt, um die Voraussetzungen für die kommenden Verhandlungen zu schaffen.

Nachdem im Mai und Juni 2023 in Paris vor allem organisatorische Weichen für das Abkommen gestellt wurden, konnte zum Start der dritten Verhandlungsrunde im November 2023 in Nairobi der erste Textentwurf des Abkommens diskutiert werden. Er fasst die wichtigsten Positionen der Delegationen und zu klärenden Fragen zusammen. Für einige Länder war der Entwurf nicht ehrgeizig genug, sie wünschten sich mehr Regelungen und weniger freiwillige Verpflichtungen, anderen Delegationen war er dagegen zu strikt. Letztendlich endete das Treffen ohne einheitlichen Entwurf, dieser sollte nun im April 2024 in Ottawa entstehen. Ebenfalls verschoben werden musste die Entscheidung zur Arbeit über technische und wissenschaftliche Fragen zwischen den Verhandlungsrunden (intersessional work), zum Beispiel über Chemikalien in der Plastikproduktion.

In Kanada konnten sich die Delegationen endlich darauf einigen, diese intersessional work zuzulassen. Mit der Deklaration 'Bridge to Busan' haben sich einige Staaten verpflichtet, ambitioniertere Ziele in gegen die Plastikverschmutzung zu verfolgen, wie Obergrenzen in der Kunststoffproduktion und die Zusammensetzung von Plastik. Die Verhandlungen im November 2024 in Busan konnten zwar nicht die finale Einigung erzielen, allerdings traten mehr als 100 Staaten beispielsweise bei Produktionsgrenzen und der Regulierung von Chemikalien, deutlich geschlossener und klarer auf als zuvor. Dadurch wurde in Busan ein wichtiger Grundstein für künftige Verhandlungen gelegt.

Die globale Plastikflut

Die Welt produziert jedes Jahr über 460 Millionen Tonnen Plastik. Bis 2060 soll sich die Menge des Plastikmülls verdreifachen. Allein bei der Produktion entstehen mehr Treibhausgase als im gesamten Flugsektor. Eine aktuelle Studie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) zeigt, dass es viel mehr Plastikpartikel im Meer gibt als bisher angenommen. Demnach befinden sich allein in der oberen Wasserschicht des Nordatlantiks 27 Millionen Tonnen kleinster Plastikpartikel. Kunststoffe tauchen mittlerweile selbst in den entlegensten Teilen unseres Planeten auf, und auch in unseren Körpern finden Forschende überall Plastik. Studien zeigen, dass wir die planetaren Belastungsgrenzen für neue Stoffe bereits überschritten haben. Als Teil der dreifachen planetaren Krise befeuern Kunststoffe die Erderhitzung, Umweltverschmutzung und die Biodiversitätskrise.

Seit Anfang an bei den Verhandlungen dabei: Dr. Melanie Bergmann

Seit 2004 forscht Melanie Bergmann in der Arbeitsgruppe für Tiefseeökologie und -Technologie des AWI. Sie hat an über 20 Expeditionen auf internationalen Forschungsschiffen teilgenommen und leitet unter anderem Beobachtungsprogramme am AWI-HAUSGARTEN Observatorium, um die Auswirkungen der Erderhitzung auf die arktische Tiefsee zu erforschen. Seit dem Jahr 2012 beschäftigt sie sich vor allem mit der Plastik-Verschmutzung der Meere. Dazu hat sie das Fachbuch ‚Marine Anthropogenic Litter‘ herausgegeben und betreibt das Online-Portal LITTERBASE, um Forschungsdaten zur Plastikverschmutzung und wissenschaftliche Erkenntnisse einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Mit Citizen Science-Projekten wie den Mikroplastikdetektiven lässt Melanie Bergmann Bürgerinnen und Bürger an ihrer Forschung teilhaben.

Neben ihrer Forschung engagiert sie sich in internationalen Expertengremien, darunter in der “Scientists Coalition for an Effective Plastics Treaty”. Das Netzwerk von über 350 unabhängigen Fachleuten aus mehr als 30 Ländern unterstützt die Verhandlungen mit Einschätzungen und Zusammenfassungen des aktuellen Forschungsstandes. Diese sollen den Delegierten helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen. Darüber hinaus hat sie in einem gemeinsamen Projekt zwischen dem AWI und dem WWF-Projekt einen entscheidenden Bericht erstellt, der zur Annahme einer ambitionierten Resolution bei der UN-Umweltversammlung führte. 

Positionen und Knackpunkte

In der Staatengemeinschaft haben sich grob zwei Lager gebildet, die unterschiedlicher Auffassung sind, wie das Plastikabkommen aussehen sollte: die High Ambition Coalition (für ein starkes Abkommen), die sich dafür ausspricht, die globale Produktion von Kunststoff zu verringern und giftige chemische Zusatzstoffe in Plastik abzuschaffen. Und auf der anderen Seite die Like-Minded Group (industrie- und produktionsfreundlich), die keine verbindlichen Produktionsgrenzen will, sondern eher nationale Aktionspläne, um ihre eigenen Ziele festzulegen.

Forschende und einige Delegationen argumentieren, dass nicht Recycling oder Instrumente wie Plastic Credits die effektivsten Wege gegen die Plastikverschmutzung sind, sondern vielmehr, die Produktion von Plastik auf unumgängliche Einsatzbereiche zu beschränken. Denn selbst wenn die Plastikproduktion um ein bis drei Prozent pro Jahr gesenkt würde, würden sich die Mengen produzierten Plastiks bis 2040 auf mindestens 20.000 Millionen Tonnen Plastik aufsummieren werden. Wo sich der Einsatz von Plastik nicht vermeiden lässt, muss am Design und an der Zusammensetzung geschraubt werden, um die chemische Vielfalt reduzieren und bedenkliche Inhaltsstoffe auszuschleichen.

Große Unklarheit herrschte auch über die Art und Weise wie im Endeffekt über das Abkommen abgestimmt werden sollte: Mehrheit oder im Konsens, letzteres wäre gleichbedeutend mit einem Veto. Diese Frage ist nicht trivial, denn im Vorfeld der Verhandlungen hatten sich mehr als 100 der 193 Mitgliedsstaaten für eine Reduzierung der Kunststoffproduktion ausgesprochen. Nur weniger als 15 Staaten plädierten für eine Steigerung der Plastikproduktion, diese hätten im Fall einer Konsensentscheidung ein Vetorecht.

Unsere AWI-Expertin

Portraitfoto von Dr. Melanie Bergmann.

Melanie Bergmann

Biologin Dr. Melanie Bergmann, Expertin für die Themen Mikroplastik und Müll im Meer