13. Juli 2015
Wochenbericht

Von Kissen, Kisten, Kästen und Ketten

Hovercraft Experiment
Abb.1: Phytoplankton aus einer Handnetzprobe an der Eiskante. Foto: Steffi Gäbler-Schwarz/AWI

Montag 06.07.2015. Zum Wochenbeginn beschäftigt uns zunächst einmal insbesondere das Eis-Camp mit Hovercraft und seinen Passagieren. Was passiert jetzt mit dem „Hovercraft Experiment“?

Zahlreiche Diskussionen zwischen allen Beteiligten, Telefongespräche, Entscheidungen müssen gefällt werden. Wir einigen uns schließlich darauf, dass wir alle Gefahrengüter bergen, Luftkissenboot & Yngve auf dem Eis bleiben, Audun zu uns an Bord kommt. Für Yngve bedeutet dies vier bis fünf weitere Wochen auf dem Eis, dann wird ein Eisbrecher dort eintreffen, um alle Kisten, Kästen, Restgüter etc. inklusive Yngve und das Hovercraft aufzunehmen. Yngve ist guter Dinge und optimistisch über den weiteren Verlauf seines Drift-Experiments, da er bereits 2012 eine ähnliche alleinige Hovercraft-Expedition im Nansenbecken durchgeführt hat und unter den kommenden „sommerlichen“ Bedingungen sicher auf seinem (Luft-) Kissen sitzt. So denken wir, dass die jetzige Lösung für alle Beteiligten die beste ist. Drücken wir die Daumen für den erfolgreichen Abschluss des Hovercraft-Experiments!

Ab Dienstag (07.07.15) stehen dann die „normalen“ Stationsarbeiten mit CTD, Hand- und Multinetzen sowie die Sedimentbeprobungen  wieder im Vordergrund. An dieser Stelle soll auf das Biologie-Programm von Steffi Gäbler-Schwarz etwas näher eingegangen werden. Die Biologie (PEBCAO = Plankton Ecology and Biogeochemistry in a Changing Arctic Ocean / Ökologie der Planktonorganismen in der Arktis) auf dieser Expedition beschäftigt sich mit ein paar der kleinsten Bewohner der Wassersäule im Arktischen Ozean, dem Phytoplankton. Plankton im Allgemeinen umfasst die Lebewesen – Pflanzen und Tiere - die in der Wassersäule schweben und nicht gegen die Wasserströmung schwimmen können. Dazu gehören neben Bakterien auch die einzelligen Algen (Phytoplankton), die die Grundlage des arktischen Nahrungsnetzes darstellen. Sie produzieren Energie, in dem sie Sonnenlicht und Kohlendioxid in organische Materie umwandeln. Als Nebenprodukt erzeugen sie dann den für uns wichtigen Sauerstoff. Kommt es hier, an der Basis der Nahrungskette, zu einer Verlagerung der Lebensgemeinschaften durch den Klimawandel bzw. die globale Erwärmung, so könnte sich auch die Zusammensetzung der Nahrung der größeren Tiere, wie zum Beispiel der Vögel und Wale, verändern. Um zu untersuchen, welche Vielfalt die Wassersäule beherbergt und wie die Algen auf verschiedene Umweltbedingungen reagieren, nimmt Steffi Proben mit einem Handnetz. Diese Proben werden dann in einem Kühlcontainer mikroskopisch auf verschiedene Algengruppen untersucht, um diese dann in verschiedene Probenbehälter zu vereinzeln und nach Überführung ins AWI Bremerhaven weiter zu bearbeiten (Abb. 1). Bisher ist das biologische Programm mit insgesamt 15 Handnetzstationen und vier Schlauchboot- (Zodiak-) Ausfahrten (Abb. 2), auf denen biologische Proben aber auch im Eis eingeschlossene Sedimente direkt an der Eiskante gesammelt werden, sehr erfolgreich. Bei all diesen Aktivitäten assistieren unsere ArcTrain-Studenten/innen, was die Ausführung der Arbeiten erheblich erleichtert.

Am Mittwoch (08.07.15) und auch Donnerstag (09.07.15) ist dann wieder verstärktes „Baggern“ angesetzt, Großkampftage für die Geologie, da zwei Kastenlot- und vier Schwereloteinsätze auf dem Programm stehen. Damit kommt man sicherlich an die Grenze des Machbaren. Gerade das Kastenlot verlangt großen Einsatz von Besatzung und Wissenschaft. Aber der Einsatz hat sich auch dieses Mal wieder gelohnt. Nachdem der über 8 Meter lange und über eine Tonne schwere Kasten auf der „Schlachtbank“ im großen Nasslabor liegt und von seiner „Blechhülle“ und befreit und „gereinigt“ ist, kann auch der Laie erkennen, warum so viele (oder doch nur einige?) vom Kastenlot so begeistert sind (Abb. 3). Die deutlichen Farbwechseln von rot zu braun über grün bis dunkelgrau und Wechseln in den Korngrößen von Ton bis hin zu Steinen sind Zeugen über drastische Änderungen in den Umweltbedingungen in der Vergangenheit. Dieses „Prachtstück“ von Kasten bedeutet aber auch viel Arbeit für die nächsten 2-3 Tage, die auf die Geologen zukommt. Gott sei dank haben wir hier die kraftvolle Unterstützung durch das ArcTrain-Team, ohne die die Abarbeitung und Bewältigung des vielen Schlamms im Sedimentlabor sicherlich nicht machbar gewesen wäre. Ein Hoch auf ArcTrain!! Bei dem Glanz des Kastenlots werden die weit weniger beeindruckenden vier kurzen Schwerelotkerne fast übersehen. Hier muss aber angemerkt werden, dass diese vier kurzen Kerne für uns von großer Wichtigkeit sind, da sie uns ermöglichen werden, genaue Aussagen über die Vorstöße und Rückzüge der grönländischen Gletscher bzw. des grönländischen Eisschildes machen zu können.

Große und kleine Geräte

Freitag, 10.07.15.  Der zweite große Arbeitstag für unsere Ozeanographen Wilken von Appen und Olaf Strothmann steht auf dem Programm. Polarstern verlässt den westlichen mit Meereis bedeckten Teil unseres Arbeitsgebietes und dampft mit voller Kraft Richtung Osten, zu der Position von drei Verankerungen in der zentralen Fram-Straße. Die erste Verankerung „F7“ kommt nach einer Wartezeit von über einer Stunde an die Oberfläche (Abb. 4). Matrose Steffen Müller hat als erster die gelben und roten Blubs um 17:10 Uhr direkt an Steuerbordseite querab entdeckt. Jetzt heißt es für die Decksmannschaft „alle Mann anpacken“, und bereits um 18:45 Uhr ist die gesamte Verankerungskette an Deck. Eine erfolgreiche Bergung! Gute Stimmung kommt auf, die aber ein paar Stunden schon wieder gedämpft wird. Die nächste Verankerung („F6“) taucht leider auch nach intensiver Suche und unterschiedlichen Versuchen der Bergung nicht auf. Um 20:30 Uhr brechen wir die Suche ab. Wahrscheinlich wird die Kette nun in der Fram-Straße bleiben. Aber was sind eigentlich Verankerungen? Wofür sind die gut? Bei den beiden  Verankerungen F6 und F7 handelt es sich um lange Ketten von 2500 m, an denen Instrumente angebracht sind, die Temperatur, Salzgehalt und Strömungsgeschwindigkeit messen.

Die dritte Verankerung, um die sich Wilken und Olaf mit Unterstützung der Decksmannschaft kümmern, wird nicht eingeholt sondern ausgebracht. Sie besteht nur aus einer langen Kette, an deren oberen Ende ein so genannter Profiler angebracht ist (Abb. 5). Dieses Gerät bewegt sich alle 48 Stunden von 100 m Wassertiefe an die Wasseroberfläche. Auf dem Weg misst es Temperatur und Salzgehalt, und an der Oberfläche sendet es seine gerade gemessenen Daten an einen Satelliten, so dass die Daten in Echtzeit bereitstehen. Danach zieht eine Winde, die auch bei 100 m verankert ist, den Profiler wieder auf 100m Tiefe.

Auf dem Weg zu den Verankerungen und auf dem Weg zurück Richtung Westen ins Meereis werden Temperatur und Salzgehalt mit einer so genannten „Underway CTD“ gemessen. Dies ist ein ca. 8 kg schweres kleines Gerät, das an einer dünnen Kevlar-Leine hinten von Bord geworfen wird (Abb. 6). Es fällt dann in 70 Sekunden ca. 150m vertikal nach unten und misst dabei Temperatur und Salzgehalt. Danach wird die Kevlar-Leine mit einer Winde wieder eingeholt. Bei dieser Arbeit packen die ArcTrain-Studenten eifrig unterstützend mit an, stehen für viele Stunden am Heck von Polarstern und helfen bei Ausbringen und Einholen der Sonde. Diese Messung wird während der Fahrt gemacht, erfolgreiche Messprofile bei 8, 10 und 12 Knoten Fahrt aufgezeichnet.

Auch wenn wir wieder fast mit voller Kraft fahren, zieht sich die Fahrt in den Westen, der Eiskante entgegen, bis weit in den Samstag (11.07.15) hinein. Gegen 09:00 unterbrechen wir die Transitfahrt, wir stoppen kurz auf, um auf dem Hovgaard-Rücken in der zentralen Fram-Straße bei 78°24’N/01°03’E das Schwerelot einzusetzen. Genau an dieser Stelle haben wir im letzten Jahr eine Kernstation gefahren, allerdings ohne Erfolg. Diesen Fehlversuch können wir jetzt wieder wettmachen. Der 4.5 m lange Sedimentkern ist sicherlich keine Glanzleistung, die einen umhaut. Aber wir haben die Kernlänge immerhin im Vergleich zu 2014 fast verdreifacht, und bei einem Blitzeinsatz von nur einer Stunde ist diese Aktion sicherlich gerechtfertigt.

Heute, immer noch Samstag, soll unser Grillfest stattfinden, wegen der Kürze der Expedition die einzige soziale Veranstaltung dieser Art. Vorbereitungen dazu laufen. Der Geräteraum, wo das Fest stattfindet, ist bereits geschmückt, alle Heimatflaggen der Fahrtteilnehmer hängen. Es fehlt allerdings noch das schöne Wetter, das der Fahrtleiter zu diesem Event versprochen hat. Noch herrscht dichter Nebel, ein Wetter, das eher zu einer trüben Stimmung mit beitragen könnte, was wir natürlich alle gerade heute nicht wollen. Das soll sich aber schnell ändern! Gegen 15:00 lichtet sich der Nebel, die Sonne lässt sich blicken, erste Eisschollen driften wieder an uns vorbei. Rechtzeitig mit Grillbeginn drehen wir dann auf Südkurs, das Achterdeck an Steuerbordseite, wo die Grillaktivitäten stattfinden, steht (zeitweise) in seichtem Sonnenlicht – alles wie bestellt!! Nur der für 20:00 bestellte Eisbär lässt sich nicht blicken, driftet nicht auf einer Scholle am Schiff vorbei (Anm.: er hat sich leider verspätet und erscheint erst am nächsten Morgen; s.u.!). Wir stampfen derweil in der Nacht von Samstag auf Sonntag Richtung NW, auf den ostgrönländischen Schelf hinauf, wo wir am Sonntagnachmittag eine weitere Großstation abarbeiten wollen.

Sonntagvormittag (12.07.15). Das Eis wird dichter, wir kommen so nur langsam voran. Die geplante Station ist noch einige Meilen voraus. An die Station denkt aber kurzfristig kaum jemand, als gegen 11:00 Uhr vom Chiefmate Felix Lauber in kurzem Zeitabstand gleich vier Eisbären gesichtet werden, erst ein einsamer riesiger Einzelgänger, dann kurze Zeit später eine Eisbärin mit zwei Jungen. Nachmittags erreichen wir dann auch eine geeignete Station für die ozeanographischen, biologischen und geologischen Beprobungen. Die Stationswahl, eigentlich noch 15 Meilen von der ursprünglichen entfernt, erweist sich als Volltreffer. Es gelingt uns, ein fast sieben Meter mächtiges Paket von jungen Sedimenten zu kernen. Diese Ablagerungen repräsentieren wahrscheinlich die letzten 10000 Jahre und werden uns genaue Rekonstruktionen vergangener Klimabedingungen erlauben. Mit diesem Volltreffer zum Sonntag schließen wir auch unser Arbeitsprogamm auf dem NE-Grönländischen Schelf ab und dampfen nach SE, raus aus dem Eis (Abb. 7). Die letzten Forschungstage, die uns noch bleiben, werden wir im eisfreien Gebiet ca. 120 Meilen südöstlich unserer jetzigen Position verbringen. Bis dahin müssen wir aber noch eine „anstrengende“ Fahrt durch’s dicke Eis heute Nacht und den morgigen Tag überstehen.

Werden uns diese letzten Tage noch ein paar Überraschungen bringen?? Dazu können wir uns dann frühestens Ende nächster Woche in einem kurzen Abschlussbericht äußern.

Alle sind guter Dinge und senden herzliche Grüße nach Hause,

im Namen aller,

Ruediger Stein (12.07.15)

(mit einem Beitrag zum Ozeanographie-Programm von Wilken von Appen und einem Beitrag zum Biologie-Programm von Steffi Gäbler-Schwarz)

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