PS101 - Wochenbericht Nr. 1 | 10. - 18. September 2016

PS101 KARASIK

[19. September 2016] 

Die Expedition PS101 KARASIK ist der Untersuchung von geologischen, geochemischen und biologischen Prozessen an Seebergen und Hydrothermalquellen des Gakkelrückens der zentralen Arktis gewidmet. Bisher ist wenig bekannt über die Funktionsweise sogenannter „ultralangsamer Spreizungszonen“ von ozeanischen Platten. Sowohl der Gakkelrücken der Arktis wie auch der Südwestindische Rückens liegen in fernen Arbeitsgebieten mit schwierigen Umweltbedingungen, die von wenigen Forschungsschiffen erreicht werden können.

Unser Zielgebiet der Expedition KARASIK (PS101) ist der Gakkelrücken, genauer gesagt das Segment des Langseth Rückens mit dem Karasik Seeberg bei 87°N und 60°O (Abb. 1). Dieser Abschnitt wurde 2001 während der gemeinsamen AMORE Expedition mit zwei Eisbrechern, der FS POLARSTERN und der USCGC HEALY erstmals teilweise vermessen. Seine Berggipfel ragen aus circa 5000 m Wassertiefe  bis auf ca. 600 m auf. Am Langseth Rücken wurden Spuren hydrothermaler Fluidaustritte in der Wassersäule beobachtet – vermutlich Schwarzer Raucher. Zuletzt hat die Polarstern-Expedition TransArc II (PS94, 2015, Fahrtleitung U. Schauer) die Fahne der heißen Quellen in 3000m Wassertiefe verfolgt.

Wir sind nun mit Polarstern zurückgekehrt, um herauszufinden, wie der Seeberg seine Umwelt beeinflusst. Den Zustand des arktischen Meereis-Ozean-Systems im Herbst 2016 zu erfassen ist ein weiteres wichtiges Expeditionsziel. Dazu gehört auch, Komponenten des FRAM-Observatoriums in der zentralen Arktis auszutauschen. Die Forschung am Seeberg trägt zum Programm „Geosphären-Biosphären Interaktion“ des Exzellenzcluster MARUM an der Universität Bremen bei. Und dabei trifft sich auch Tiefseeforschung mit Raumfahrt: Für die Entdeckung extremer Lebensräume und Erd-Analoge zu Bedingungen auf fernen Himmelskörpern benutzen wir Technologien des Helmholtz Programms ROBEX und des NASA Programms „PSTAR - Planetary Science and Technology Through Analog Research Program“, wodurch der Einsatz des Untereis-Roboter NUI ermöglicht wird. Wir sind ein Team von 46 Wissenschaftlern und Technikern aus fünf verschiedenen Ländern und nun vom 09.09.-23.10.2016 gemeinsam im Nansen Becken der zentralen Arktis unterwegs (Abb 2).

Am 09.09. mittags liefen wir aus Tromsø aus und konnten noch eine Weile die norwegische Küstenlandschaft genießen. An Bord war viel aufzubauen und zu erproben, besonders die kurzfristige Inbetriebnahme zweier Lichtwellenleiterkabel für verschiedene telemetriegesteuerte Geräte war eine Herausforderung. Das Forschungsprogramm begann damit, dass wir in norwegischen Gewässern bei Spitzbergen ozeanographische Bojen für französische Kollegen ausgesetzt haben. Eine erste Teststation am 11.09. verlief erfolgreich mit dem Einsatz des Zooplankton-Rekorders LOKI und des OFOS „Ocean Floor Observation System“. Unser OFOS wurde für die Expedition kurzfristig mit zwei Sonarsystemen für Meeresboden-Vermessungen unter dem Eis ausgestattet. Die Test-Bilder nordöstlich von Spitzbergen zeigten ungestörten, stark belebten Meeresboden in 250 m Wassertiefe. Nun freuen wir uns auf den Einsatz beim Seeberg.

Die Eiskante bei 81.5°N erreichten wir um Mitternacht des 11.09.  Damit begann ein engmaschiges Unterwegs-Programm von ozeanographischen Messungen am 30°-Ost-Transekt, bis wir am 13.09. das tiefe Nansen Becken erreichten. Dort konnten wir eine CTD-Wasserschöpfer-Station bis in 4000 m Wassertiefe fahren. Die Daten zeigen eine Fortsetzung des Trends der Erwärmung des Tiefenwassers, der mittels Langzeituntersuchungen von der AWI-Ozeanographie entdeckt wurde (Abb. 3).

Auch die Meereisbeobachtungen auf unserer Reise sollen dazu beitragen, den arktischen Wandel zu dokumentieren und besser zu verstehen. Dazu werden wir eine Reihe von Eisbojen aussetzen, die dann ganzjährig Wetter-, Eis- und Ozeandaten aus der Arktis senden, auch wenn kein Forschungsschiff in der Nähe ist. Den erfahrenen Arktisfahrern auf unserer Expedition  - und auch denen, die uns von zuhause aus auf expedition.awi.de zusehen - ist dabei schon während der Anfahrt ins Arbeitsgebiet bei 87°N und 60°E aufgefallen, dass wir für die Jahreszeit und Eisbedeckung ungehörig schnell voran-kommen.  Die Durchschnittsgeschwindigkeit von POLARSTERN von ca. 6 Knoten im Eis bedeutet, dass das Eis dünner ist denn je.  Unsere Meereisphysiker an Bord schätzen, dass 2016 ein neues Minimum an Eisvolumen seit Beginn von Satellitenbeobachtungen darstellt. Wir sehen beim ersten Einsatz des nagelneuen Untereis-ROV BEAST, dass die Unterseite der Eisschollen stark abgeschmolzen ist (Abb. 4). Zudem begegnen wir immer wieder großen, kaum überfrorenen Wasserlöchern zwischen den Eisschollen. Eine wichtige Erneuerung an Bord ist für uns dabei das Arbeiten mit dem frisch installierten Meereis-Geoinformationssystem (kurz ICEGIS), das uns eine Vielfalt von Informationen auf interaktiven Karten darstellt (Abb. 5). Dazu gehören hochaufgelöste Radarbilder vom Schiff, Satelliten-Daten zur Eiskonzentration und Eisschollenverteilung, Vorhersagen von Eisdrift und Wind sowie die Meeresbodenkarten. So können wir nicht nur den schnellsten Weg zum Arbeitsgebiet finden, sondern auch noch bessere Entscheidungen zu Probennahmen und Eisstationen treffen. An dieser Stelle Dank an alle beteiligten Programmierer!

In der Nacht vom 14.-15.09. erreichten wir die Position der FRAM-Verankerung bei 85°N und begannen die Arbeiten mit einer tiefen CTD-Wasserschöpfer-Station. Im Rahmen des Infrastrukturprogramms FRAM konnten in 2015 zwei physikalische und pelagobenthische Observatorien südlich und nördlich des Langseth Rückens (Abb. 1) verankert werden. Nach einem Jahr werden diese nun geborgen. Wir haben uns gefreut, die vielen modularen Messgeräte der ersten Verankerung am Morgen des 15.09. wieder heil an Bord zu bekommen. Es gibt viel zu wenige ganzjährige Messungen im zentralen Arktischen Becken. Daher warten wir nun gespannt auf die Ergebnisse der neuen physikalischen und biogeochemischen Sensoren und Probennehmer der FRAM-Observatorien, die erstmals unter Eis eingesetzt wurden. Leider ist mit der Aufnahme der Module nun das Verankerungsprogramm in den zentralen Becken nördlich von 85°N nun für einige Jahre unterbrochen. Es gibt zu wenig eisbrechende Forschungsschiffe, um derzeit einen regelmäßigen Austausch sichern zu können.

Die Station im Nansen Becken wird mit einer ausführlichen Beprobung des Planktons und der Bodenfauna abgeschlossen. Am Meereis finden sich diesen September nur noch wenige Algenfäden (Abb. 4). Auch in der Wassersäule sind nur wenige Algen zu sehen, denn alle Nährstoffe sind aufgezehrt. Dafür fangen die Planktologen aber Unmengen von Ruderfußkrebsen, Flohkrebsen aller Größen und Formen, auch einen Schwarm von Manteltieren (Appendikularien) können wir beobachten. Die Bilder vom Meeresboden mit dem OFOS erinnern auf den ersten Blick an die Situation zum Meereis-Minimums in 2012 – der Tiefseeboden ist bei 4000m übersät von grünlich-braunen Klumpen der Meereisalge Melosira arctica, die bei starken Schmelzereignissen oder größerer Bewegung des Eises von der Unterseite der Schollen abreißt und zum Meeresboden sinkt. Auf den zweiten Blick sind wir erstaunt, dass immer noch kaum Tiefseetiere von dieser unerwarteten Nahrungsquelle zehren und alles den Bakterien überlassen. Die Seegurken- und Haarstern–Herden von 2012 sind auch verschwunden.  Wir konnten nur eine Art kriechender Seeanemone dabei beobachten, die Meereisalgen zu futtern (Abb. 6).

Weiter ging es zum Karasik Seeberg. Zwei Transekte mit der 5m langen Temperaturlanze zur Messung von Wärmeflüssen im Meeresboden am 16. und 17.9.  zeigen im Becken noch Hintergrundswerte und am Fuße des Seeberges erste Anzeichen für Fluidzirkulation im Meeresboden. In der Nacht vom 17. auf den 18.9. haben wir nun den Gipfel des Karasik Seeberges erreicht. Inzwischen gefrieren auch die freien Wasserflächen bei Außentemperaturen von um die -5°C, und es bilden sich Frostblumen auf der Meeresoberfläche. Auf der Anfahrt zum Seeberg konnten wir mit den Sonarsystemen der FS Polarstern die Kartierung dieses bisher nur teilweise vermessenen Gebietes vervollständigen. Es bleiben aber für die nächsten Wochen noch einige weiße Flecken zu bearbeiten. Die Aufgabe der nächsten Tage ist, mit einer CTD-Tow-Yo-Station nach Fluid- und Gasaustritten auf dem Seeberg Ausschau zu halten, sowie mit den Kamerasystemen und den geologischen Probennahmegeräten das Ökosystem zu erkunden. Tow-Yo bedeutet, dass die CTD in der Wassersäule über dem Meeresboden im Zickzack wiederholt gehievt und gefiert wird, das erhöht die Chance, Vents zu entdecken. Highlight des heutigen Sonntages war aber der lang ersehnte OFOS-Transekt über den Gipfel, mit ersten Bildern vom Meeresboden und den Lebensgemeinschaften dieses riesigen Seeberges. Doch was wir beim ersten Tauchgang gerade eben entdeckt haben verraten wir erst beim nächsten Wochenbericht – Stay tuned 

 

Von Bord grüßen bei bester Gesundheit die wissenschaftlichen Teilnehmer der Karasik-Expedition ihre Familien, Freunde und Kollegen.

 

Antje Boetius

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