Der oberste Teil des Grönländischen Eisschildes besteht an den meisten Stellen aus Firn – einer Art komprimierter Schnee mit unzähligen Lufteinschlüssen. Wenn im Sommer Schnee und Eis schmelzen, saugt dieser einen Großteil des Schmelzwassers auf wie ein Schwamm und schützt so die Eismassen unter ihm. Mit dem Anstieg der arktischen Temperaturen entsteht immer mehr Schmelzwasser, das in den Firn einsickern kann. Wie genau diese Veränderungen aussehen und – noch wichtiger - wie sie sich auf den gesamten grönländischen Eisschild auswirken, ist bisher noch nicht ausreichend verstanden. Ein internationales Team von Forschenden des Alfred-Wegener-Instituts, des Geologischen Diensts von Dänemark und Grönland sowie den Universitäten Fribourg und Utrecht will diese Wissenslücke nun im Projekt „FirnMelt“ schließen. Der europäische Forschungsrat ERC unterstützt das Vorhaben mit dem renommierten Synergy Grant in Höhe von 13 Millionen Euro.
Die Firnschicht ist der Übergang zwischen dem Schnee, der auf dem Eisschild liegt, und dem Eis im Inneren. Sie kann bis zu 100 Meter dick sein und nimmt den größten Teil des Schmelzwassers auf, das jeden Sommer an der Oberfläche des Eisschildes entsteht, wenn Schnee schmilzt. Etwa 90 Prozent des gesamten Eisschildes sind mit Firn bedeckt, jedoch: „Die bedeckte Fläche des grönländischen Eisschildes schrumpft. Wir gehen davon aus, dass der Firn einen großen Teil seiner derzeitigen Fähigkeit, Schmelzwasser zurückzuhalten, verlieren wird“, sagt Prof. William Colgan vom Geologischen Dienst von Dänemark und Grönland (GEUS). Er ist einer der vier Projektleiter von FirnMelt (Greenland's Melting Firn and Ice Sheet Response). „Eines der größten Rätsel ist die kurze Zeitskala, auf der sich der Firn und seine Eigenschaften verändern“, ergänzt Prof. Angelika Humbert vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Wenn ich mir die Veränderungen in den letzten zwei Jahrzehnten ansehe, ist es, als ob der Firn mit Steroiden gedopt ist. Die Schicht wird zunehmend dichter, weil immer mehr Schmelzwasser eindringt, das entweder wieder gefriert, dichte Eisschichten bildet oder sich flüssig zwischen den Poren des Firns ansammelt. Das zeigt, wie schnell sich die Oberfläche der Eisschilde verändert, im Vergleich zu den eher trägen alten Eismassen. Da sind zehn oder 20 Jahre nichts.“
Die Veränderungen in der Firnschicht des grönländischen Eisschildes werden jedoch noch nicht gut genug überwacht: Bisher konzentrieren sich die meisten Studien auf die höchsten Erhebungen des Eisschildes, wo es nur wenig Schmelzwasser gibt. Andere Studien wiederum nehmen die Schmelzzone um den Rand des Eisschildes in den Fokus. Zwischen diesen beiden Bereichen liegt jedoch ein riesiges Gebiet mit einer Firndecke, die sich schnell verändert. Dieses ist noch weitestgehend unerforscht. „FirnMelt ist das erste große, internationale Projekt, das untersucht, wie sich dieser Bereich verändern wird und wie sich das auf den gesamten Eisschild auswirken könnte“, sagt Professor Horst Machguth von der Universität Freiburg in der Schweiz. „Wir müssen herausfinden, wie der gesamte Eisschild darauf reagieren wird, dass sich die wichtige Schutzschicht verändert“, fügt William Colgan hinzu. Sollte beispielsweise immer mehr Schmelzwasser den inneren Teil des Eisschildes und das darunter liegende Gletscherbett erreichen, könnte sich der Gletscher schneller Richtung Ozean bewegen. Das wiederum kann dazu führen, dass mehr Eis in die Ozeane abfließt und letztendlich den Beitrag Grönlands zum Meeresspiegel erhöht.
Modelle, um Schmelzwasser von der Oberfläche des Eisschildes bis zum Ozean zu verfolgen
„Jüngste Forschungen haben gezeigt, dass die derzeit verwendeten Firnmodelle zu vereinfacht sind, viele wichtige Prozesse vernachlässigen und nicht alle Wege des Schmelzwassers durch den Firn abbilden“, so Professor Michiel Van den Broeke von der Universität Utrecht in den Niederlanden. „Um das Schicksal des grönländischen Firns und Schmelzwassers im Zuge des Klimawandels besser prognostizieren zu können, sind neue, innovative Beobachtungen und Modelle erforderlich. Genau das wird das FirnMelt-Projekt ermöglichen.“ Hierfür planen die Forschenden umfangreiche Aktivitäten: Luft- und Satellitenbeobachtungen, Felduntersuchungen vor Ort, die Entwicklung von neuen 3D Modellen sowie KI-Simulationen, die neue, genaue Prognosen zur Firnschicht und dem grönländischen Eisschild bis zum Jahr 2300 erlauben.
„Am AWI werden wir eine Modellierungssuite entwickeln, die mehrere Computermodelle miteinander verbindet“, sagt Angelika Humbert. „So können wir zum Beispiel die Interaktion zwischen Schmelzwasser und Gletschern simulieren.“ Hierfür wird die Arbeitsgruppe um die AWI-Glaziologin ein vollphysikalisches Firnmodell entwickeln, um die Bewegung des Schmelzwassers durch den porösen Firn in hoher Auflösung abbilden zu können. „Wir führen zwei Kampagnen mit unseren Polarfliegern durch, bei denen wir messen, ob Wasser im Eisschild gespeichert ist, über welche Wege es sich zur Basis bewegt und wie hoch die Wassertiefe der supraglazialen Seen auf den Gletschern ist.“ Das AWI wird auch einen neuen Ansatz entwickeln, um die Menge des Wassers im Firn aus dem Weltraum zu messen. „Die Hydrologie des Eisschildes mit all seinen Komponenten zu simulieren, ist etwas, das mich wirklich antreibt“, betont Angelika Humbert. „Es wird eine Herausforderung sein, aber es ist DIE Herausforderung, die wir angehen müssen.
In den kommenden sechs Jahren will das FirnMelt-Team so das umfassendste Modell der Hydrologie des grönländischen Eisschildes erstellen, das den ganzen Weg des Schmelzwassers verfolgt, von der Oberfläche bis zu seiner Basis. Es soll auch abbilden, wie es sich auf, in und unter dem gesamten Eisschild auswirken wird. Die vom Konsortium gesammelten Daten werden in den nächsten Bericht des Weltklimarats IPCC einfließen und während der gesamten Projektdauer öffentlich zugänglich gemacht.
Über den ERC Synergy Grant
Das Projekt ist eines von 66 Projekten, die Mittel aus dem Synergy Grant vom Europäischen Forschungsrat ERC erhalten. Der Grant fördert die Zusammenarbeit zwischen herausragenden Forschenden und ermöglicht es ihnen, ihre Expertise, ihr Wissen und ihre Ressourcen zu bündeln, um gemeinsam komplexe wissenschaftliche Probleme anzugehen. Diese Förderung ist Teil des EU-Forschungs- und Innovationsprogramms Horizont Europa.
Über das FirnMelt Projekt
Partnerinstitutionen:
Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (Deutschland), Geologischer Dienst von Dänemark und Grönland, Universität Fribourg (Schweiz), Universität Utrecht (Niederlande)
Finanzierung: 13 Mio. Euro, Laufzeit: 6 Jahre, beginnend im März 2026