02. September 2025
Online-Meldung

Die marine Kohlenstoffsenke schwächelt

Messungen zeigen: Weltmeere haben während der beispiellosen marinen Hitzewelle 2023 deutlich weniger CO2 aufgenommen als erwartet
Die "Brüllenden Vierziger" (Foto: Frank Roedel)

Extreme Meerestemperaturen führten im Jahr 2023 vor allem im Nordatlantik zu einer starken CO₂-Ausgasung, so dass die Weltmeere insgesamt weniger CO2 aufnahmen. Dank El Niño entwich im Ostpazifik zwar viel weniger CO2 als gewöhnlich, doch das Ausgasen im Nordatlantik machte den positiven Effekt zunichte. Dass der Ozean nicht noch mehr CO2 verlor, liegt an physikalischen und biologischen Prozessen, welche das Ausgasen trotz der Hitze begrenzten. Ob diese kompensierenden Prozesse die marine Kohlenstoffsenke auch bei weiterer Erwärmung wirksam unterstützen, ist ungewiss. Das sind die Ergebnisse eine Studie in der Fachzeitschrift Nature Climate Change unter Leitung der ETH Zürich mit Beteiligung des Alfred-Wegener-Instituts. 

Die Weltmeere sind eine wichtige Senke für Kohlenstoffdioxid (CO2). Bislang nahmen sie rund ein Viertel der menschgemachten CO2-Emissionen aus der Atmosphäre auf und stabilisieren so das globale Klimasystem. Ohne diese Senkenleistung wäre die CO2-Konzentration in der Atmosphäre viel höher und die Erderwärmung hätte das 1,5-Grad-Ziel bereits deutlich überschritten. Gleichzeitig nimmt der Ozean rund 90 Prozent der zusätzlichen Wärme aus der Atmosphäre auf. 

Im Jahr 2023 stiegen die Oberflächentemperaturen der Weltmeere sprunghaft an und erreichten in verschiedenen Regionen Rekordwerte. Der tropische Pazifik war sehr warm – bedingt durch ein starkes El-Niño-Ereignis, das in dieser Meeresregion die Strömungen umkehrt, so dass sich vor der Küste Südamerikas warmes Oberflächenwasser ansammelt und kälteres Wasser nicht mehr aus tieferen Schichten aufsteigen kann. Gleichzeitig erwärmten sich auch die Meere außerhalb der Tropen außerordentlich stark, insbesondere der Nordatlantik.

„Diese sprunghafte Erwärmung des globalen Ozeans auf neue Rekordtemperaturen ist für die Klimaforschung herausfordernd – denn bislang war unklar, wie die marine Kohlenstoffsenke darauf reagiert“, sagt Nicolas Gruber, Professor für Umweltphysik an der ETH Zürich. Ein internationales Forschungsteam hat nun erstmals basierend auf ozeanischen CO2-Messungen von einem globalen Beobachtungsnetzwerk untersucht, ob und wie sich die extremen Temperaturen vor zwei Jahren auf diese Senke auswirkten. Geleitet wurde das Team von ETH-Biogeochemiker Jens Daniel Müller, der bis vor kurzem Postdoc in Grubers Gruppe war. Dr. Judith Hauck vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung war an einer Studie beteiligt, die jetzt im Fachmagazin Nature Climate Change erscheint. Darin zeigen die Forschenden auf, dass der globale Ozean 2023 fast eine Milliarde Tonnen oder rund zehn Prozent weniger CO2 aufnahm als aufgrund früherer Jahre erwartet. Das entspricht etwa der Hälfte der gesamten CO₂-Emissionen der EU oder mehr als dem 20-Fachen derjenigen der Schweiz. „Das ist keine gute Nachricht“, hält Gruber fest, „doch die Abnahme ist kleiner als befürchtet.“

Warmes Wasser löst weniger CO2 

Der Rückgang hat die Forschenden nicht wirklich überrascht. Warum, erklärt Müller anhand eines alltäglichen Phänomens: „Wenn sich ein Glas kohlensäurehaltiges Wasser in der Sonne erwärmt, entweicht gelöstes CO2 als Gas in die Luft“. Dasselbe geschieht auch im Meer. Dass der globale Ozean im Hitzejahr 2023 weniger CO2 aufgenommen hat, war vor allem eine Folge der hohen Wassertemperaturen in den außertropischen Regionen der Nordhemisphäre, insbesondere im Nordatlantik. „Die hohen Temperaturen reduzierten die Löslichkeit des CO2, was zu einem anormalen Ausgasen von CO2 führte und die Senkenleistung verringerte“, erläutert Müller.

Ob der Ozean CO₂ aufnimmt oder abgibt, hängt jedoch nicht nur von der Temperatur ab. Betrachtet man nur die verringerte CO₂-Löslichkeit, müsste die Ausgasung als Folge der hohen Temperaturen im Jahr 2023 gut zehnmal stärker ausgefallen sein. Das hätte die globale marine Kohlenstoffsenke fast vollständig zum Kollabieren gebracht. 

Die Studie zeigt jedoch, dass sich die Senke nur moderat verringerte. Der Grund dafür liegt laut den Forschenden in physikalischen und biologischen Prozessen im Ozean, die der CO2-Ausgasung entgegenwirken und die Senkenleistung stützen. Dies geschieht dadurch, dass diese Prozesse die Konzentration von gelöstem anorganischem Kohlenstoff (dissolved inorganic carbon, DIC) in den oberflächennahen Schichten reduzieren.

Kompensierende Kräfte stabilisieren die Senke

Drei physikalische und biologische Prozesse hielten DIC im Jahr 2023 in den oberflächennahen Schichten tief. Erstens das Entweichen von CO2 selbst. Zweitens verhinderte eine stabilere Schichtung der Wassersäule, dass CO2-reiches Wasser aus den tieferen Schichten an die Oberfläche aufsteigen konnte. Drittens beförderte die biologische Pumpe anhaltend organisch gebundenen Kohlenstoff in die Meerestiefen: Unter der biologischen Pumpe versteht man den Vorgang, bei dem photosynthetische Organismen in den lichtdurchfluteten Schichten CO2 aufnehmen und wachsen, dann absterben und in die Tiefe absinken. 

Diese drei kompensierenden Kräfte – das Entweichen von CO2, die Schichtung der Wassersäule und die biologische Pumpe – stabilisierten die Kohlenstoffsenke. „Somit kann man die Antwort des Ozeans auf die extremen Temperaturen von 2023 als Resultat eines permanenten Tauziehens zwischen Temperatur-bedingtem Ausgasen und gleichzeitiger Verarmung an gelöstem CO2 verstehen“, sagt Gruber.

El-Niño-Effekt überdeckt

Auf ähnliche Weise erklären die Forschenden den Einfluss des El Niño von 2023 auf die marine Kohlenstoffsenke: Während eines El Niños schwächt sich die Zirkulation im tropischen Pazifik ab, so dass weniger kaltes und CO2-reiches Wasser an die Oberfläche aufsteigt. Das führt dazu, dass der tropische Ostpazifik, der in normalen Jahren sehr große Mengen an CO2 an die Atmosphäre abgibt, während El Niño-Jahren praktisch kein CO2 ausgast. El Niño fördert dadurch die globale Senkenleistung des Ozeans – trotz der starken Erwärmung. 

Das war auch im Jahr 2023 der Fall. „Allerdings hat die starke Erwärmung des außertropischen Ozeanes den El-Niño-Effekt im tropischen Pazifik ausgehebelt“, bilanziert Müller. Tatsächlich war das Temperatur-getriebene Ausgasen von CO2 vor allem im Nordatlantik so stark, dass es die CO2-Aufnahme in den Tropen überdeckte. Das führte im El-Niño-Jahr 2023 unter dem Strich zu einem Rückgang der marinen Kohlenstoffsenke.

Die Studie ist eine der ersten, die es auf Basis von Beobachtungen erlaubt, einen Blick auf das Verhalten eines erwärmten Ozeans zu werfen. “Wie sich die Senkenleistung künftig entwickeln wird, können wir aber noch nicht sicher sagen“, hält Müller fest. Klar ist: Seit den Rekordtemperaturen 2023 haben sich die Weltmeere kaum abgekühlt. Die Erde erwärmt sich weiter. Hitzewellen werden häufiger und intensiver. „Ob die kompensierenden Mechanismen langfristig wirksam bleiben und das Temperatur-bedingte Ausgasen begrenzen, ist hingegen unklar“, gibt Gruber zu bedenken. Die beiden Forschenden räumen ein, dass die marine Kohlenstoffsenke in Zukunft weniger CO2 absorbieren könnte. „Vorläufig nimmt der globale Ozean aber immer noch sehr viel CO2 auf – zum Glück“, sagt Gruber.

Originalpublikation:

Müller JD, Gruber N, Schneuwly A, Bakker DC, Gehlen M, Gregor L, Hauck J, Landschützer P, McKinley GA: Unexpected decline of the ocean carbon sink under record-high sea surface temperatures in 2023. Nature Climate Change (2025). doi: 10.1038/s41558-025-02380-4

Diese Meldung erschien zuerst bei der ETH-Zürich. 

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