Eine Schatzkammer für Kenner

Das Hustedt-Zentrum für Diatomeenforschung wird 50 Jahre alt. Zeit, einen Blick auf diese bedeutende Kollektion und das einzigartige Lebenswerk dahinter zu werfen.

Am Eingang klebt ein einfacher A4-Ausdruck versehen mit einem Kreis kunstvoll angeordneter Kieselalgen und den Worten „Friedrich-Hustedt-Zentrum für Diatomeenforschung“. Wem der Name nichts sagt, den lässt der Zettel kaum erahnen, dass sich hinter dieser Tür eine der weltweit größten und wertvollsten Kieselalgen-Sammlungen verbirgt. Mehr als 100.000 Präparate und 50.000 Proben von Kieselalgen – auch Diatomeen genannt – lagern hier sorgfältig einsortiert in Holzboxen.

Das Lebenswerk eines Diatomeenforschers

Der Großteil dieser Sammlung geht, wie der Name vermuten lässt, auf Dr. Friedrich Hustedt zurück. Für den Bremer Kunstlehrer und späteren Schuldirektor war das Mikroskopieren von Diatomeen zunächst ein Hobby. „Hustedt hat eigene Proben aus lokalen Gewässern genommen und sie sehr sorgfältig aufbereitet. Über die Jahre hat er so rund 2000 neue Kieselalgen-Arten beschrieben und über 7000 detailgetreue Skizzen der Einzeller angefertigt“, erzählt Bánk Beszteri, Kurator des Friedrich-Hustedt-Zentrums.

Neben den lokalen Arten sammelte Hustedt auch Proben und Präparate aus aller Welt. Manche von ihnen sind inzwischen fast 150 Jahre alt und historisch und wissenschaftlich äußerst wertvoll, wie die Proben des norwegischen Polarentdeckers Fritjof Nansen, oder auch von der Gauß-Expedition, der ersten deutschen Antarktis-Expedition. Den wahren Wert der Sammlung erkennen oft nur Kenner: „Manchmal ist uns nicht einmal bewusst, wie wertvoll ein Präparat ist – bis ein Wissenschaftler vor lauter Freude über einen Fund Bremerhaven kaum verlassen möchte“, erzählt Friedel Hinz, die sich 38 Jahre lang als technische Assistentin der Sammlung gewidmet hat.

Über ein halbes Jahrhundert forschte Hustedt an seiner privaten Sammlung, die zu der weltweit größten ihrer Art heranwuchs. „Als Hustedt älter wurde, wollte er sicher gehen, dass sein Werk auch nach seinem Ruhestand erhalten bleibt. Deshalb hat er seine Sammlung an die Stadt Bremen verkauft. Allerdings mit der Auflage, dass die Sammlung komplett bleiben muss“, sagt Bánk Beszteri. So wurde vor genau 50 Jahren der Friedrich-Hustedt-Arbeitsplatz für Diatomeenkunde am Institut für Meeresforschung in Bremerhaven errichtet. Beide gingen im Jahr 1986 ans AWI über.

Hustedts Kollektion ist seitdem nicht nur komplett verblieben – sie wächst stetig weiter. „Pro Jahr schicken uns Diatomeen-Forscher aus aller Welt rund 100 Proben und Präparate. Teilweise bekommen wir sogar ganze Sammlungen als Nachlass. Und natürlich bringen AWI-Wissenschaftler jedes Jahr neue Proben von ihren Polarstern-Expeditionen mit“, erklärt Friedel Hinz.

Eine historische Sammlung für aktuelle Forschung

Allein das zeigt: Das Friedrich-Hustedt-Zentrum für Diatomeenforschung beherbergt keineswegs eine verstaubte Sammlung. „Es ist ein Ort, an dem aktiv geforscht wird. Wir haben beispielsweise häufig Taxonomen zu Besuch, die neue Arten beschreiben und ihre Entdeckung mit unseren Präparaten abgleichen wollen. Aber Kieselalgen sind auch die wichtigsten Primärproduzenten der Polargebiete; dementsprechend sind sie für Wissenschaftler aus ganz unterschiedlichen Bereichen unseres Instituts alltägliche Forschungsobjekte“, erzählt Bánk Beszteri.

Um ein paar Beispiele zu nennen: Geologen untersuchen Kieselalgen, um Schlüsse über vergangene Klimaveränderungen zu ziehen, während Biogeochemiker beobachten, wie die Einzeller das Kohlendioxid-Gleichgewicht zwischen der Atmosphäre und dem Ozean beeinflussen. Plankton-Ökologen wiederrum erforschen, inwiefern sich die Verbreitungsgebiete der Algen durch den Klimawandel verschieben und Ökophysiologen gehen der Frage nach, ob die Photosynthese der Diatomeen durch die steigende Temperatur und den sinkenden pH-Wert des Meerwassers beeinträchtigt oder eventuell begünstigt wird. Bioniker interessieren sich schließlich mehr für die vielfältigen und häufig kunstvollen Silikatschalen der Kieselalgen. Denn die filigranen und dennoch robusten Formen dienen ihnen als Vorbild dafür, wie man mit einem Minimum an Materialeinsatz die maximale Stabilität erreichen kann – sei es für Autofelgen, Waschmaschinen oder Windräder.

Ein Zentrum mit einer offenen Tür für alle

„Wir freuen uns immer, wenn wir unseren Kollegen weiterhelfen können – ganz egal aus welchem Forschungsbereich sie kommen. Das motiviert uns auch, unsere Sammlung weiterhin besser zu vernetzen und sie für jeden zugänglich zu machen“, sagt Bánk Beszteri. Ein fortlaufendes Projekt ist deshalb auch der Ausbau der Hustedt-Sammlungsdatenbank. Die Daten für über 50.000 Präparate haben Friedel Hinz und ihre Kollegen hierfür bereits gesammelt und online gestellt (hustedt.awi.de) – so dass diese einzigartige Sammlung weiterhin nicht nur denen zur Verfügung steht, die den Schritt durch den Eingang mit der anspruchslosen Beschriftung wagen.


(Kristina Bär, im März 2015)