16. Oktober 2025
Online-Meldung

Schwankungen des Meeresspiegels während des Pleistozäns

Neue Science-Studie verändert unser Verständnis vergangener Eiszeitzyklen
Schneebedeckte Gletscher in der kanadischen Arktis. (Foto: Stefan Hendricks)

Große Schwankungen im globalen Meeresspiegel, die durch Wachstum und Zerfall von Eisschilden verursacht wurden, traten während des gesamten Pleistozäns auf und nicht nur gegen Ende dieser Periode. Dies geht aus einer aktuellen Studie in der Fachzeitschrift Science hervor, an der ein Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) beteiligt war.

Die Ergebnisse stellen eine bedeutende Veränderung im wissenschaftlichen Verständnis dar, wie sich das Klima im Pleistozän - der geologische Periode von etwa 2,6 Millionen bis 11.700 Jahren vor heute - entwickelt hat, sagte Peter Clark, ein Paläoklimatologe an der Oregon State University (OSU) und Hauptautor der Studie. „Dies ist ein Paradigmenwechsel in unserem Verständnis der Geschichte von Eiszeiten“, sagte Clark, Universitätsprofessor am College of Earth, Ocean, and Atmospheric Sciences der OSU.

Während des Pleistozäns erlebte die Erde Zyklen großer Meeresspiegelschwankungen, die hauptsächlich durch die Bildung und das Schmelzen großer Eisschilde über den nördlichen Gebieten Nordamerikas und Eurasiens verursacht wurden. Diese Veränderungen sind in den Schalenresten mikroskopisch kleiner Meeresorganismen aufgezeichnet, den so genannten Foraminiferen, die in den Sedimenten der Ozeane zu finden sind und durch Bohrkerne gesammelt werden, so dass Wissenschaftler:innen einen wichtigen Einblick in die Klimageschichte der Erde erhalten.

Als vor fast 50 Jahren die erste Rekonstruktion des globalen Meeresspiegels während des Pleistozäns veröffentlicht wurde, ging die Wissenschaft davon aus, dass es vor etwa 1,25 Millionen bis 700.000 Jahren vor heute eine Übergangsphase gab, die als mittleres Pleistozän bekannt ist und in der sich die Größe der Eisschilde und der Zyklus von Bildung und Schmelzen änderten. „Vor diesem Übergang traten die Vergletscherungszyklen etwa alle 41.000 Jahre auf. Nach dem Übergang traten die Zyklen etwa alle 100.000 Jahre auf und hatten eine größere Amplitude“, sagte Clark. „Alle Theorien, die zur Erklärung dieses Übergangs entwickelt wurden, konzentrierten sich auf eine Zunahme der Größe der Eisschilde während dieses Übergangs. Jede Rekonstruktion des Meeresspiegels seit dieser ersten Studie ergab bis heute die gleiche Geschichte.“

Bisher hatten die Wissenschaftler zwei führende Hypothesen, um zu erklären, warum dieser Übergang stattfand. Die eine besagt, dass die globale Abkühlung durch die sinkende atmosphärische Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) zu dem Zykluswechsel beigetragen hat, die andere, dass Veränderungen in der Bewegung der Eisschilde eine Rolle gespielt haben. In der neuen Studie haben die Wissenschaftler die Veränderungen des Meeresspiegels während der letzten 4,5 Millionen Jahren rekonstruiert. Sie fanden heraus, dass die Meeresspiegeländerungen während vieler Vergletscherungszyklen des frühen Pleistozäns, als die Zyklen 41.000 Jahre dauerten, genauso groß waren wie während der jüngeren Zyklen.

Die Tatsache, dass diese großen Eisschilde während dieser Zeit existierten, bedeute, dass ihre Entstehung und ihr Zerfall wahrscheinlich eher durch interne Rückkopplungen im Klimasystem als durch externe Dynamik beeinflusst wurden. Diese Erkenntnis stellt die konventionellen Hypothesen über den Übergang des mittleren Pleistozäns in Frage und zwingt die Wissenschaft, neue Erklärungen zu entwickeln. Die Fähigkeit, die Klimavergangenheit zu rekonstruieren, erlaubt ein besseres Verständnis für das Erdsystem und die darin enthaltenen Wechselwirkungen. Laut der Autoren ist es wichtig darüber nachzudenken, wie die heute existierenden zwei großen Eisschilde in der Antarktis und in Grönland unter verschiedenen Bedingungen existieren können.

Diverse noch zu messende Klimazeitreihen über mindestens die vergangenen 1,2 Millionen Jahre geben den Wissenschaftlern schon bald die Möglichkeit, diese neuen Meeresspieländerungen weiteren Tests zu unterziehen. Diese Daten aus einem neuen antarktischen Eiskern, der im europäische Projekt Beyond EPICA – Oldest Ice über die vergangenen Jahre erbohrt wurde und an dem das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) beteiligt ist, werden bald für derartige Tests zur Verfügung stehen. Mitautor der aktuellen Science-Studie Peter Köhler vom AWI sagt: „Ich erwarte, dass wir aus den neuen Daten, insbesondere CO2, die innerhalb des Beyond EPICA Projektes in den kommenden Jahren gemessen werden, Erkenntnisse gewinnen werden, die uns in die Lage versetzen, die Meeresspiegelschwankungen vor und während des mittleren Pleistozäns und die dahinterliegenden Prozesse besser zu verstehen.“ 

Originalpublikation:

Peter Clark, Steven W. Hostetler, Nicklas G. Pisias, Jeremy D. Shakun, Yair Rosenthal, David Pollard, Peter Köhler, Patrick J. Bartlein, Jonathan M. Gregory, Chenyu Zhu, Daniel P. Schrag, Zhengyu Liu: Global mean sea level over the past 4.5 million years, Science 390 (2025). DOI: 10.1126/science.adv8389 

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