19. Juni 2025
Pressemitteilung

Wenig erforschte Strömung wirkt sich auf das winterliche Meereis in der Arktis aus

Ein Forschungsteam vom Alfred-Wegener-Institut hat zum ersten Mal Erkenntnisse über eine Strömung in der Barentssee gewonnen, die das Arktische Meereis beeinflusst
Blick über das Meer (Foto: Stefan Hendricks)

In den letzten Jahrzehnten hat sich das Arktische Meereis immer mehr zurückgezogen, zunehmend auch im Winter, wenn die Meereisausdehnung am ausgeprägtesten ist. Als ein Hauptreiber hierfür gilt die Erwärmung des Atlantikwassers, das aus dem europäischen Nordmeer in den Arktischen Ozean strömt und dabei die Barentssee und die Framstraße passiert. Nicht das gesamte Atlantikwasser, welches in die Barentssee einströmt erreicht jedoch das Meereis. Ein Teil des Atlantikwassers rezirkuliert, das heißt es ändert seine Richtung und strömt als eigenständige Strömung wieder zurück in das Europäische Nordmeer ohne direkt mit dem Meereis in Kontakt zu kommen. Welchen indirekten Einfluss diese Strömung, die einströmendes Atlantikwasser unmittelbar wieder aus der Barentssee hinaus transportiert jedoch auf das Meereis der Barentssee hat, konnte jedoch bisher nicht hinreichend untersucht werden. Ein Forschungsteam des Alfred-Wegener-Instituts hat nun in Modellsimulationen herausgefunden, dass dieser Rückstrom aus der Barentssee maßgeblich beeinflusst, wie viel Meereis sich in der Barentssee im Winter bildet. Die Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden in der Fachzeitschrift Nature Communications.

Die Barentssee ist neben der Framstraße eines von zwei Einfallstoren, durch die warmes und salziges Wasser aus dem Atlantik in den Arktischen Ozean einströmt. Ist das einströmende Atlantikwasser wärmer als im Langzeitmittel oder strömt außerordentlich viel Atlantikwasser ein, erwärmt sich die Barentssee und die Eisbedeckung fällt im Winter geringer aus. Ist das Atlantikwasser kühler oder der Einstrom schwach kann viel Eis entstehen. Bevor das Atlantikwasser durch die Strömungen in der Barentssee zum Meereis transportiert wird, rezirkuliert jedoch ein Teil vom Meereis weg und wird zurück in das europäische Nordmeer transportiert. Dieser rezirkulierte Teil kann das Meereis also nicht mehr beeinflussen. Die Stärke und die Schwankungen eben dieses Rückstroms konnten jedoch bisher noch nicht hinreichend vermessen werden, obwohl sie eine wichtige Rolle dafür spielen könnten, wie viel Atlantikwasser das Meereis tatsächlich erreicht: „Es gibt einige wenige Beobachtungen, die nahelegen, dass der Rückstrom einen erheblichen Teil des Atlantikwassers unmittelbar wieder aus der Barentssee hinaus transportiert. Es schien somit naheliegend, dass natürlich auftretende Schwankungen und ein möglicher Langzeittrend dieser Strömung wichtige Faktoren für das Meereis sein könnten“, sagt Dr. Finn Heukamp, Erstautor der Studie vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. „Die Menge des Atlantikwassers, welches zwar in die Barentssee einströmt aber diese durch Rezirkulation unmittelbar wieder verlässt, kann erhebliche Auswirkungen darauf haben, wie sich das Meereis Jahr zu Jahr aber auch langfristig ausbilden kann.“

Der Rückstrom aus der Barentssee ist bisher weniger gut dokumentiert als der Einstrom, dessen Stärke und Schwankungen durch Langzeitmessungen bekannt sind. „In solchen Fällen sind Computermodelle, die den Ozean nachbilden, eine sehr gute erste Informationsquelle, die uns das Geschehen untersuchen lassen. Deshalb haben wir mit einem hochauflösenden, globalen Ozean- und Meereismodell den Rückstrom von warmen Atlantikwasser zwischen 1979 und 2019 simuliert“, sagt Finn Heukamp. Was der AWI-Ozeanograph und seine Mitforschenden fanden, war, dass die Menge des Atlantikwassers, das wieder aus der Barentssee herausfließt, tatsächlich beeinflusst, wieviel Meereis sich bilden kann. „Wenn der Rückstrom schwächer ist, wird weniger Atlantikwasser wieder unmittelbar hinaus transportiert. Anstatt die Barentssee zu verlassen, strömt dieses Atlantikwasser durch sie durch und erwärmt sie. Die Folge ist, dass sich in diesen Jahren weniger neues Meereis bildet und bereits vorhandenes schneller schmilzt.“ Im Gegensatz dazu führe ein starker Rückstrom zu mehr Eis in der Barentssee, da ein großer Teil des warmen Atlantikwassers unverzüglich aus der Barentssee heraus transportiert wird, bevor es das Meereis erreichen und beeinflussen kann. 

Immer mehr warmes Atlantikwasser kann das Meereis erreichen

Es ist also nicht nur wichtig, wieviel warmes Atlantikwasser in die Barentssee einströmt, sondern auch, wieviel davon die Barentssee unmittelbar wieder verlässt. Eben diese Menge ist seit 1979 immer geringer geworden: So zeigt die Simulation, dass es zwar von Jahr zu Jahr stark variiert, wieviel Atlantikwasser wieder hinausströmt, aber der Rückstrom sich im Allgemeinen erkennbar abschwächt, wodurch mehr warmes Wasser das Meereis erreicht. In der Simulation hat sich der Rückstrom seit 1979 bereits um etwa die Hälfte reduziert. Diese Entwicklung trägt zum beschleunigten Verlust des Meereises in der Barentssee bei.

Während die Menge des warmen Atlantikwassers, das im Winter aus der Barentssee hinausströmt, über die Zeit abgenommen hat, ist im Einstrom kein Trend zu erkennen. Die Schwankungen der Temperatur und die generelle Erwärmung des Einstroms sind jedoch auch im Rückstrom zu finden. „Im Modell ist der Zufluss im Winter durchgehend wärmer und stabiler als der Rückfluss, der etwas kühler aber sehr viel variabler ist.“ Dass die Temperaturen der beiden Strömungen scheinbar zusammenhängen, nicht aber die Menge des ein- und ausströmenden Wassers, deutet auf einen permanenten Rückstrom aber unabhängige (atmosphärische) Antriebsmechanismen in der Barentssee hin, die den Zu- und Rückfluss steuern. So ist die Stärke des Zuflusses von Atlantikwasser weitgehend an das großskalige Windmuster der Nordatlantischen Oszillation gebunden, während der Rückfluss stark von lokalen Wettersystemen über Spitzbergen abzuhängen scheint.

„Unsere Studie kann als Ausgangspunkt dienen, um eben jene Prozesse zu identifizieren, die den Rückfluss in der Barentssee maßgeblich antreiben,“ fasst Finn Heukamp zusammen. „Wir beleuchten zum ersten Mal einen bislang unbeachteten Mechanismus im ozeanischen System der Arktis, der direkte Auswirkungen auf die Ausdehnung des Meereises hat.“ Das hat eine große Relevanz für Klimamodelle und liefert wichtige Impulse für genauere Zukunftsprojektionen zum arktischen Klimawandel.

Originalpublikation

Atlantic Water Recirculation in the Northern Barents Sea Affects Winter Sea Ice Extent. Finn Ole Heukamp, Claudia Wekerle, Torsten Kanzow, Rebecca McPherson, Till M. Baumann. Nature Communications (2025). DOI: 10.1038/s41467-025-59992-9 

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