PS100 - Wochenbericht Nr. 6 | 22. - 28. August 2016

Am 79° Gletscher

[29. August 2016] 

Wir haben gestern die Arbeiten in unmittelbarer Nähe des 79°N Gletschers abschließen können, und befinden uns nun am südlichen Ende des Westwind Trogs auf dem inneren Schelf. Die äußeren Bereiche dieser Rinne hatten wir schon zu einem früheren Zeitpunkt im Verlauf dieser Expedition erkundet.

In der vergangenen Woche standen vielfältige Forschungstätigkeiten nahe der Kalbungsfront des 79°N Gletschers an. Dieses Glück war uns vergönnt, da westliche Winde das zuvor in der Bucht vor dem Gletscher gelegene Meereis und auch die Eisberge aus nach Osten vertrieben hatten. So konnten wir über mehrere Tage hinweg den Meeresboden kartieren, Sedimentproben gewinnen, hydrographische Verteilungen und die Zirkulation des Atlantikwassers ermitteln sowie Wasserproben erlangen. Zusätzlich waren durch das sehr freundliche Wetter viele Helikopter gestützte Einsätze möglich, so dass wir alle geodätischen und seismologischen Stationen vom grönländischen Festland erfolgreich bergen und zusätzlich noch zwei Eisradarsysteme auf dem 79°N Gletscher installieren konnten. Letztere werden im Verlauf eines Jahres die Stärke des Abschmelzens an der mit Meerwasser in Kontakt stehenden Eisunterseite des Gletschers kontinuierlich aufzeichnen, bevor sie in einem Jahr wieder geborgen werden sollen.  

In diesem Wochenbericht möchten wir nun näher auf die geodätischen Arbeiten auf dieser Expedition eingehen.  Das geodätische Messprogramm auf dem grönländischen Festland umfasst zehn Stationen, welche 2008 mit einem Spezialbolzen fest vermarkt und vermessen wurden. Im Jahr 2009 erfolgte die erste Wiederholungsmessung einiger dieser Punkte. Ziel der Messungen ist es mittels „Global Navigation Satellite Systems“ (GNSS) die horizontale und vertikale Landbewegung zu bestimmen. Die vertikale Komponente gibt die Krustendeformation (Hebung/Senkung) wieder, welche auf Grönland durch historische und heutige Eismassenänderungen dominiert wird. Der langfristige Landhebungseffekt wird als glazialisostatischer Ausgleich (GIA) bezeichnet und beträgt in Grönland bis zu fünf Millimetern pro Jahr. Die horizontalen Bewegungen werden zum größten Teil durch Verschiebungen der Kontinentalplatten im globalen Puzzle der Plattenbewegungen verursacht.

Im Laufe der letzten Wochen konnten von den zehn geplanten Stationen acht besetzt werden. Zusätzlich wurde eine weitere Station mit Hilfe einer Eisenstange auf dem 79°N Gletscher aufgebaut. Diese soll die Reaktion des Gletschers auf die Gezeiten messen. Um die Punkte auf dem Festland zu erreichen, wurden 16 Helikoptereinsätze durchgeführt. Im Feld wird dann die Antenne direkt auf den fest vermarkten Punkt geschraubt. In einer Aluminiumkiste befinden sich der Receiver, der zum Aufzeichnen der empfangenen Signale dient, ein Laderegler und eine Batterie. Zusätzlich versorgen zwei Solarpanels die Station mit Energie. Damit eine Auswertung mit hinreichender Genauigkeit möglich wird, muss jede Station mindestens über drei volle 24 Stunden Zyklen (jeweils von 0:00 -24:00 UTC) hinweg kontinuierlich Messdaten aufzeichnen. Durch diesen Aufbau und der im Anschluss erforderlichen Auswertungen, basierend auf reprozessierten Satellitenorbits, wird eine Messgenauigkeit von 2-3 Millimetern in der horizontalen und 4-5 Millimetern in der vertikalen Komponente erreicht. Dadurch kann der oben genannte GIA-Effekt hinreichend genau bestimmt werden.

Zur Eingrenzung der GIA-Modellierung sind insbesondere GNSS-Beobachtungen auf anstehendem Gestein notwendig, da sie die einzige unabhängige Information über die Deformation der Erdkruste darstellen. Die Ergebnisse liefern somit einen wertvollen Beitrag zur Validierung und Verbesserung von Modellen der Glazialgeschichte sowie der rezenten Massenbilanz Nordostgrönlands.

 

Herzliche Grüße von Polarstern senden Torsten Kanzow, Benjamin Ebermann und Andrei Krämer

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