22. Juni 2015
Wochenbericht

Zurück in die Zukunft

Die nördlichste Position der TRANSSIZ-Expedition ist erreicht
Abb. 2: Die Decksmannschaft beim Einholen des Schwerelotes (Foto: Kirstin Werner, BPCRC)

Anfang dieser Woche haben wir die nördlichste Position unserer Expedition erreicht, den westlichen Hang des Yermak-Plateaus. Trotzdem wir die vorher nicht überwindbar scheinenden 82° Nord auf unserem Transit zum Yermak-Plateau endlich überschreiten konnten, fand unsere sechste Eisstation nicht wie geplant am westlichen Rand des Plateaus statt.

Denn bei ungefähr 82°13‘ Nord hatte uns das Eis erneut seine Grenzen aufgezeigt und ein weiteres Vordringen in Richtung Schelfhang verhindert. Unsere Hoffnung, den „Schollendriftantrieb“ zu nutzen, um südwestlich auf 1000 m Wassertiefe am Hang entlang zu driften, wurde zusätzlich durch eine Drehung des Windes auf Nord zunichte gemacht. Ursprünglich hatten wir im Bereich der 1000 m-Tiefenlinie ein geologisches Arbeitsprogramm vorgesehen. Vergleichbare Sedimentlagen konnten wir aber auch am östlichen Hang des Plateaus lokalisieren, wo die Geologie-Arbeitsgruppe am vergangenen Mittwoch zwei lange Sedimentkerne mit dem Schwerelot ziehen konnte. Die Geologie-Arbeitsgruppe auf dieser Expedition besteht aus neun Personen, die sechs Forschungsinstituten in fünf verschiedenen Ländern angehören. In dieser internationalen Truppe sind sowohl echte Polarstern-Veteranen als auch -Neulinge. So vielfältig diese Arbeitsgruppe zusammengesetzt ist, so breit gefächert sind auch die verschiedenen Forschungsfelder, die sie abdecken. Diesen Arbeiten beinhalten zunächst die Vermessung des Meeresbodens mit dem schiffseigenen Bathymetrie-System ATLAS Hydrosweep DS3 und dem Sedimentecholot Parasound. Seit Beginn der Expedition ist das Fächerecholot im Einsatz und liefert Informationen über die Topographie des Meeresbodens. Das Fächerecholot ‚scannt‘ den Meeresboden, indem es akustische Signale fächerförmig aussendet und die am Meeresboden reflektierten Signale wieder empfängt. Über die Laufzeit der einzelnen Signale berechnet sich die Tiefe, und so erhalten wir entlang unserer Route einen mehrere Kilometer breiten Streifen mit genauen Tiefeninformationen. Jeder neu vermessene Quadratmeter liefert wertvolle Informationen, die in globale Datensätze eingehen und somit die Tiefenkarte des Arktischen Ozeans kontinuierlich verbessern. Das Sedimentecholot Parasound erlaubt dagegen Aussagen über die Zusammensetzung und Entstehung der Ablagerungen am Meeresboden. So hinterlassen Eisschelfe und Eisberge oft so genannte „Pflugspuren“ am Meeresgrund, die mit gröberen Sedimenten gefüllt sein können. Solche Spuren, die nördlich von Spitzbergen (Abbildung 1) und auf dem Yermak-Plateau gefunden wurden, liefern Informationen zur Bewegungsrichtung, Ausdehnung und Mächtigkeit der ehemals gewaltigen Eiskörper.

Parasound-Informationen zur Art und Schichtung der abgelagerten Sedimente sind besonders wichtig um geeignete Ablagerungen zu finden, die für die verlässliche Rekonstruktion von Klima- und Umweltbedingungen der Vergangenheit wesentlich sind. Wird eine passende Stelle lokalisiert, kann der Schlamm am Meeresboden mit verschiedenen Geräten beprobt werden. Alle Instrumente funktionieren durch das sehr simple Prinzip der Schwerkraft – Rohre oder Kästen werden durch Bleigewichte ins Sediment gedrückt. Schwerkraft allein genügt allerdings nicht, um diese Geräte erfolgreich einzusetzen: Zu jeder Tages- und Nachtzeit können wir uns auf die Einsatzbereitschaft der gut ausgebildeten Decksmannschaft verlassen (Abbildung 2). Großkastengreifer und Multicorer (Abbildung 3) dringen etwa 50 cm tief in den Meeresboden ein und sind ideal, um eine intakte Sedimentoberfläche zu erhalten. Auf dieser Expedition ist der Multicorer zusätzlich mit einem Online-Kamerasystem ausgerüstet, das hochaufgelöste Bilder vom Meeresboden per Lichtwellenleiter aufs Schiff überträgt (Abbildung 4).

Speziell beim Einsatz solcher moderner Tiefseetechnologie ist die Unterstützung der erfahrenen Mannschaft unerlässlich (Abbildung 5). Für die Erstellung langer Klimazeitreihen, in unserem Fall für die vergangenen 100.000 bis 200.000 Jahre, werden Schwerelot und Kastenlot eingesetzt, mit denen im Idealfall über 10 m lange Sedimentkerne gewonnen werden können. So wurde bereits eine Woche zuvor mit einem Kastenlot einen 9 m langen Sedimentkern auf dem nordöstlichen Yermak-Plateau gezogen. Nach ersten Untersuchungen an Bord könnte er uns Informationen zur Klimageschichte der vergangenen 50.000 bis 150.000 Jahre liefern (Abbildung 6).

Im Nasslabor werden diese geschichteten Ablagerungen aus den Sedimentkernen beprobt (Abbildung 7) und in einem Kühlcontainer aufbewahrt, um später daran verschiedene physikalische, chemische oder mikropaläontologische Parameter zu messen.

Bereits bei der Beprobung ist gute Organisation und Vorbereitung gefragt: Sedimentproben, die auf bestimmte organische Moleküle untersucht werden sollen, dürfen beispielsweise nicht mit Plastik in Kontakt kommen (Abbildung 8). Andere Proben müssen sofort eingefroren werden, um die Oxidation bestimmter Minerale an der Luft zu verhindern. Die Geologie-Gruppe deckt eine ganze Reihe von Untersuchungsmethoden ab. Diese verschiedenen Methoden erlauben Aussagen zu spezifischen Umweltbedingungen in der geologischen Vergangenheit - beispielsweise wie intensiv das Oberflächenwasser im Arktischen Ozean über die letzten 20.000 Jahre von Meereis bedeckt war, aus welcher Richtung das Meereis gedriftet ist, oder wie viel Futter für benthisch lebende Organismen am Meeresboden zur Verfügung stand. Die Driftrichtung des Meereises und ihre Veränderung über die vergangenen Jahrtausende können durch verschiedene Methoden rekonstruiert werden. Solche Methoden beruhen meist auf einer detaillierten Kenntnis der Geologie in den verschiedenen Landgebieten rund um den Arktischen Ozean. So können bestimmte Mineralien oder chemische Elemente in unseren Sedimentkernen ganz bestimmten Gesteinsformationen an Land zugeordnet werden. Damit kann man rekonstruieren, welchen Weg kleinste Sedimentpartikel mit dem driftenden Eis übers Meer genommen hat.

Aber auch die Spuren und Überreste verschiedener Lebewesen in den arktischen Sedimenten können eine Vielzahl von Informationen liefern. Meereis-Rekonstruktionen des Oberflächenwassers basieren zum Beispiel auf der Analyse bestimmter organischer Substanzen im Sediment (so genannter Biomarker), die in einem aufwändigen Extraktionsprozess isoliert und dann quantifiziert werden. Einer dieser Indikatoren ist der TEX86-Index, dessen Anwendung im Arktischen Ozean allerdings bislang noch nicht vollständig etabliert ist – unsere Untersuchungen können hier einen entscheidenden Beitrag leisten. Ein klassisches Archiv für Umwelt- und Klimarekonstruktionen sind die Schalen von in der Wassersäule und am Meeresboden lebenden Einzellern wie Foraminiferen. Ihre Schalen können aus Kalziumkarbonat oder Sedimentpartikeln bestehen. Ihr Auftreten, die An- oder Abwesenheit bestimmter Arten, und die chemische Zusammensetzung ihrer Gehäuse ermöglichen detaillierte Aussagen beispielsweise zur Verteilung verschiedener arktischer Wassermassen in der Vergangenheit, deren Karbonatchemie, dem pH-Wert oder der Bioproduktivität im ehemaligen Oberflächenwasser. Vor allem aber sind Foraminiferen extrem wertvoll, um das Alter der Sedimentschichten zu bestimmen – diese grundlegende Information ist für alle Rekonstruktionen von Umweltparametern von zentraler Bedeutung, da sie nur so in einen zeitlichen Zusammenhang gestellt werden können. Zum einen kann die geologische Zeitspanne des Auftretens bestimmter Foraminiferen-Arten als Altersindikator für die gefundenen Sedimente dienen, zum anderen kann man mit Hilfe der Radiokohlenstoff-Isotopie ihre Gehäuse bis zu einem Zeitraum von ca. 45.000 Jahren vor heute exakt datieren.

Erste Hinweise zum Alter der neu gewonnenen Sedimentkerne kommen außerdem von geophysikalischen Analysen, die direkt an Bord an den noch geschlossenen Kernen durchgeführt wurden. Der Multi-Sensor Core Logger (Abbildung 9) bestimmt magnetische Suszeptibilität und die Dichte der Sedimente in sehr hoher Auflösung. Diese Datensätze können direkt an Bord mit denen bereits datierter Kerne in der Literatur verglichen werden. Ebenfalls untersucht wird der Abbau von organischem Material – Überreste abgestorbener Pflanzen und Tieren – im Meeresboden. Diese Abbauprozesse können lebenswichtige Nährstoffe ins Meerwasser zurückführen, aber auch die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Sedimente lange Zeit nach deren Ablagerung verändern. Diese so genannten frühdiagenetischen Prozesse hinterlassen charakteristische Spuren im Porenwasser der Sedimente, das wir mit Hilfe von Rhizonen – „künstlichen Wurzeln“ – aus dem Sediment extrahieren und teilweise direkt an Bord analysieren (Abbildung 10).

Ein wichtiges Forschungsprojekt auf dieser Expedition ist außerdem der Vergleich der aus den Oberflächensedimenten gewonnenen geologischen Informationen (so genannte Proxy-Parameter) mit den biologischen und physikalischen Eigenschaften der darüber liegenden heutigen Wassermassen. Diese Proxy-Kalibration erfordert nicht nur eine Beprobung und Analyse der Oberflächensedimente und Sedimentabfolge, sondern auch des heutigen Meerwassers, sowie deren Planktongemeinschaft und Schwebstoffe. Nur so kann man zum Beispiel Aussagen darüber treffen, wie eine bestimmte chemische Zusammensetzung der Karbonatschale von Mikrofossilien, zum Beispiel der von Foraminiferen, mit klar definierten Meerwasser-Temperaturen, -Karbonatchemie oder pH-Werten zusammenhängt. Solche qualitativen oder quantitativen Zusammenhänge herzustellen ist extrem wichtig, da nur eine solche Kalibration eine korrekte Interpretation der vergangenen Umweltinformationen, die in den Sedimentabfolgen aufgezeichnet sind, erlaubt. Daher arbeitet diese Gruppe nicht nur an den Ablagerungen am Meeresboden. Sie sind auch auf den Eisstationen aktiv, wo Eisbohrkerne genommen werden und unter dem Eis mit Netzen nach lebenden Foraminiferen gefischt wird (Abbildung 11). Ebenso wird die Wassersäule beprobt, um deren aktuelle chemische und physikalische Parameter mit denen der Oberflächensedimente an der gleichen Lokation direkt vergleichen zu können. Außerdem werden Multinetze genutzt, um die Vergesellschaftung von Plankton in verschiedenen Tiefen der aktuellen Wassersäule zu dokumentieren (Abbildung 12). Zudem werden Oberflächensedimente beprobt, auf denen bestimmte Foraminiferen leben, die am Leben erhalten und an Land in speziellen Hochdruckaquarien kultiviert werden. In diesem Sinne geht der Forschungsansatz der TRANSSIZ-Geologie-Gruppe über das „klassische“ geologische Arbeitsprogramm hinaus. Ziel ist es, wertvolle Daten aus der Vergangenheit zu liefern und damit zum systematischen Verständnis eines sich verändernden Arktischen Ozeans beizutragen.

Während wir auf der siebten Eisstation Mitte der Woche in der Region am östlichen Yermak-Plateau bereits ein deutliches Schmelzen der Schneeauflage auf den Eisschollen beobachten konnten und sich bereits die Bildung der ersten Schmelztümpeln erahnen lässt, wurden wir in dieser Woche erneut mit der Kraft des Meereises konfrontiert. Zwei gigantische Eisschollen nördlich und südlich unserer Position mit einem deutlich stärkeren Driftverhalten als die meisten kleinen Schollen haben zusätzlich bewirkt, dass viele kleine Eisschollen zusammengedrückt wurden. Da sich dieses Eisschollengemenge während unserer siebte Eisstation auf uns zu bewegte, konnten wir die Station leider nicht vollständig beenden, um letztendlich nicht im Eis eingeschlossen zu werden.

Inzwischen befinden wir uns wieder deutlich weiter südlich auf dem Yermak-Plateau. Am Beispiel der Eisscholle, die wir für unsere achte Eisstation gewählt hatten, können wir bereits ein massives Schmelzen des Eises erkennen. Typischerweise schmilzt das Meereis in der Arktis überwiegend an der Oberfläche und beginnt mit der Schneeschmelze. Im Laufe der Saison bilden sich daraus die aus der Arktis bekannten Schmelztümpel. Am Rand unserer achten Eisscholle dagegen deuten die auf dem wenige Zentimeter dicken Eis (15 cm) vorhandenen Reste von Schnee eher auf ein Abschmelzen von unten, durch das Meerwasser, hin. Wir befinden uns hier in einer Region, wo das vergleichsweise warme Atlantische Wasser mit dem eisbedecktem polaren Wasser zusammen trifft. Unsere detaillierten Messungen zu Mischungsprozessen werden Aufschluss darüber geben, inwieweit das Atlantische Wasser zum Schmelzen des Meereises in dieser Region beiträgt. Unsere achte, und wohl auch letzte Eistation im Blick, können wir zusammenfassend sagen, dass uns die von uns durchgeführten Prozessstudien zur Produktivität, sowie zur Dynamik des Ökosystems und biogeochemischer Stoffkreisläufe sehr vielfältige Einblicke in die lokalen Unterschiede des marinen Ökosysteme in der Arktis gegeben haben. Ein spannender Aspekt dieser Reise ist dabei die Verknüpfung der Vergangenheit mit der Gegenwart, um Veränderungen der Meereisausdehnung und des Atlantischen Wassers im Arktischen Ozean besser verstehen zu können.

So langsam neigt sich diese aufregende Expedition nun dem Ende zu und bei strahlendem Sonnenschein und ansteigenden Temperaturen war der Sommeranfang heute auch für uns deutlich spürbar.

Mit den besten Grüßen

Ilka Peeken mit Beiträgen von Christian März, Jens Mathiessen, Matt O’Regan, Clara Stolle, Kirstin Werner und Jutta Wollenburg

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