PS93.1 Wochenbericht Nr. 1 | 29. Juni bis 5. Juli 2015

Von Longyearbyen durch die Fram-Straße bis vor Nordost-Grönland

[06. Juli 2015] 

Das Einschiffen der wissenschaftlichen Fahrtteilnehmer in Longyearbyen/Svalbard beginnt. Es ist ein Einschiffen einmal anders. Da Polarstern wegen ihres großen Tiefgangs nicht in Longyearbyen festmachen kann, sondern auf Reede liegen muss, fällt das Betreten des Schiffes über eine Gangway aus. Stattdessen erwartet uns eine Fahrt mit dem Schlauchboot (Abb. 1), eine schaukelnde Angelegenheit!

Wir sind vollzählig! Um 10.00 Uhr sind  bereits alle Mann an Deck (wobei die klare Mehrzahl allerdings Frauen sind). Es kann losgehen! Halt! – Es fehlt erst noch die Sicherheitsbelehrung, ohne die läuft hier gar nichts. Alle treffen sich zu einem ersten Meeting im Kinosaal, wo Felix Kentges, einer unserer Offiziere an Bord, die wichtigsten Regeln zum Thema vorstellt. Erst die Theorie, dann die Praxis! Es ertönt ein lautes “7x kurz, 1x lang“ durch die Lautsprecheranlage – Generalalarm (zur Übung). Alle Neuankömmlinge müssen flott auf dem Helideck mit Schwimmweste, Helm etc. antreten.

Nun geht’s aber richtig los, Leinen los. An Bord sind 44 Besatzungsmitglieder, der Lotse (der uns allerdings gegen 13.00 Uhr schon wieder verlässt) sowie 50 Wissenschaftler, Hubschrauberpiloten und Techniker aus 12 Ländern. Mit langsamer Fahrt gleiten wir an einer beindruckenden Fjordlandschaft vorbei. Ruhige See, schneebedeckte Berghänge, beeindruckende Geologie (Bei letzterer denken einige der Teilnehmer – oder mindestens einer – an Kreideschwarzschiefer, den Alpha-Rücken in der zentralen Arktis, etc. – da werden Erinnerungen an die Polarstern-Arktis-Expedition im letzten Sommer wach!! Als wir den Fjord verlassen, bekommen wir Besuch: Mehrere Wale begleiten uns an Steuerbordseite in sicherem Abstand.

Wo fahren wir aber eigentlich hin? Was haben wir vor? Was ist überhaupt das generelle Ziel unserer Expedition? - Fragen, Fragen, Fragen. Geographisches Zielgebiet der Expedition ist der nördlichste Nordatlantik zwischen NE Grönland und W Svalbard, das Tor in die Arktis. Das wissenschaftliche Ziel der geologischen Arbeiten an Bord und der anschließenden Untersuchungen in den Heimatlabors ist die Rekonstruktion vergangener Klimaverhältnisse, wobei die letzte Warmzeit (Eem, ca. 130-120000 Jahre v. Heute) und das Holozän (die letzten 12000) von besonderem Interesse sind. Uns geht es dabei z.B. um die Ausdehnung und Dicke der Meereisdecke sowie Temperatur, Salzgehalt und Schichtung von Wassermassen. Um diese Untersuchungen durchführen zu können, benötigen wir lange ausgewählte Sedimentkerne, die auf dieser Expedition gewonnen werden sollen. Neben dem geologischen Schwerpunktprogramm sind auch noch weitere kleinere Arbeitsgruppen aus der Ozeanographie, Biologie und Atmosphärenchemie mit dabei. Ein ganz besonderer Aspekt unserer Expedition ist aber sicherlich die “Floating University”, das “Schwimmende Klassenzimmer” (was während eines Hubschrauberflugs auch schon mal zu einem “Fliegenden Klassenzimmer” werden kann). Auf der „PS93.1 Floating University“, die im Rahmen des deutsch-kanadischen Graduierten-Kollegs “Processes and impacts of climate change in the North Atlantic Ocean and the Canadian Arctic  - ArcTrain” durchgeführt wird, sollen ca. 20 kanadische und deutsche PhD-Studenten eine Einführung in wissenschaftliche Arbeitsmethoden an Bord eines Forschungsschiffes, Teamarbeit, internationale und multidisziplinäre Zusammenarbeit und Management erhalten. Eine spannende und neue Sache – für die Studenten aber auch die Lehrenden. Wir sind alle gespannt, was dabei herauskommt – in drei Wochen wissen wir dann mehr.

Dienstag, 30.06.15. Dieser erste Forschungstag gehört nicht den Geologen, sondern steht ganz im Zeichen der Ozeanographie. Verankerungsketten, an denen Instrumente zur Messung von Temperatur, Salzgehalt, Strömungsgeschwindigkeiten etc. in der Wassersäule aneinander gereiht und mit Auftriebskörpern und Grundgewicht ergänzt sind, sollen eingeholt werden. Diese Verankerung sind aufgrund der extremen Eisverhältnisse und fehlender Schiffszeit im Sommer 2014 in der zentralen Fram-Straße zurückgelassen worden.

Die Suche an der ersten Lokation bleibt leider erfolglos, muss schließlich abgebrochen werden. Dafür wird an selbiger Stelle eine neue Verankerung ausgebracht, die eher an ein Ufo als an die herkömmlichen Ketten erinnert (Abb. 2). Zweite Lokation, nur 12 Meilen weiter nach Westen. Mittlerweile kommt die Sonne raus - und damit vielleicht auch das Erfolgserlebnis/Glück zurück? Es herrschen jetzt beste Suchbedingungen, was allerdings noch fehlt, sind die orangen und gelben Auftriebskörper, die das obere Ende der Verankerungskette anzeigen. Auf der Brücke und an Oberdeck starren viele auf das Wasser. Wer entdeckt die Blubs zuerst? Es dauert und dauert, nichts passiert. Die Sonne blendet. Viele gehen zum Essen. Wir entscheiden, dass nach dem Mittag Schluss ist und wir die Suche abbrechen. Plötzlich ein Jubelschrei. Achtern an Steuerbordseite werden die roten und gelben Schwimmkörper entdeckt. Das anschließende Einholen – bei diesem wunderschönen Wetter – ist dann fast nur noch ein Kinderspiel für die beteiligten Routiniers aus Besatzung und Wissenschaft. Gegen 19.50h sind so drei der vier für heute geplanten Verankerungsketten an Deck – ein alles in allem aus Sicht der Ozeanographen erfolgreicher Tag!

Während die Ozeanographen so erst einmal befriedigt sind, sind die Geologen immer noch auf der Suche nach der „richtigen“ Station für den Einsatz des Kastenlots. Es geht schon auf Mitternacht zu, als wir endlich eine geeignete Position gefunden haben. Wenig später, auf den Punkt genau um Mitternacht, wird der mit einem 3.5 Tonnen-Gewicht bestückte 12m lange Kasten auf dem Vestnesa Rückens bei Position 79°12.2´N, 04°40.0’W in einer Wassertiefe von 1570 m in den Meeresboden gedrückt. Als das Kastenlot an Deck kommt, herrscht Spannung. Als der Kasten im Absatzgestell an Oberdeck liegt, kommt erst einmal Freude auf: der Kasten ist über gut 7.5 m in den Meeresboden eingedrungen, die intakte „Zipfelmütze“ am untersten Ende des Lots lässt einen optimalen Kerngewinn erahnen (Abb. 3). Wie lang ist der Kern aber wirklich? Was steckt unter der Blechhülle? Diese Fragen können wir erst morgen beantworten, wenn der Kasten geöffnet ist.

So dampfen wir in den Morgenstunden des Mittwochs (01.07.15) nach Norden. Es wird unangenehmer, kühler. Erstes Meereis sichten wir um 03.00 Uhr auf 79°14’N, 04°30’E, vier Stunden später haben wir einen ersten direkten Eiskontakt. Mittags kommt dichter Nebel auf und das Eis wird dichter und dichter. Noch können wir unsere Profilfahrten mit Hydrosweep und Parasound durchführen – aber wer weiß, was uns die Zukunft bringt! Gott sei Dank lichtet sich der Nebel, Eiserkundungsflüge werden möglich, ein machbarer Weg durch’s Eis gefunden. Das Eis bringt uns aber auch einen Überraschungsgast, leider unangemeldet und in aller Herrgottsfrühe (Donnerstag, 05.30 Uhr). Eine Eisbärin mit zwei Jungen wird gesichtet (Abb. 4). Leider kommen nur wenige in den Genuss, diese Besucher zu begrüßen.

Freitag, 03.07.15. Wir haben den ostgrönländischen Schelf erreicht, die Position, an der wir im letzten Jahr einen großen Eisberg mit einem riesigen „Schutthaufen“ angetroffen und beprobt haben. Robert Spielhagen (GEOMAR Kiel/Schalke 04) und Micha Schreck (KOPRI/Incheon Korea), die damals den Schutthaufen bestiegen und die Steine gesammelt haben, sind auch jetzt wieder mit dabei. „Ihren Eisberg“ gibt es allerdings nicht mehr, der ist weiter nach Süden gedriftet und vielleicht schon längst geschmolzen. Von unserer letztjährigen Fahrt gibt es aber nicht nur die Erinnerung an den Eisberg sondern auch Parasound-Daten, die uns Information über den Aufbau der obersten Sedimentschichten liefern. Hier haben wir aus der Lagerung der Schichten erkennen können, dass dort alte Sediment- oder Gesteinspakete nahe an der Oberfläche anstehen. Wie alt diese Sedimente oder Gesteine sind können wir natürlich nicht sagen, da kann man nur spekulieren oder träumen (der Fahrtleiter träumt so schon wieder von „seinen“ Kreide-Schwarzschiefern). Damit besteht die Möglichkeit, diese Einheiten mit unseren einfachen Geräten wie z.B. dem Schwerelot zu gewinnen. Also nichts wie ran! Schnell sind vier Lokationen von unserem Parasound-Experten Frank Niessen (AWI) vorgeschlagen worden. Bei Wassertiefen von nur 50-70 m werden das vier „Schnellschüsse“. 4x ein Schwerelot und weiter geht’s nach Norden – so ist der Plan. Der Erfolg bleibt aber aus. Das Schwerelot knallt auf den Meeresboden und kippt um. Das Gestein ist zu hart! Aus der Traum von den Schwarzschiefern!! Im Kernfänger des Schwerelots bringen wir lediglich ein paar lebende Muscheln und Schlangensterne, die auf dem harten Substrat/Gestein leben und vom herabsausenden Schwerelot überrascht worden sind (nicht immer kommt alles Gute von oben!), mit an Bord.

Von dem oben erwähnten Plan bleibt also nur die Weiterfahrt nach Norden über.  Nebel, nichts als Nebel, spiegelglatte See, ein paar kleine Eisschollen driften an uns vorbei, eine gespenstische Stimmung. Trotzdem sind wir guter Dinge. Wir kommen jetzt gut voran, haben die Polynya, ein großes fast eisfreies Gebiet, an der Nordostspitze Grönlands erreicht (Abb. 5). Hier können wir am Samstag (04.07.15) gezielt mehrere Stationen aussuchen, anfahren und beproben, auf die hier an dieser Stelle nicht im Detail eingegangen werden kann. Eine der Geo-Stationen ragt allerdings heraus, muss hier erwähnt werden. Was kann dies wohl sein, wenn es sich um eine Geo-Station handelt? Richtig, ein Kastenlot - ein Super-Kastenlot sogar, wie sich nach dem Öffnen des Kastens und der weiteren Bearbeitung herausstellt (dazu aber mehr beim nächsten Wochenbericht).

Das Wochenende bringt uns dann nicht nur das schöne sonnige Wetter (was natürlich mit dem Traumwetter in Deutschland nicht zu vergleichen ist) sondern auch noch ein weiteres Highlight. Wir treffen alte Bekannte wieder, wir (Anne, Carsten, Frank, Florian, Hans, Hartmut, Henrik, Holger, Ilias, Maria, Matze, Micha, Robert & Rudy), die im letzten Jahr auf der PS87 mit dabei gewesen sind: Yngve Kristoffersen und Audun Tholfsen (Abb.5), die beiden Norwegischen Kollegen, die wir zusammen mit ihrem Hovercraft (Luftkissenboot) mit in die zentrale Arktis genommen und am 30.08.2014 auf einer großen Eisscholle über dem Lomonosov-Rücken ausgesetzt haben. Die beiden haben es tatsächlich geschafft, einer von Yngves Lebensträumen hat sich erfüllt. In 10 Monaten, während der Wintermonate in totaler Dunkelheit, ist die Eisscholle mit Camp, Hovercraft und den beiden Passagieren durch den gesamten Arktischen Ozean gedriftet. Eine tolle Leistung und Glückwunsch zu diesem Erfolg!! Das Hovercraft-Experiment ist aber noch nicht ganz vorbei und wird auch uns noch beschäftigen, worüber dann im nächsten Wochenbericht berichtet wird.

Für heute soll nun Schluss sein. Eine ereignisreiche Woche ist vorüber. Bei den ArcTrain-Studenten/innen hat diese sicherlich besondere Eindrücke hinterlassen, über die im Detail im AWI-Expeditions-Blog berichtet wird.

Ganz liebe Grüße an all unsere Lieben daheim,

im Namen aller,

Ruediger Stein (05.07.15)

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