PS99 - Wochenericht Nr. 3| 27. Juni - 3. Juli 2016

In der Luft, im Wasser und am Boden der Tiefsee

[04. Juli 2016] 

Seit gut einer Woche befinden wir uns nun im eigentlichen Untersuchungsgebiet dieser Expedition, dem LTER (Long-Term Ecological Research) Observatorium HAUSGARTEN. Neben vergleichsweise einfachen „traditionellen“ Geräten zur Erforschung des tiefen Ozeans wie z.B. Wasserschöpfern, Planktonnetzen, Bodengreifern und Verankerungsketten, kommen bei unseren Langzeituntersuchungen auch sehr komplexe und hochtechnische Großgeräte zum Einsatz. Hierzu gehören verschiedene unbemannte Fluggeräte (Unmanned Aerial Vehicle, UAV), ein bis in 3000 m Wassertiefe einsetzbares autonomes Unterwasserfahrzeug (Autonomous Underwater Vehicle, AUV), unsere Freifallgeräte (Bottom-Lander) und, erstmals im Bereich des HAUSGARTENs eingesetzt, ein autonom am Meeresboden agierendes Raupenfahrzeug (Benthic Crawler).

Auf unserer diesjährigen Expedition werden wir insgesamt drei Quadrokopter einsetzen, die sich hauptsächlich in ihrer jeweiligen Nutzlast unterscheiden (Abb. 1). Die Fluggeräte werden von, wie der Name schon sagt, vier Propellern angetrieben, sind etwa 30 x 50 x 60 cm groß, wiegen ca. 4 kg und haben eine Reichweite von max. 8 km.  Verschiedene größere Bauteile dieser Fluggeräte wurden aus PLA (polylactic acid = lange Ketten von Milchsäuremolekülen) in einem 3D-Drucker hergestellt und sind somit sogar biologisch abbaubar.

Die von uns eingesetzten Quadrokopter tragen verschiedene Kamerasysteme oder absetzbare GPS-Sender. Ein mit einer 24 Megapixel Kompaktkamera ausgerüstetes Fluggerät wird von uns zur systematischen Erfassung von Treibgut eingesetzt. Dabei handelt es sich nicht nur um natürliches Treibgut wie z.B. losgerissene Großalgen, die der Verbreitung der an ihnen anhaftenden Organismen dienen können, sondern leider zunehmend auch um menschliche Hinterlassenschaften wie z.B. Flaschen und Tüten aus Plastik. Regelmäßige Flüge während unserer Expedition geben einen Eindruck über die großskalige Verteilung dieses Treibguts. Nach dem Start fliegt der Multikopter eine zuvor programmierte Strecke ab und wird durch einen Piloten an Bord von Polarstern nur noch überwacht. Die Elektronik berechnet automatisch wann und wie oft ein Foto gemacht werden soll. So ist es später möglich, alle Bilder in einer flächendeckenden Karte zusammenzufügen.

Ein anderer von uns eingesetzter Quadrokopter unterstützt die Tauchgänge unseres autonomen Unterwasserfahrzeugs (AUV), das weiter unten im Detail vorgestellt wird. In diesem Fall wird das Fluggerät genutzt, um GPS-Sender auf Eisschollen abzusetzen. Diese Sender übermitteln fortwährend ihre Position an den Kontroll-Container des AUV und geben uns eine genaue Vorstellung über die vorherrschende Eisdrift (Geschwindigkeit und Richtung) während eines AUV-Einsatzes im Eisrandbereich. Auf diese Weise wird die sichere Navigation des Unterwasserfahrzeugs gewährleistet und ein ungewolltes Auftauchen des AUV unter dem Eis verhindert.

Das von uns betriebene autonome Unterwasserfahrzeug „Paul“ (Abb. 2) wird vornehmlich eingesetzt, um physikalische, chemische und biologische Untersuchungen im Oberflächenwasser durchzuführen. Das AUV ist mit Sensoren für eine lange Reihe von Parametern ausgerüstet. Hierzu gehören die Temperatur und Leitfähigkeit des Wassers, der hydrostatische Druck, die Konzentration von Nitrat, Chlorophyll a, Sauerstoff und Kohlendioxyd sowie die Menge an gelösten, organischen Substanzen (CDOM). Darüber hinaus wird kontinuierlich die Intensität der photosynthetisch aktiven Strahlung (PAR) gemessen. Ein in das Unterwasserfahrzeug integrierter Wasserprobennehmer ist in der Lage bis zu 22 Proben mit einem Gesamtvolumen von 4,8 Litern zu nehmen, um daraus die Planktonzusammensetzung zu bestimmen und den Nitrat- und Chlorophyll-Sensor zu kalibrieren. Ziel der Untersuchungen ist es, den hydrographisch und biologisch sehr interessanten Übergangsbereich zwischen dem offenen Ozean und dem weniger salzreichen Umgebungswasser des schmelzenden Meereises detailliert aufzunehmen.

Freifallende Systeme (Bottom-Lander; Abb. 3) werden eingesetzt, um am Meeresboden verschiedene Messungen und Experimente durchzuführen. Bottom-Lander bestehen aus einem Rahmengestell aus Stahl, Gewichtsplatten, die das Gerät in die Tiefe hinabziehen und Auftriebskörpern, die nach dem Abwurf der Gewichte dafür sorgen, dass das Gestell wieder an die Meeresoberfläche aufsteigt. Je nach wissenschaftlicher Fragestellung können Bottom-Lander mit einer Vielzahl von Mess- und Registriergeräten ausgerüstet werden. Auf der aktuellen Reise setzen wir z.B. Inkubationskammern und profilierende Mikrosensoren ein, um Remineralisierungsprozesse an der Sediment-Wasser-Grenzschicht zu untersuchen.

Mit großer Spannung erwarten wir den ersten Einsatz unseres neuen Tiefsee-Raupenfahrzeugs (Benthic Crawler) „Tramper“ (Abb. 4). Dieses autonom agierende Gerät wurde bislang nur ein einziges Mal während einer Expedition mit dem Forschungsschiff „Sonne“ im östlichen Pazifik eingesetzt. „Tramper“ ist mit einem Mikroprofiler ausgerüstet, der ein Jahr lang, einmal pro Woche Sauerstoffprofile am Meeresboden messen soll, anschließend eine kurze Strecke fahren soll, um dann eine Woche später die nächste Messung vorzunehmen usw. usw. usw. Über die gewonnenen Sauerstoffprofile kann auf Remineralisierungsraten im Oberflächensediment zurückgeschlossen werden. Ob „Tramper“ seine Arbeiten wie geplant durchführen konnte, werden wir erst nach seiner Bergung während einer „Polarstern“-Reise im Sommer 2017 erfahren.

Im nächsten Wochenbericht soll dann die Wissenschaft im Vordergrund stehen. Wir werden ausführlich über die Arbeiten unserer Phytooptiker, Biogeochemiker, Planktologen und Sedimentologen berichten die überwiegend in der Wassersäule arbeiten.

An Bord sind alle wohlauf und guter Dinge!

Mit den besten Grüßen aller Fahrtteilnehmer,

Thomas Soltwedel

Kontakt

Wissenschaftliche Koordination

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Assistenz

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