Pressemitteilung

Festgefroren bei "Tomato Island"

[13. Mai 2003] 

Eisbrecher „Polarstern“ kehrt zurück aus dem arktischen Winter
Am 14. Mai 2003 kehrt die „Polarstern“, das Forschungsschiff des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) von der 19. Arktisexpedition zurück nach Bremerhaven. Das Besondere an dieser Reise war die Jahreszeit: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollten im Winter Vorgänge untersuchen, die bei den sonst üblichen Sommerexpeditionen nicht zu beobachten sind.
„Zeitweise erreichten wir eine mittlere Geschwindigkeit von nur einem Knoten“, so schildert Fahrtleiterin Dr. Ursula Schauer die Schwierigkeiten, die „Polarstern“ in der winterlichen Arktis begegneten. Teilweise lag das an einer dicken Schneeschicht auf eigentlich eher dünnem Eis: Der Schnee wirkte dann wie eine Bremse. Aber an einigen Stellen war das Eis auch dicker als erwartet. Im Storfjord, an der Südspitze von Spitzbergen, kämpfte sich das Forschungsschiff durch fast zwei Meter dickes Eis.

Die heimische Eisscholle
Anfang April hatte sich „Polarstern” für spezielle Untersuchungen zwölf Tage lang vom Packeis einschließen lassen. Nachdem eine passende Anlegestelle gefunden war, konnte sich das Schiff mit dem Eis treiben lassen. Nun hatten die Wissenschaftler an Bord Gelegenheit, die Atmosphäre über dem Eis, das Eis selbst und das Wasser darunter zu erforschen und die winterliche Pflanzen- und Tierwelt in und unter der Eisdecke zu untersuchen. Im Laufe der Zeit wurde die Eislandschaft immer vertrauter, und bei den Ausflügen auf die Eisscholle vergaben die Expeditionsteilnehmer bereits Namen für besonders auffällige Eisformationen. Die Scholle selbst wurde nach den verwendeten Schutzhütten auf den Namen „Tomato Island“ getauft. Schließlich wollte das Eis selbst die „Polarstern“ gar nicht mehr weglassen: Mehrere Stunden langes Eisbrechen und Manövrieren waren erforderlich, um frei zu kommen.

Die Wanderungen der Copepoden
Der „AWI-Hausgarten” liegt bei 79 Grad Nord und 4 Grad Ost in der Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen. Hier machen Tiefseeforscher regelmäßig Experimente und Beobachtungen in 3000 Metern Tiefe. Auf dem Weg dorthin wurden Mitte April die ersten Ruderfußkrebse (Copepoden) nahe der Wasseroberfläche gefunden. Diese Tiere sind einige Millimeter groß und überwintern in etwa tausend Meter Wassertiefe. Im Frühjahr kehren sie wieder an die Oberfläche zurück. Wie sie sich fortpflanzen und woher sie wissen, wann es Zeit ist, aufzutauchen, erforschen die Wissenschaftler noch. Auf dieser Reise wurden zunächst weitere Daten des Frühjahrs gesammelt.

Besuch am Grönlandseewirbel
Zur Erforschung der Meeresströmungen suchte „Polarstern” die Grönlandsee auf. Hier kann sehr kaltes, oberflächennahes Wasser in große Tiefen absinken und dadurch das weltweite Strömungssystem mit antreiben. Ein Wirbel, in dem die Durchmischung der Wassermassen bis zu tausend Meter tiefer reicht als in der Umgebung, konnte zum wiederholten Mal gefunden und vermessen werden. Es handelt sich um ein Phänomen mit nur zwanzig Kilometern Durchmesser. Die diesjährige Expedition zeigt, dass der Wirbel eine extrem lange Lebensdauer von mehreren Jahren besitzt. Damit ist er für die Erneuerung des Tiefenwassers in der Grönlandsee von großer Bedeutung. In diesem Wirbel wurden zum ersten Mal auch die vorhandenen Nährstoffe untersucht, was Hinweise auf den Ursprung des Wirbels geben wird.

Veränderte Strömungsverhältnisse
Vor der Küste Ostgrönlands findet sich gewöhnlich eine Wassermasse, die Anteile aus dem Pazifik enthält und von der Beringstraße aus das Nordpolarmeer durchquert, bis sie durch die Framstraße entlang der ostgrönländischen Küste wieder nach Süden in den Nordatlantik fließt. Sie fehlte in diesem Jahr völlig. Da dies nicht allein auf die Wintersituation zurückgeführt werden kann, ist eine Veränderung der oberflächennahen Strömungsverhältnisse in der Arktis die wahrscheinlichste Ursache.

Ein starkes Schiff
Prof. Dr. Gerhard Kattner zeigt sich einmal mehr mit der Leistungsstärke des Forschungseisbrechers zufrieden: „Trotz der ungewöhnlich schweren Eisbedingungen haben wir die Untersuchungen dank ‚Polarstern’ auch in diesen Gebieten erfolgreich durchgeführt.“ Kattner ist Fahrtleiter auf dem zweiten Expeditionsabschnitt und kehrt mit der „Polarstern” am 14. Mai nach Bremerhaven zurück, wo der Eisbrecher um 14 Uhr an der Pier der Lloyd-Werft anlegen wird.

Die nächste Expedition beginnt am 22. Mai. Dann fährt „Polarstern” in den Nordatlantik und wieder ins Nordpolarmeer. Bei einem Zwischenstopp in der französischen Hafenstadt Brest wird der Tiefseeroboter „Victor 6000” des französischen Meeresforschungsinstitutes Ifremer an Bord genommen. Bei diesem Aufenthalt werden Wissenschaftler und Politiker beider Länder an Bord zu Gast sein und ein Jubiläum begehen: Vor 40 Jahren wurde mit dem Elysee-Vertrag die deutsch-französische Freundschaft besiegelt.


Bremerhaven, den 13. Mai 2003

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Das Institut

Das Alfred-Wegener-Institut forscht in den Polarregionen und Ozeanen der mittleren und hohen Breiten. Als eines von 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft koordiniert es Deutschlands Polarforschung und stellt Schiffe wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen für die internationale Wissenschaft zur Verfügung.