07. Juli 2025
Online-Meldung

Auswirkungen mariner Hitzewellen und Kälteperioden auf Ökosysteme in arktischen Fjorden

KI-gestützte Analyse zeigt, dass extreme Hitze und extreme Kälte sich auf die Artenvielfalt und die Zusammensetzung des Ökosystems in der Arktis auswirken
Spitzbergen (Foto: Rene Bürgi)

Ein aktuelles Thema in der Klimaforschung ist die Auswirkung von Extremereignissen wie Hitzewellen oder Kälteperioden auf biologische Gemeinschaften in Ökosystemen. In der Arktis kann man die Folgen des Klimawandels besonders deutlich sehen, denn die Region erwärmt sich schneller als der Rest der Welt. Deshalb bietet sie für die Wissenschaft eine einzigartige Gelegenheit, um Prozesse und Zusammenhänge zwischen Umweltfaktoren wie Temperaturen, Böden oder Nährstoffe, und den biologischen Gemeinschaften besser zu verstehen. In einer aktuellen Studie in der Fachzeitschrift Scientific Reports haben Forschende des Alfred-Wegener-Instituts, des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung – UFZ und des Helmholtz-Zentrums Hereon mit modernen KI-Methoden untersucht, wie sich Temperaturanomalien auf Fjorde in der Arktis auswirken. Die Daten legen nahe, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Temperaturextremen und der Gesamtzahl der im untersuchten arktischen Ökosystem lebenden mariner Organismen besteht. Die Ergebnisse zeigen auch, welches Potential KI-gestützte Auswertungen haben, um neue Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Daten zu gewinnen. 

„Wir konnten sehen, dass in 'atlantischen' Phasen, in denen Hitzewellen häufiger auftraten, die Menge der Lebewesen in den Fjorden deutlich über das normale Maß hinaus gehen, als   das in 'arktischen' Phasen, die von Kälteperioden dominiert werden“, sagt Prof. Philipp Fischer, Erstautor und wissenschaftlicher Leiter des Tauchzentrums und Fischökologe an der Biologischen Anstalt Helgoland des Alfred-Wegener-Instituts (AWI). „Besonders wichtig ist dabei jedoch, dass die Temperaturanomalien nicht nur die Gesamtmenge der Lebewesen zu beeinflussen scheinen, sondern auch komplexe Verschiebungen in der Artenzusammensetzung auslösen.“ So gab es bei bestimmten biotischen Gruppen, wie Quallen, Fischen oder Würmern, schwankende, zwischenjährliche Spitzen, an denen deutlich mehr Individuen im Ökosystem lebten als im langjährigen Mittel. 

Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass der Klimawandel nicht nur einzelne Umweltvariablen beeinflusst, sondern tiefgreifende strukturelle Auswirkungen auf ganze Ökosysteme und ihre trophischen Strukturen hat. „Das könnte auf eine sogenannte maximale ‚Community Carrying Capacity‘ hinweisen.“ Community Carrying Capacity beschreibt die Idee, dass es eine maximale Anzahl von Individuen einer bestimmten Art gibt, die dauerhaft in einem Lebensraum leben können, ohne diesem zu schaden. „In unserer Studie könnte dies darauf hindeuten, , dass die Tragfähigkeit des arktischen Ökosystems während Wärmephasen möglicherweise auch für ansonsten eher im Atlantik vorkommenden Arten signifikant zunimmt und eine ungewöhnlich große Menge an Biomasse im arktischen Gebiet ermöglicht, welche dieses empfindliche System dann stark beeinflusst. Im Gegensatz dazu sinkt bei Kältewellen die Tragfähigkeit des Systems auf eine anomal kleine Biomasse“, so Philipp Fischer. 

Welche Gruppen oder Arten zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr Biomasse aufbauen oder abbauen, hängt nicht nur von der tatsächlichen Zusammensetzung der Gemeinschaft und ihren gegenseitigen Wechselwirkungen ab, sondern auch von externen Faktoren, wie der verfügbaren Nahrung, oder dem jeweiligen Wasserkörper der im System gerade vorherrscht.  Ändern sich diese Faktoren durch menschengemachte oder Umwelteinflüsse, verändert sich auch die Tragfähigkeit des Systems und eventuell auch die tropische Struktur. „Wir konnten erstmals einen Zusammenhang herstellen, zwischen extremen Umweltbedingungen und der Reaktion der biotischen Gemeinschaft über verschiedene trophische Ebenen von Quallen bis Fischen.“ 

KI-Methode zeigt komplexe Zusammenhänge

Die Daten aus der Studie haben die Forschenden mit einem Unterwasserobservatorium in Spitzbergen aufgezeichnet. „Seit 2012 erfassen wir damit an der AWIPEV-Station in Ny-Ålesund hochaufgelöste physikalische Daten in Sekundenauflösung – kontinuierlich über das gesamte Jahr hinweg, auch während des polaren Winters, bei monatelanger Dunkelheit und Außentemperaturen von teils unter - 40 Grad Celsius“, sagt Philipp Fischer.  „Parallel dazu überwachen wir ganzjährig mithilfe eines hochmodernen, KI-gestützten Fischobservatoriums die biologische Gemeinschaft – mit einer zeitlichen Auflösung von 30 Minuten.“ 

Diese einzigartigen Datensätze aus abiotischen und biotischen Parametern haben die Forschenden mit KI-gestützten Verarbeitungsmethoden ausgewertet und so die gesamte und gruppenspezifische Menge von unter anderem Fischen, Quallen oder Krebstieren analysiert. „Unsere Studie zeigt, dass man komplexe Zusammenhänge in Ökosystemen mit modernen wissenschaftlichen Methoden und insbesondere im Zuge der Digitalisierung greifbar machen kann“, fasst Philipp Fischer zusammen. „Die Artenzusammensetzung und Diversität im untersuchten Gebiet variiert  jedes Jahr stark, was es erheblich erschwert, einheitliche Muster in der Beziehung zwischen Umweltvariablen und der biotischen Gemeinschaft zu erkennen. Mithilfe von KI konnten wir jedoch klare Zusammenhänge zwischen Klimaextremen und biologischen Gemeinschaften erkennen, die in dieser Form bislang noch nicht in der realen Welt, also in situ, nachgewiesen wurden.“

Damit leistet die Studie einen wichtigen Beitrag, um die funktionalen Zusammenhänge und Wechselwirkungen innerhalb der Arktis besser zu verstehen. Das ist essenziell, um die Folgen des Klimawandels auf Ökosysteme künftig realistisch einschätzen zu können – nicht nur in arktischen Küstengebieten.

Originalpublikation

Fischer, P., Brix, H., Bussmann, I. et al. Effects of marine heat waves and cold spells on a polar shallow water ecosystem. Sci Rep 15, 20168 (2025). https://doi.org/10.1038/s41598-025-05621-w 

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