Wie bereits im letzten Wochenbericht angekündigt, wollen wir heute von den Arbeiten unserer benthischen Biogeochemiker und Biologen berichten. Im Mittelpunkt ihrer Untersuchungen stehen die Organismen und Prozesse am Boden der Tiefsee.
Um den globalen Kohlenstoffkreislauf besser verstehen zu können ist es wichtig zu wissen, welche Rolle die Meere in der Speicherung des Kohlenstoffs spielen. Hierzu gibt es schon eine Reihe von Untersuchungen im offenen Ozean, aber die Abbauprozesse an organischem Material am Meeresboden der Arktis wurde bisher nur wenig untersucht. Während der aktuellen Reise wurden an drei HAUSGARTEN-Stationen verschiedene Freifallgeräte („Bottom-Lander“) eingesetzt. Jeder dieser „Bottom-Lander“ war mit drei Inkubations-Kammern und einem „Mikroprofiler“ ausgestattet. Während die Kammern ein ca. 6000 cm³ großes Sedimentvolumen inkubieren, um den Gesamtverbrauch an Sauerstoff zu ermitteln, misst der „Mikroprofiler“ hochauflösende Sauerstoffprofile im Sediment, mit denen der diffusive Sauerstoffverbrauch bestimmt werden kann. Erste Ergebnisse unserer in situ Messungen haben ergeben, dass die Sedimente der Arktis Sauerstoffeindringtiefen von mehreren Zentimetern aufweisen. Mit Hilfe unserer Zeitreihenuntersuchungen erhoffen wir uns mögliche Änderungen in der benthischen Mineralisationsaktivität feststellen zu können.
Innerhalb der Langzeitbeobachtungen am HAUSGARTEN nehmen wir jedes Jahr auch Sedimentproben für mikrobielle Untersuchungen. Besonders interessieren wir uns für Bakteriengemeinschaften, die in den oberen Sedimentschichten leben, und die Frage, ob sich diese Gemeinschaften mit der Zeit verändern. Bakterien reagieren oft sehr schnell auf wechselnde Umweltbedingungen wie zum Beispiel ein verändertes Nahrungsangebot oder steigende Temperaturen und können daher gut als erste Indikatoren für eine Veränderung des Ökosystems genutzt werden.
In diesem Jahr haben wir an ausgewählte Stationen auch untersucht wie stark mikrobielle Gemeinschaften in den verschiedenen Lebensräumen von der Wasseroberfläche bis in die Tiefsee miteinander vernetzt sind. Dafür haben wir an diesen Stationen zusätzlich zu den Tiefseesedimenten auch Proben vom Meereis, Wasserproben aus verschiedenen Tiefen und langsam absinkenden, im Wasser schwebenden Partikeln gesammelt, die wir zuhause auf die Zusammensetzung ihrer Bakteriengemeinschaften untersuchen wollen.
Proben zur Untersuchung der kleinsten Lebewesen im Meeresboden (Bakterien, Meiofauna) werden mit dem sogenannten Multicorer (MUC) gewonnen, welcher mit mehreren Stechrohren Sedimentkerne aus dem Tiefseeboden aussticht und an Bord bringt. Der MUC hängt an dem stahl-armierten Glasfaserkabel der „Polarstern“, welches es uns erlaubt, die Probennahmen am Tiefseeboden „live“ am Bildschirm zu verfolgen. Unmittelbar nachdem das Gerät an Deck ist, werden die Stechrohre ausgebaut und die darin befindlichen Sedimente, für zahlreiche Analysen weiter beprobt.
Direkt an Bord wird untersucht, wie viel pflanzliche Nahrung von der Meeresoberfläche in die Tiefsee heruntergerieselt ist und dort den Lebewesen im Meeresboden als potentielle Nahrung zur Verfügung steht. Aufschluss hierüber gibt die Menge an Chlorophyll und seiner Abbauprodukte, welche in den Sedimenten abgelagert sind. Ebenfalls direkt an Bord wird untersucht, wie aktiv die bakteriellen Lebensgemeinschaften am Tiefsee-Meeresboden sind. Hierzu wird den Bakterien im Labor ein künstliches Substrat zur Verfügung gestellt und gemessen, wie viel von diesem Substrat in einer bestimmten Zeit von den Bakterien umgesetzt wird. Alle übrigen Sedimente werden für die weiteren Untersuchungen in Bremerhaven entweder eingefroren oder mit Formol fixiert und eingelagert.
Ein weiterer fester Bestandteil unserer HAUSGARTEN-Arbeiten ist die Erfassung der größeren Sedimentbewohner mit dem Kastengreifer und mit einem Kamerasystem, dem sogenannten „Ocean Floor Observation System“ (OFOS). Der Kastengreifer liefert und große Sedimentvolumina während OFOS vier Stunden lang anderthalb Meter über dem Meeresboden hinter dem Schiff hergezogen wird und dabei in regelmäßigen Abständen ein Foto entlang festgelegter Strecken macht, die wir jedes Jahr wieder aufsuchen. Durch den Vergleich mit Bildern aus den letzten Jahren werden Veränderungen in der Besiedlung sichtbar. Mit dieser Methode konnten wir zudem nachweisen, dass die Menge an Zivilisationsmüll im Bereich des HAUSGARTENs erschreckenderweise stark angestiegen ist.
Die Kamera-basierten Arbeiten werden im Rahmen des FRAM Infrastrukturprojekt weiter ausgedehnt. Während dieser Reise testeten wir erfolgreich eine Zeitraffer-Kamera während verschiedener Einsätze unserer Freifallgeräte (s.o.). In allen Fällen statteten Bodenfische (Aalmutter Lycodes frigidus) dem Freifallgerät kurze Besuche ab. Nun kommt der „Ernstfall“: die Kamera wird an unserem „Langzeit-Bottom-Lander“ ein Jahr lang täglich Filme vom Meeresboden und seiner Bewohner machen. Auf diese Weise können wir zukünftig auch saisonale Veränderungen am Meeresboden erfassen.
Am Dienstag, den 12. Juli haben wir Kurs auf Tromsø genommen, wo die Expedition am späten Abend des 15. Juli enden wird. Während dieser Reise wurden eine große Menge physikalischer, geochemischer und biologischer Daten gewonnen, die den Datensatz unserer Langzeituntersuchungen erweitern werden und uns helfen werden, die Auswirkungen des weltweiten Klimawandels auf das arktische Ökosystem besser verstehen zu können. Im Namen aller Expeditionsteilnehmer bedanke ich mich bei Kapitän Thomas Wunderlich und seiner Mannschaft für ihre Gastfreundschaft, die vertrauensvolle Zusammenarbeit und die großartige Atmosphäre an Bord. Der Polarstern-Besatzung und dem HeliService-Team gilt unser Dank für die hervorragende Unterstützung die wir auf dieser Reise erfahren haben.
Wir freuen uns auf ein Wiedersehen mit der Familie, den Freunden und Bekannten, und hoffen auf sommerliche Wärme nach unserer Rückkehr.
Mit den besten Grüßen von Bord,
Thomas Soltwedel
(Dieser Fahrtbericht wurde im Wesentlichen durch Melanie Bergmann, Christiane Hasemann, Josephine Rapp, Ingo Schewe und Frank Wenzhöfer zusammengestellt.)