Wie im letzten Wochenbericht angekündigt, wollen wir heute zunächst über die Arbeiten unserer Benthologen (Kolleginnen und Kollegen, die am Meeresboden arbeiten) berichten. Dass zu einer modernen Meeresforschung natürlich mehr gehört, wird dann hoffentlich im weiteren Verlauf des Berichts deutlich.
Sedimentprobennahmen am Meeresboden erfolgen mit kabelgebundenen Greifern, dem sogenannten Multicorer und dem Kastengreifer, die unterschiedliche Sedimentvolumina aus dem Tiefseeboden ausstechen und an Bord bringen. Im Labor werden diese Sedimente dann auf eine ganze Reihe biochemischer Parameter (z.B. mikrobielle Aktivität, Indikatoren für den Nahrungseintrag), Bakterienzahlen und Biomassen sowie sedimentbewohnende höhere Organismen untersucht.
Ein stahl-armiertes Glasfaserkabel der „Polarstern“ erlaubt uns, diese Probennahmen am Tiefseeboden ‚live‘ am Bildschirm zu verfolgen. Das Kamerasystem am Multicorer übermittelt gestochen scharfe, bewegte Bilder aus einer verborgenen Welt. Ein wiederholt eingesetztes geschlepptes Foto/Videosystem gibt uns Aufschluss über die großflächige Verteilung größerer Tiere am Boden des HAUSGARTEN. Der Vergleich mit Aufnahmen aus den zurückliegenden 15 Jahren ermöglicht uns schließlich zeitliche Veränderungen in der Dichte und der Zusammensetzung des Epibenthos (das sind Tiere, die auf dem Sediment leben) festzustellen.
Freifallende Systeme, sogenannte „Bottom-Lander“, werden eingesetzt, um am Meeresboden verschiedene Messungen und Experimente durchzuführen. Bottom-Lander bestehen aus einem Rahmengestell aus Stahl, Gewichtsplatten, die das Gerät in die Tiefe hinabziehen und Auftriebskörpern, die nach dem Abwurf der Gewichte dafür sorgen, dass das Gestell wieder an die Meeresoberfläche aufsteigt. Je nach wissenschaftlicher Fragestellung können Bottom-Lander mit einer Vielzahl von Mess- und Registriergeräten ausgerüstet werden. Auf der aktuellen Reise setzen wir z.B. Inkubationskammern und profilierende Mikrosensoren ein, um Remineralisierungsprozesse an der Sediment-Wasser-Grenzschicht zu untersuchen.
Bis auf wenige Stellen im Weltozean, an denen Organismen an chemosynthetische Prozesse angepasst sind („hot vents“, „cold seeps“), ist das Leben im Meer von der Primärproduktion in den obersten Schichten der Ozeane abhängig. Aus diesem Grund benötigen die Benthologen Hintergrundinformationen (z.B. die Höhe und Qualität des Nahrungseintrags), die von den Freiwasserforschern bereitgestellt werden, um Prozesse am Meeresboden und die Struktur der benthischen Lebensgemeinschaft besser erklären zu können.
Zusätzlich zu den bereits im 2. Wochenbericht vorgestellten Arbeiten der Freiwasserforscher wird deshalb auf dem aktuellen Fahrtabschnitt auch zum wiederholten Male ein autonomes Unterwasserfahrzeug (Autonomous Underwater Vehicle, AUV) eingesetzt, um physikalische, chemische und biologische Untersuchungen im Oberflächenwasser durchzuführen. Das AUV ist mit Sensoren für eine lange Reihe von Parametern ausgerüstet. Hierzu gehören die Temperatur und Leitfähigkeit des Wassers, der hydrostatische Druck, die Konzentration von Nitrat, Chlorophyll a, Sauerstoff und Kohlendioxyd sowie die Menge an gelösten organischen Substanzen (CDOM). Darüber hinaus wird kontinuierlich die Intensität der photosynthetisch aktiven Strahlung (PAR) gemessen. Ein in das Unterwasserfahrzeug integrierter Wasserprobennehmer ist in der Lage bis zu 22 Proben mit einem Gesamtvolumen von 4,8 Litern zu nehmen, um daraus die Planktonzusammensetzung zu bestimmen und den Nitrat- und Chlorophyll a-Sensor zu kalibrieren. Zu Beginn der letzten Woche haben wir einen außerordentlich erfolgreichen AUV-Tauchgang im Bereich der Eiskante durchgeführt. Ziel der Untersuchungen war es, den hydrographisch und biologisch sehr interessanten Übergangsbereich zwischen dem offenen Ozean und dem weniger salzreichen Umgebungswasser des schmelzenden Meereises detailliert aufzunehmen.
Auf seinem Tauchgang wurde das AUV sowohl von einem (bemannten) Helikopter als auch von kleinen unbemannten Flugapparaten (Unmanned Aerial Vehicles, UAVs), sogenannten Multikoptern, unterstützt. Während der Helikopter den vorherrschenden Grad der Eisbedeckung großflächig erfasste, wurden die UAVs eingesetzt, um die Eisdrift im Untersuchungsgebiet zu ermitteln und so die sichere Navigation des AUV im Eisrandbereich zu gewährleisten. Die Multikopter wurden auf größeren Eisschollen abgesetzt und übermittelten über ein GPS-Gerät kontinuierlich die Position des Meereises an den Kontrollcontainer des AUV. In diesem Jahr wurden erstmals Versuche durchgeführt die UAVs im Anschluss an den AUV-Tauchgang autonom, also ohne Fernsteuerung, zum Schiff zurück zu fliegen.
Ich denke der heutige Wochenbericht hat verdeutlicht, wie die moderne biologische Meeresforschung Wissenschaftler und Techniker der unterschiedlichsten Disziplinen und Arbeitsbereiche zusammengeführt hat. Die Synthese aller Informationen aus dem Bereich des Meeresbodens, aus dem Freiwasser und auch der Atmosphäre wird uns letztlich helfen zu verstehen, wie das polare marine Ökosystem funktioniert und wie es sich fortan, in Zeiten globaler Veränderungen, entwickeln wird.
Dichter Nebel umgibt das Schiff nun seit einigen Tagen – die gute Stimmung an Bord lassen wir uns dadurch allerdings nicht verderben.
Mit den besten Grüßen von allen Expeditionsteilnehmern,
Thomas Soltwedel