Ein Schiff wie kein anderes

Seit über 30 Jahren fährt das deutsche Forschungsschiff Polarstern im Dienste der Wissenschaft durch die Polarregionen unserer Erde. So manches herkömmliche Schiff wäre nach dieser Laufzeit schon dem Schiffsfriedhof geweiht. Polarstern aber trotzt dank guter Pflege dem Alter und geht in Sachen Technik immer mit der Zeit. Zu welchen Leistungen das Schiff imstande ist und welche Neuerungen an Bord zu finden sind, erzählen Kapitän Uwe Pahl und Ingenieur Ralf Krocker im Interview.

Das Forschungsschiff POLARSTERN gilt als Flaggschiff der deutschen Forschungsflotte. Was unterscheidet dieses Schiff von anderen Forschungsschiffen?

Kapitän Uwe Pahl: "Die Besonderheiten von Polarstern kommen schon in seiner Einsatzbezeichnung zum Ausdruck. Diese lautet nämlich: deutsches Polarforschungs- und Versorgungsschiff. Polarstern ist mit 118 Metern Länge nicht nur das größte deutsche Forschungsschiff. Es kann im Vergleich zu den anderen Schiffen auch erhebliche Mengen Fracht für Versorgungsaufgaben laden. Mit Polarstern versorgen wir ja nicht nur die antarktische Forschungsstation "Neumayer-Station III", sondern auch Stationen von Partnernationen wie etwa die britische Station Rothera. Die geladenen Versorgungsgüter können Stückgutpartien sein, 20-Fuß-Container, Kühlpartien oder Flüssigladung wie Flugkraftstoff oder Arktisdiesel."

Ingenieur Ralf Krocker: "Das FS Polarstern ist zudem Deutschlands einziges unbeschränkt eisgehendes Forschungsschiff. Es wurde für die hohe Eisklasse ARC 3 gebaut und besitzt einen doppelwandigen Rumpf, wobei die Stahlplatten am Bug und am Eisgürtel nochmals verstärkt sind. Das Gewicht dieses Eisschutzes ist auch der Grund, warum Polarstern einen enormen Tiefgang von 11,20 Metern hat."

Versorgung an der Schelfeiskante

Kapitän Uwe Pahl: "Hinzu kommt dann noch die relativ große Beförderungskapazität. Das Schiff kann insgesamt 124 Personen aufnehmen, wobei davon maximal 44 Personen der Besatzung zugerechnet werden. Wissenschaftler, die mit Polarstern auf Expedition gehen, erleben das Schiff als universelle Forschungsplattform. Zur Verfügung stehen zum Beispiel Laboratorien, 16 Winden, vier Kräne, bordgestützte Hubschrauber für wissenschaftliche und logistische Missionen, eine komplette Fischereiausrüstung für Grundschleppnetz- und pelagische Fischerei sowie Instrumente zur seismischen Forschung. Genannt seien hier der Hochdruckkompressor für 200 bar Luftdruck sowie Fächerlotsysteme. Mit letzteren werden die Tiefsee vermessen und die Sedimentschichten des Meeresbodens untersucht. Diese Aufzählung ist aber bei weitem nicht erschöpfend."

Bis zu welcher Eisdicke kann sich das FS Polarstern seinen Weg bahnen?

Kapitän Pahl: Einen Grenzwert zu nennen, fällt schwer, weil das Meereis immer anders ist.  Winde, Oberflächenströmungen, Gezeitenbewegungen und Schneeauflagen verändern es ständig. Als anschaulicher Vergleichswert gilt für Polarstern, dass das Schiff homogenes, glattes Eis mit einer Stärke von 1,2 Metern mit einer Geschwindigkeit von etwa 4 Knoten (Seemeilen pro Stunde) durchfahren kann. Wird die Eisdecke stärker oder türmen sich die Schollen zu meterdicken Presseisrücken auf, hilft nur noch sorgfältiges taktisches Navigieren. Wir nutzen dann Risse und andere schwächeren Stellen im Eis, um uns einen Weg zu bahnen. Finden wir beides nicht mehr, bleibt noch die sogenannte Rammeisfahrt. Darunter verstehen wir das wiederholte Anfahren des Eises mit voller Leistung und häufigem Anlaufnehmen.

Ralf Krocker: Eine solche Rammfahrt ist eine äußerst mühselige Sache. Ich habe sie selbst schon miterlebt. Damals wollten wir die Neumayer-Station in der Antarktis anfahren. Aufgrund des Windes war jedoch eine Menge Packeis in die Atkabucht getrieben worden, sodass wir rammen mussten. Das hat uns eine ganze Woche und jede Menge Treibstoff gekostet. In solchen Situationen fährt das Schiff nämlich mit allen vier Maschinen, was normalerweise aus Kostengründen weitestgehend vermieden wird. Die Ausgaben für den Treibstoff sind der größte Posten in den Betriebskosten. 

Fahrt durch das Eis

Fächerecholot

Das Video zeigt eine Animation zur Funktion des Fächerecholots. Mit dem Fächerecholot wird durch das Aussenden von elektroakustischen Signalen zum Meeresboden die Wassertiefe gemessen - ähnlich funktioniert die Orientierung einer Fledermaus im Flug. Durch ein Netz an Messungen können Wissenschaftler den Meeresboden und seine Untiefen kartografieren - das spannende Forschungsfeld der Bathymetrie.

Karte der arktischen Meere

("Download Dataset" öffnet PDF mit 145 MB)

Bathymetrie am AWI

Ist das Schiff inzwischen ein alter Dampfer?

Ralf Krocker: FS Polarstern hat zwar inzwischen ein recht stattliches Alter, aber es wurde stets sehr gut gepflegt und modernisiert. Nach 15 Jahren ist das Schiff zum ersten Mal generalüberholt worden. Nach 30 Jahren hätte die nächste Überholung angestanden, wenn nicht der Nachfolgebau Polarstern II am Horizont in Sicht gekommen wäre. So treten nun mehr und mehr Reparaturen altersbedingter Schäden neben die routinemäßige Instandhaltung, Wartung und Modernisierung.

Kapitän Pahl: Seeleute neigen ja dazu, ihr Schiff zumeist liebevoll zu personifizieren und so sei hier die Feststellung gestattet, dass ein Mensch durch Aktivität und gesunde Lebensweise auch im Alter enorm leistungsfähig bleiben kann. Im übertragenen Sinne heißt das für unser Schiff, dass eine kontinuierliche Instandhaltung und Modernisierung Polarsterns dazu beigetragen hat, dass es uneingeschränkt und ohne Leistungsminderungen die Einsatzaufgaben erfüllen kann.

In 30 Jahren hat sich vor allem die Technik enorm weiterentwickelt. Welche Neuerungen gab es in dieser Zeit an Bord?

Ralf Krocker: Hier sind vor allem unsere Nachbesserungen im IT-Bereich zu nennen. Zusätzlich wurde ein Computerraum mit Rechnern, Druckern und Plottern nachträglich eingerichtet. Im Jahr 2008 haben wir eine Internet-Standleitung installiert. Bis dahin hatten Crew und Wissenschafter ihre Messdaten und E-Mails nur dreimal am Tag via Satellitenverbindung versenden können. Das heißt, morgens, mittags und abends wurden die E-Mails en bloc behutsam und routiniert verschickt. Jetzt geht all das zu jeder Zeit.

 

Polarstern ist gerade von einer langen Reise aus der Antarktis zurückgekommen. An welchen Stellen oder Bauteilen des Schiffes nagen die extremen Umweltverhältnisse am stärksten?

Kapitän Pahl:
Die Eisfahrt beansprucht vor allem den Schiffkörper. Aufgrund der soliden Bauweise des Schiffes sind bisher jedoch keine großen Schäden aufgetreten. Die Schiffspropeller werden durch Eiskontakt belastet, dies gilt auch für die Ruderanlage. Im Überwasserbereich beeinflussen starke Minustemperaturen den Betrieb aller Winden und Kräne. Schnee und Eisansatz räumen wir aus Sicherheitsgründen immer zügig – vor allem, um ein gefahrloses Begehen der Decks zu gewährleisten.

Ralf Krocker: Wenn das Schiff nach einer solch langen Fahrt in das Trockendock kommt, findet eine Dockbegehung statt. Das heißt, alle zuständigen Fachleute gehen einmal um das Schiff herum und schauen, ob Dellen und Beulen im Rumpf sind – was eigentlich immer die Regel ist. Beim letzten Mal haben wir kleine Löcher entdeckt. Sie zogen sich zwar nie ganz durch die Stahlplatten, waren aber im Durchmesser groß genug, dass man einen Stift hineinstecken konnte. Der Rest sind eher allgemeine Verschleißerscheinungen wie Rost, der meist aber nur oberflächlich ansetzt. In solchen Fällen genügt es, einmal zu schleifen und neu zu streichen. Ansonsten wird Polarstern sehr behutsam und routiniert gefahren. Man muss den Nautikern und den Kapitänen ein großes Lob aussprechen. Sie führen das Schiff sehr sauber durch das Eis.


Welche Neuheiten gibt es denn in Sachen Forschungstechnik an Bord der Polarstern?

Kapitän Pahl: Gegenwärtig durchlaufen die Fächerlotanlagen des Schiffes umfangreiche Wartungs- und Kalibrierungstests. Weite Gebiete in der Arktis und Antarktis sind immer noch nicht oder nur unzureichend vermessen. Der Einsatz unserer Anlagen kann hier einen wichtigen Beitrag zur genauen Erschließung der bisher noch unbekannten Seegebiete leisten. Die internationale Staatengemeinschaft erarbeitet zudem gegenwärtig Schifffahrtsvorschriften für die arktischen und antarktischen Seegebiete, die in absehbarer Zeit in einem Polar Code münden. Bei den Beratungen werden auch die besonderen Risiken für die Schifffahrt in diesen Gebieten beschrieben, wozu in erster Linie die unzureichende Vermessung gehört. Der Einsatz des Forschungsschiffes Polarstern mit seinen modernen Vermessungskapazitäten wird hier sicherlich als ein wesentlicher Beitrag gewertet.

Ralf Krocker: Neu ist zudem WAMOS – ein Radarsystem, das die Wellenhöhe, -periode und -richtung misst. Bisher ist es so, dass ein erfahrener Meteorologe alle drei Stunden synoptische Beobachtungen macht, d.h. neben meteorologischen Parametern auch Wellenmerkmale protokolliert. WAMOS soll diese Beobachtungen unterstützen und langfristig vielleicht sogar ablösen. Noch befindet sich diese Anlage allerdings im Testlauf.

Auf dem Tacho

Der Forschungseisbrecher Polarstern hat bis 2012 in seinem Schiffsleben 1.462.338 Seemeilen zurückgelegt. Dabei entfallen 351.072 Seemeilen auf die Arktis und 681.547 Seemeilen auf die Antarktis. 429.719 Seemeilen wurden auf Transitstrecken gefahren. Eine Seemeile entspricht 1,852 Kilometern. 

FS Polarstern

Wahrzeichen der Polarforschung