Was wächst in der Nordsee?

AWI stellt erste App für Bestimmung von Großalgen der deutschen Nordsee vor
[03. Mai 2023] 

Eine neue App erfasst, bebildert und beschreibt ab heute alle Großalgen, die im westlichen und östlichen Wattenmeer sowie um die Insel Helgoland wachsen. An den Start geht SeaKey als Bestimmungsschlüssel jetzt mit 68 Braunalgen; die Gruppen der Grün- und Rotalgen werden folgen. Die App, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts entwickelt wurde, bietet Fachleuten aus Wissenschaft und Behörden, Studierenden sowie interessierten Laien mithilfe eines neu entwickelten Matrix-Konzeptes eine übersichtliche Möglichkeit, um Algen zu bestimmen.

An ihren Standorten bilden Großalgen die Basis der küstennahen Nahrungsnetze und bieten ein Habitat für viele marine Tiere. Diese auch Makroalgen genannte, pflanzenähnliche Gruppe, kann unter Wasser drei-dimensionale Wälder ausbilden, die tropischen Regenwäldern in ihrer Komplexität ähneln. Es sind über 10.000 Makroalgenarten bekannt, die die Felsküsten aller Meere besiedeln, von den Tropen bis in die Polargebiete. Außerdem binden sie durch ihre hohe Produktivität Kohlendioxid (CO2) und entziehen damit dieses Treibhausgas der Atmosphäre. Ihre funktionelle Vielfalt macht marine Makroalgen zu wichtigen so genannten „Zeigerarten“. Anhand ihres Vorkommens erfassen die zuständigen Landesbehörden regelmäßig im Rahmen europäischer Richtlinien (WRRL, MSRL, FFH) den ökologischen Zustand von Küstengewässern.

Für Deutschland fehlte bisher eine einheitliche, zusammengeführte und aktuelle Darstellung, die die vielen vorhandenen internationalen Bestimmungsschlüssel für Algen mit regionalem Fokus überschaubar komprimiert. Diese Lücke schließt jetzt SeaKey: Die App ist ein Algenschlüssel, der die taxonomische Bestimmung von Makroalgen für Deutschland auf den neuesten Stand bringt und die Informationen vereinheitlicht, die bisher in unterschiedlichen Quellen zu finden waren.

Die browserbasierte App liefert einen wichtigen Beitrag, um interessierten Menschen den Zugang zur Welt der Algen zu erleichtern und gerade auch hinsichtlich des Erhalts der marinen Biodiversität, die notwendige Expertise aufrechtzuerhalten. Derzeit gibt es in Deutschland nur wenige Fachleute, die über die gut erkennbaren etwa 20 häufigsten und größten Arten hinaus noch weitere Arten bestimmen können. Allein an dem Biodiversitäts-Hotspot der deutschen Nordsee, der Insel Helgoland, leben aber über 300 Makroalgen-Arten, die sich in Braun-, Rot- und Grünalgen aufgliedern. Der Mangel an Expertise liegt unter anderem daran, dass die Bestimmung von marinen Makroalgen in vielen Fällen schwierig ist und die Kenntnis und Vermittlung ihres Artenreichtums weitgehend aus dem Fokus von Universitäten und Instituten verschwunden sind.

Das Konzept
„Wir führen die Nutzenden entlang morphologischer Bestimmungsmerkmale hin zur Artbestimmung,“ erklärt Dr. Inka Bartsch vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Die Biologin und Algenexpertin hat den Bestimmungsschlüssel SeaKey gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen entwickelt. „Dabei verzichten wir darauf, die Systematik mit Ordnungen, Familien oder Gattungen in den Vordergrund zu stellen, denn auch verwandte Arten können ganz unterschiedlich aussehen“, sagt Inka Bartsch. Die klassischen, sogenannten dichotomen Schlüssel, bieten bei jedem Merkmal lediglich zwei Auswahlmöglichkeiten an, die dann zum nächsten Merkmal führen. Inka Bartsch erläutert: „Es ist schwierig und oft entmutigend, wenn man einen Fehler erkannt hat, im Bestimmungsweg zurückzufinden. Außerdem fehlt bei dichotomen Schlüsseln ein gut vergleichender Überblick über die Merkmale ähnlicher Arten. Deshalb haben wir ein Matrix-Konzept entwickelt, dessen innovativer Ansatz es ist, dass er variable Zugriffsmöglichkeiten bietet. Nutzende können also auf verschiedenen Ebenen in die Bestimmung einsteigen, je nachdem welche Merkmale sie bewerten. So können neben Fachleuten aus Wissenschaft und Behörden auch Studierende und interessierte Laien Erfolge erzielen, wenn sie eine ihnen unbekannte Alge bestimmen.“ Um eine breite Nutzung auch außerhalb Deutschlands und durch internationale Studierende zu fördern, sind die Informationen in englischer Sprache verfasst.

Zugang
Der Schlüssel steht in drei Produktvarianten zur Verfügung:

  • Digitaler Schlüssel auf der Webseite seaweeds.awi.de/
  • SeaKey-App: im Appstore
  • PDF-Dokument für den kompletten Überblick und zum Ausdrucken für den webunabhängigen Gebrauch per Download auf seaweeds.awi.de/

Neben dem Bestimmungsschlüssel selbst gibt es zusätzlich Informationen zu den verwendeten Methoden und Referenzen, ein Glossar, um Fachbegriffe zu erklären, und eine Übersichtliste der behandelten Braunalgenarten mit Synonymen, die in der gängigen deutschen Literatur Verwendung finden.

Technische Entwicklung
Der Inhalt des Matrixschlüssels wurde in einen webbasierten Schlüssel umgewandelt. Der Web-Schlüssel wurde mit Local Cosmos implementiert, einer browserbasierten Software zur Erstellung naturkundlicher Apps und Websites, die Bestimmungsschlüssel, Artenprofile, ein Glossar und andere Komponenten enthalten können und durch die Firma sisol systems zur Verfügung gestellt und mit ihr zusammen weiterentwickelt wurde (https://www.sisol-systems.com/​​​​​​​).

Team
Inka Bartsch (Projektleitung, Entwicklung von Text und Bestimmungsschlüssel), Tosia Schmithüsen (Projektkoordination, Implementierung, Co-Entwicklung des Textes), Ralph Kuhlenkamp (Co-Entwicklung von Text und Bestimmungsschlüssel).
Web-Anwendung und Design: Thomas Uher, Judith Boelke (sisol-systems)

Finanzielle Förderung
Diese Arbeit wurde finanziell unterstützt durch die ‘Earth System Knowledge Platform’ (ESKP) der Helmholtz Gemeinschaft und das Landesamt für Umwelt des Landes Schleswig-Holstein, LfU, Flintbek.

Kontakt

Wissenschaft 

Dr. Inka Bartsch
+49(471)4831 1404
inka.bartsch@awi.de

Pressestelle 

Dr. Folke Mehrtens
+49(471)4831 2007 
folke.mehrtens@awi.de

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Das Alfred-Wegener-Institut forscht in den Polarregionen und Ozeanen der mittleren und hohen Breiten. Als eines von 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft koordiniert es Deutschlands Polarforschung und stellt Schiffe wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen für die internationale Wissenschaft zur Verfügung.

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