Pressemitteilung

Neue Interpretation für antarktische Eisbohrkerne

[02. März 2011] 

Forscher des Alfred-Wegener-Instituts erweitern gängige Theorie zur Klimageschichte

Bremerhaven, den 2. März 2011. Klimaforscher des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft (AWI) erweitern eine gängige Theorie zur Entstehung von Eiszeiten. In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature" präsentieren drei Physiker aus der AWI-Arbeitsgruppe „Dynamik des Paläoklimas" neue Berechnungen zum Zusammenhang von natürlicher Sonneneinstrahlung und langfristigen Änderungen im globalen Klimageschehen. Bisher galt die Vermutung, Temperaturschwankungen in der Antarktis, die für die letzte Million Jahre aus Eisbohrkernen rekonstruiert sind, seien durch die erdumspannende Wirkung von Klimaänderungen auf der Nordhalbkugel ausgelöst worden. Die neue Studie zeigt jedoch, dass wesentliche Teile der Temperaturschwankungen ebenso gut durch lokale Klimaänderungen auf der Südhalbkugel erklärt werden können.

 

Für die natürlichen Klimaänderungen während der letzten Millionen Jahre haben die Variationen der Erdbahn und der Erdneigung einen entscheidenden Anstoß gegeben. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wurde ihr Einfluss auf die saisonale Verteilung der Sonneneinstrahlung von dem serbischen Mathematiker Milutin Milankovitch berechnet und seitdem als astronomische Theorie der Eiszeiten diskutiert. Weil insbesondere die Landoberflächen empfindlich auf eine veränderte Sonneneinstrahlung reagieren, die Landmassen auf der Erde aber ungleich verteilt sind, schrieb Milankovitch Einstrahlungsänderungen auf der Nordhalbkugel generell eine herausragende Bedeutung für Klimaänderungen über lange Zeiträume zu. Seine Überlegung wurde zur gängigen Arbeitshypothese in der aktuellen Klimaforschung, weil zahlreiche Klimarekonstruktionen aus Eisbohrkernen, Meeressedimenten und anderen Klimaarchiven sie zu stützen scheinen.


Die AWI-Wissenschaftler Thomas Laepple, Gerrit Lohmann und Martin Werner haben die Temperaturrekonstruktionen aus Eisbohrkernen für die jetzt veröffentlichte Studie nochmals grundlegend analysiert. Dabei berücksichtigten sie erstmals, dass in dem aufgezeichneten Signal in antarktischen Eiskernen die Wintertemperatur einen stärkeren Einfluss als die Sommertemperatur hat. Wird dieser Effekt in die Modellrechnungen einbezogen, lassen sich die aus Eiskernen rekonstruierten Temperaturschwankungen auch über lokale Klimaänderungen auf der Südhalbkugel erklären.

 

„Unsere Ergebnisse sind auch deshalb so interessant, weil sie uns vielleicht aus einer wissenschaftlichen Sackgasse führen", erläutert Thomas Laepple, der sich mit einem Stipendium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung derzeit zu Forschungszwecken an der amerikanischen Harvard-Universität aufhält, die Bedeutung des neuen Befunds. Denn die Frage, ob und wie das Klimageschehen auf der nördlichen und südlichen Hemisphäre miteinander gekoppelt ist, gehört derzeit zu den spannendsten wissenschaftlichen Fragen für das Verständnis von Klimaveränderungen. Bisher  haben viele Forscher versucht, erdgeschichtliche Klimadaten aus der Antarktis mit der klassischen Hypothese von Milankovitch zu erklären. „Diese Hypothese lässt sich bisher aber nicht in allen Aspekten plausibel begründen", so Laepple. „Nun ist das Spiel wieder offen, und wir können versuchen, die langfristigen physikalischen Mechanismen, die den Wechsel von Eis- und Warmzeiten bestimmen, besser zu verstehen."

 

„Wir konnten außerdem zeigen, dass nicht nur Daten aus Eiskernen, sondern auch Daten aus Meeressedimenten ähnliche Verschiebungen zu bestimmten Jahreszeiten aufweisen. Deshalb steckt in der weiteren Interpretation von Paläoklimadaten noch eine Menge Diskussionsstoff", ergänzt Gerrit Lohmann. Die AWI-Physiker betonen, dass man mit einer Kombination aus hochwertigen Daten und Modellen dem Klimawandel auf die Spur kommt: "Erkenntnisse über lange vergangene Zeiten helfen uns, die Dynamik des Klimas zu verstehen. Nur so erfahren wir, wie das Klima der Erde sich gewandelt hat, und wie empfindlich es auf Änderungen reagiert."

 

Um Missverständnissen vorzubeugen ist den AWI-Wissenschaftlern ein abschließender Hinweis sehr wichtig. Die neue Studie stellt nicht in Frage, dass der aktuell zu beobachtende Klimawandel größtenteils anthropogen verursacht ist. Zyklische Veränderungen, wie sie in der Nature-Veröffentlichung  untersucht wurden, schwingen in einem Takt von zehntausenden oder hunderttausenden von Jahren. Der drastische Ausstoß anthropogener Klimagase innerhalb von wenigen hundert Jahren addiert sich zu dem natürlichen Anstieg der Treibhausgase nach der letzten Eiszeit und ist einmalig für die letzte Million Jahre. Wie sich das Klimasystem inklusive der komplexen  physikalischen und biologischen Rückkopplungen langfristig entwickeln wird, ist Gegenstand der derzeitigen Forschung am Alfred-Wegener-Institut.

 

Hinweise für Redaktionen:   Ihre Ansprechpartner am Alfred-Wegener-Institut sind Prof. Dr. Gerrit Lohmann (Tel: +49(471)4831-1758; E-Mail: Gerrit.Lohmann@awi.de), Dr. Martin Werner,Tel: +49(471)4831-1882; E-Mail: Martin.Werner@awi.de) und Dr. Thomas Laepple (Thomas.Laepple@awi.de). Ihr Ansprechpartner in der Abteilung Kommunikation und Medien ist Ralf Röchert (Tel: +49 (0)471 4831-1680; E-Mail: medien@awi.de).

Der Originaltitel der Publikation, auf die sich diese Pressemitteilung bezieht, lautet: Laepple, T., M. Werner, and G. Lohmann, 2011: Synchronicity of Antarctic temperatures and local solar insolation on orbital time-scales. Sie wird am 3.März 2011 in der Zeitschrift „Nature“ veröffentlicht (doi:10.1038/nature09825).

 

Das Alfred-Wegener-Institut forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der mittleren sowie hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Ant­arktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist ei­nes der siebzehn Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissen­schaftsorganisation Deutschlands.

 

Hintergrund:

Eiszeiten und Milankovitch-Zyklen

Der Wechsel von Kaltzeiten mit ausgedehnten Vereisungen (Glaziale) und Warmzeiten mit Gletscherrückgang (Interglaziale) ist für die geologische Epoche des Quartärs kennzeichnend. Die Zeitspanne des Quartärs umfasst die letzten 2 Millionen Jahre und wird unterteilt in das Pleistozän und das Holozän. Verbunden mit diesen Klimaschwankungen ist der Auf- und Abbau ausgedehnter Eisschilde. Die Warmzeiten ähneln in Klima und Vegetation der Gegenwart. Während der letzen Eiszeit vor 20.000 Jahren war die Temperatur in Europa ca. 10-20 Grad niedriger als heute

Die klimatischen Wechsel zwischen Kalt- und Warmzeiten auf der Erde (Glazial-Interglazial Schwankungen) werden mit der Veränderung der Sonneneinstrahlung, Veränderungen in Treibhausgaskonzentrationen (wie z.B. Kohlendioxid), sowie internen Wechselwirkungen im Klimasystem in Verbindung gebracht. Obwohl es keine allgemein anerkannte Theorie für das Auftreten von Eiszeiten gibt, gilt die Hypothese, dass Schwankungen der Erdbahn für Glazial-Interglazial-Zyklen verantwortlich sind, als diejenige, die am besten von Daten gestützt wird. Milutin Milankovitch stellte diese Hypothese in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als erster auf eine mathematische Grundlage. Seine Theorie beruht auf der Variation dreier Parameter der Erdumlaufbahn:

  1. Exzentrizität. Die Bahn der Erde um die Sonne ist nicht kreisrund. Die Abweichung der Bahnellipse vom Kreis wird durch die Exzentrizität beschrieben. Die wichtigsten Perioden dieser Schwankungen liegen bei etwa 100.000 und 400.000 Jahren. Die Exzentrizität schwankt aufgrund der Massenanziehung der anderen Planeten, vorzugsweise der beiden größten, Jupiter und Saturn.
  2. Nutation, Obliquität. Die Neigung der Erdachse gegenüber der Ebene, die durch die Erdumlaufbahn beschrieben wird, hat eine dominante Periode bei 41.000 Jahren. Dieser Winkel beträgt derzeit 23,5 Grad und variierte etwa zwischen 22 und 24,5 Grad im Quartär.
  3. Präzession. Der Mond wirkt auf den Kreisel Erde mit einem Drehmoment, das bemüht ist, die Kreiselachse der Erde senkrecht zur Bahnebene des Mondes aufzurichten. Die Erde vollführt eine Präzession der Tag- und Nachtgleichen (Äquinoktien) die im Zusammenspiel mit der Rotation des Erdorbits eine charakteristische Periode von 21.000 Jahren hat.

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