Dynamik des Antarktischen Meereises in der Vergangenheit

Neue Studie gibt Aufschluss über Wechselwirkungen zwischen Meereis, Ozeanzirkulation und Klima vor etwa 18.000 bis 11.000 Jahren
[16. Oktober 2023] 

Der Übergang von der letzten Eiszeit zur gegenwärtigen Warmzeit war durch eine starke Erwärmung der Antarktis und einen gleichzeitigen Anstieg des CO2-Gehalts in der Atmosphäre vor ca. 18.000 bis 11.000 Jahren gekennzeichnet, deren Ursache vermutlich im Südlichen Ozean lag. Eine Studie des ehemaligen AWI-Forschers Henrik Sadatzki zeigt, dass die antarktische Meereisbedeckung während dieses Übergangs erheblich zurückgegangen ist und eine Schlüsselrolle bei den bedeutenden deglazialen Klima- und atmosphärischen CO2-Veränderungen gespielt hat. Die Studie trägt wichtige neue Erkenntnisse zur laufenden wissenschaftlichen Debatte über die Mechanismen von vergangenen Klimaveränderungen bei.

Es ist gut belegt, dass die Temperatur in der Antarktis und der CO2-Gehalt der Atmosphäre während der letzten Eiszeit viel niedriger waren als heute. Mit dem Übergang von der letzten Eiszeit in die aktuelle Warmzeit erwärmte sich die Antarktis und der CO2-Gehalt stieg an. Der Südliche Ozean wird dabei als wichtiges „Regelventil“ angesehen, das CO2 aus dem Ozean in die Atmosphäre entließ.

Eine neue Studie, die in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht wurde, belegt, dass die Erwärmung der Antarktis und die Ausgasung von CO2 aus dem Südlichen Ozean in die Atmosphäre eng mit einem raschen Rückgang der antarktischen Meereisbedeckung verbunden waren. Allerdings hatte der Rückgang des sommerlichen Meereises von seinem eiszeitlichen Maximum bereits mindestens 2000 Jahre zuvor begonnen. „Die beispiellose Rekonstruktion der vergangenen Frühjahrs-/Sommer-Meereisbedingungen vor der Ostantarktis dokumentiert die führende Rolle, die der Meereisrückgang und die damit verbundenen Rückkopplungsmechanismen für die Veränderungen der Zirkulation im Südlichen Ozean und die deglazialen Klimaveränderungen gespielt haben“, erklärt der Hauptautor der Studie, Henrik Sadatzki, der während der Arbeit an der Studie in der Marinen Geologie am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) geforscht hat und jetzt ans MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen, gewechselt ist.

Molekulare Zeugnisse aus Meeresbodensedimenten

Sadatzki und seine Kolleginnen und Kollegen untersuchten einen Sedimentkern, der vor der Küste der Ostantarktis genommen wurde, und stellten fest, dass die oberen drei Meter der Sedimente in den letzten 40.000 Jahren abgelagert wurden, also auch in der Zeit, als die Erde von der letzten Eiszeit in die heutige Warmzeit überging. Die Forschenden analysierten Biomarker, bestimmte organische Moleküle in den Sedimenten, um die Meereisbedingungen während der letzten 40.000 Jahre zu rekonstruieren.

Die molekularen Biomarker wurden mit anderen Sedimentkerndaten kombiniert und mit den Ergebnissen von Modellsimulationen verglichen. Auf diese Weise hat das Team eine beispiellos detaillierte und umfassende Untersuchung der antarktischen Meereisdynamik in der Vergangenheit, deren Ursache und Zusammenhänge mit der Zirkulation im Südlichen Ozean, dem Klima und den atmosphärischen CO2-Veränderungen vorgelegt.

Meereis- und Klimaveränderungen in der Vergangenheit

Die Studie liefert zuverlässige Belege für nahezu ganzjährige Meereisbedingungen mit ausgedehntem Sommer-Meereis an der Kernposition vor der Ostantarktis während der letzten Eiszeit und reduzierte saisonale Meereisbedingungen mit eisfreien Sommern während der Deglazialzeit und der aktuellen Warmzeit.

Die Ergebnisse zeigen, dass der Rückgang des antarktischen Sommermeereises früh einsetzte, mindestens 2.000 Jahre vor Beginn der Deglazialzeit, was wahrscheinlich durch eine zunehmende lokale Sommer-Sonneneinstrahlung bedingt war. Dies verdeutlicht, dass Prozesse in den hohen Breiten der südlichen Hemisphäre eine anführende Rolle für den Anstoß von deglazialen Klimaveränderungen spielten.

„Unsere Daten deuten darauf hin, dass der endgültige Rückgang des Meereises schnell und zeitgleich mit einer verstärkten Durchmischung und Ausgasung von CO2 im Südlichen Ozean zu Beginn der letzten Deglaziation kulminierte, was mit einer Verringerung der atlantischen meridionalen Umwälzzirkulation einherging“, so Sadatzki.

Die in der neuen Studie vorgestellten Proxydaten und Modellsimulationen belegen, dass der Rückgang des antarktischen Meereises, die Veränderungen der Zirkulation im Südlichen Ozean, der atmosphärische CO2-Anstieg und die Erwärmung des Klimas in den hohen Breiten der südlichen Hemisphäre eng miteinander verbunden waren und sich gegenseitig verstärkten.

Die Ergebnisse dieser Studie stützen die Hypothese, dass die Verringerung der Meereisdecke um die Antarktis zur Öffnung des „Regelventils“ im Südlichen Ozean beigetragen und den atmosphärischen CO2-Anstieg und die Klimaerwärmung während der Deglazialzeit verstärkt hat. Die Ergebnisse zeigen auch, dass das antarktische Meereis empfindlich auf den atmosphärischen CO2-Anstieg und auf die Abschwächung der atlantischen meridionalen Umwälzzirkulation in der Vergangenheit reagiert hat, was auf einen möglichen Rückgang des antarktischen Meereises unter künftigen klimatischen Randbedingungen hinweisen könnte.

Originalpublikation

H. Sadatzki, B. Opdyke, L. Menviel, A. Leventer, J. M. Hope, J. J. Brocks, S. Fallon, A. L. Post, P. E. O’Brien, K. Grant, L. Armand, Early sea ice decline off East Antarctica at the last glacial–interglacial climate transition. Sci. Adv. 9, eadh9513 (2023). DOI: 10.1126/sciadv.adh9513

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