Science-Studie

Veränderungen in der Ozeanzirkulation dämpfen Meereisrückgang

Neue Forschungsergebnisse deuten auf Mechanismen zur „Atlantifizierung“ des Arktischen Ozeans hin
[01. September 2023] 

Das sommerliche Meereis ist in der Arktis seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen im Jahr 1979 erheblich zurückgegangen. Allerdings ist bisher noch nicht gut verstanden, warum sich der Rückgang seit 2007 verlangsamt hat. Eine aktuelle Studie in der Fachzeitschrift Science erklärt, warum die Entwicklung des Meereises zum Stillstand gekommen ist. Sie dokumentiert Veränderungen in der Ozeanzirkulation, die durch die Atmosphäre verursacht werden, ein Phänomen, das auch als arktischer Dipol bekannt ist. Wenn sich die atmosphärische Zirkulation das nächste Mal ändert, könnte die Arktis bald in eine weitere anhaltende Periode schnellen Meereisverlusts eintreten, was erhebliche Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt haben könnte, so die neuen Forschungsergebnisse.

„Dies ist ein multidisziplinärer Blick auf die Geschehnisse in der Arktis und darüber hinaus“, sagt Igor Polyakov von der University of Alaska Fairbanks (UAF), Erstautor der jetzt erschienen Science-Studie. Gemeinsam mit weiteren US-amerikanischen und norwegischen Forschenden und Markus Janout vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) beschreibt er die multidisziplinären Reaktionen auf ein atmosphärisches Phänomen, das als arktischer Dipol bekannt ist. „Unsere Analyse umfasst die Atmosphäre, den Ozean, das Eis, die sich verändernden Kontinente und die sich verändernde Biologie als Reaktion auf den Klimawandel.“ Eine Fülle verschiedener Daten - darunter direkte instrumentelle Beobachtungen von AWI-Expeditionen, Reanalyseprodukte und mehrere Jahrzehnte zurückreichende Satelliteninformationen - zeigt, dass sich die arktischen Dipolregime innerhalb eines etwa 15-jährigen Zyklus abwechseln.

Im derzeitigen „positiven“ Regime des arktischen Dipols, das nach Angaben des Forschungsteams seit 2007 besteht, befindet sich anomaler Hochdruck über dem kanadischen Sektor der Arktis. Er erzeugt Winde im Uhrzeigersinn, während sich Tiefdruck über der sibirischen Arktis befindet und Winde gegen den Uhrzeigersinn erzeugt. Dieses anomale Windmuster treibt die Strömungen im oberen Teil des Ozeans an, was sich das ganze Jahr über auf die regionalen Lufttemperaturen, den Wärmeaustausch zwischen Atmosphäre, Eis und Ozean, die Meereisdrift und -ausfuhr sowie auf die Ökologie auswirkt.



Die Autorinnen und Autoren schreiben, dass der Wasseraustausch zwischen den nordischen Meeren und dem Arktischen Ozean von entscheidender Bedeutung für den Zustand des arktischen Klimasystems ist und dass der Rückgang des Meereises ein echter Indikator für den Klimawandel ist. Bei der Analyse der ozeanischen Reaktionen auf das anomale Windmuster seit 2007 stellte das Team fest, dass der Zufluss aus dem Atlantik in den Arktischen Ozean durch die Framstraße östlich von Grönland abnahm, während der Zufluss in der Barentssee nördlich von Norwegen und Westrussland zunahm. In der neuen Studie werden diese abwechselnden Veränderungen zwischen der Framstraße und der Barentssee als „Schaltmechanismus“ bezeichnet, der durch die arktischen Dipolregime verursacht wird. Diese Analyse trägt dazu bei, die Mechanismen des Klimawandels im Arktischen Ozean zu erklären, die durch anomale Zuflüsse aus dem Nordatlantik moduliert werden, die als Atlantifizierung bekannt sind.

Die Forschenden fanden auch heraus, dass Winde gegen den Uhrzeigersinn aus dem Tiefdruckgebiet unter dem derzeitigen positiven arktischen Dipolregime Süßwasser aus sibirischen Flüssen in den kanadischen Sektor des Arktischen Ozeans treiben. Diese westwärts gerichtete Bewegung des Süßwassers von 2007 bis 2021 hat dazu beigetragen, den Gesamtverlust des Meereises in der Arktis im Vergleich zu 1992 bis 2006 zu verlangsamen. Außerdem erhöhte sich die Dicke der Süßwasserschicht an der Oberfläche, wodurch sie so dick und stabil wird, dass sie sich nicht mit dem schwereren Salzwasser darunter vermischt. Die dicke Süßwasserschicht verhindert, dass das wärmere Salzwasser das Meereis vom Boden aus schmelzen lässt.

Die Fachleute schreiben außerdem, dass der Schaltmechanismus, der die Zuflüsse subarktischer Gewässer reguliert, tiefgreifende Auswirkungen auf das Meeresleben habe. Sie fügen hinzu, dass ein weit sogenannter Vegetationsindex ein deutlich unterschiedliches Verhalten des Vegetationswachstums während verschiedener Phasen des arktischen Dipols aufweise. „Wir befinden uns jenseits des Höhepunkts des derzeit positiven arktischen Dipols, und er könnte sich jederzeit wieder umkehren“, sagt Markus Janout. „Dies könnte erhebliche klimatologische Auswirkungen haben, einschließlich eines möglicherweise schnelleren Verlusts des Meereises im gesamten arktischen und subarktischen Klimasystem.“

 

Originalpublikation

Igor V. Polyakov, Randi B. Ingvaldsen, Andrey V. Pnyushkov, Uma S. Bhatt, Jennifer A. Francis, Markus Janout, Ronald Kwok, Øystein Skagseth: Fluctuating Atlantic inflows modulate Arctic atlantification; Science (2023). DOI: 10.1126/science.adh5158

Kontakt

Wissenschaft

Markus Janout
+49(471)4831-1981
Markus.Janout@awi.de

Pressestelle

medien@awi.de

Weitere Infos

Weitere Seiten

» Physikalische Ozeanographie der Polarmeere