Archiv der Pressemeldungen und Kurzmeldungen

PS101 - Wochenbericht Nr. 3 | 26. September bis 2. Oktober 2016

Heiß und Kalt am Gakkelrücken des Arktischen Beckens

[04. Oktober 2016] 

Die dritte Woche der Expedition PS101 war der Erforschung von heißen Quellen in der Tiefsee der eisbedeckten Arktis gewidmet. Und der arktische Herbst hat begonnen.

Tief unter der Wasseroberfläche an den Spreizungszonen der Ozeanplatten entsteht neuer Meeresboden. Die Kraft der tektonischen und vulkanischen Bewegungen formt dabei untermeerische Gebirge, die wir „Ozeanrücken“ nennen – sie durchziehen alle Ozeane. Der Gakkelrücken der Arktis ist noch immer ein Geheimnis, weil er fast unzugänglich ist – außer für das Forschungsschiff Polarstern. Er ist der weltweit am langsamsten spreizende mittelozeanische Rücken, mit durchschnittlich einem Zentimeter pro Jahr. Der Gakkelrücken wurde lange für inaktiv gehalten. Doch auch hier gibt es Vulkanismus und heiße Quellen, Hydrothermalquellen genannt. Wir wollen auf dieser Expedition untersuchen, wie die auffälligen Seeberge des Gakkelrückens entstehen, wie sie die Strömungen beeinflussen und was an ihnen lebt (Abb. 1).

Als zweites Arbeitsgebiet unserer Expedition haben wir uns dazu einen kleinen, steilen Berg von 8 km Durchmesser im Tal des Gakkelrückens nahe des Karasik Seeberges ausgesucht. Dazu konnten wir in der dritten Expeditionswoche zunächst das Gebiet mit dem schiffseigenen Fächerecholot, einem ATLAS Hydrosweep, genau vermessen (Abb. 2). Im Gegensatz zu konventionellen Echoloten, wie sie etwa in der Fischerei und als Tiefenmesser eingesetzt werden, sendet das Fächerecholot zeitgleich 960 Schallwellen (sog. Beams = Strahlen) in einem großen Fächer aus, mit dem man das Profil des darunterliegenden Meeresbodens erfasst. Diese bathymetrischen Informationen werden dann für folgenden Untersuchungen und Probennahmen genutzt. Der Berg erhebt sich mehr als 1000 m über die Umgebung und scheint vulkanisch noch aktiv zu sein.

Mit dem OFOS (Ocean Floor Observatory System) landen wir beim ersten Tauchgang auf riesigen Schutthaufen von Basaltgestein. Doch immer wieder finden wir auch unverwitterte basaltische Kissenlaven. Das sieht aus, als wäre gerade frische Lava aus dem Boden gepresst worden, um im eiskalten arktischen Tiefseewasser sofort zu erstarren. Die Abschreckungsränder aus Gesteinsglas an den Basaltkissen, die wir besonders am Gipfel des Seeberges finden, weisen auf sein geologisch junges Alter hin (Abb. 3). Vulkanische Aktivität fördert Wärme aus dem Inneren der Erde und liefert damit Energie für Zirkulationssysteme im Meeresboden.

Wo das kalte Ozeanwasser mit heißem Gestein aus der tiefen Erde zusammenkommt, entsteht eine wahre Hexenküche. Aufgeheizte, energiegeladene Fluide strömen aus Rissen, Löchern und Kaminschloten zurück ins Meer. Der Typus der heißen Quellen hängt dabei von der vorhandenen Wärmemenge und der Art des anstehenden Gesteins ab, durch welches die Fluide zirkulieren. Nahe des Vulkangipfels haben wir schon beim ersten Tauchgang am Meeresboden verschiedene bunte hydrothermale Ausfällungen entdecken können (Abb. 4). Nun wollen wir natürlich auch noch die zugehörigen Quellen am Meeresboden finden. Ihre Form, die Farbe ihrer Schlote und Rauchfahnen und die Lebewesen darum herum können uns viel über die geologischen Zusammenhänge verraten. Wir suchen dabei auch nach charakteristischen Lebensformen von Tieren und Bakterien, die zusammen die Produkte der chemischen Reaktionen im Meeresboden nutzen wie Wasserstoff und Methan oder auch reduziertes Eisen und Schwefel.

Die Suche nach den „Rauchfahnen“ von heißen Quellen am Meeresboden werden vor allem mit dem Wasserschöpfer und seinen vielen Sensoren durchgeführt. Wie bei einem Jojo-Spiel wollen wir den Wasserschöpfer im Zickzack hoch und runter fahren und dabei über den Meeresboden ziehen – so kann man viel schneller Rauchfahnen aufspüren. Doch wie gelingt das im zunehmend dickeren Eis ? Dazu parken wir Polarstern zunächst an einer Eisscholle. Die Eisforscher steigen dann aus und können um uns herum auf der Scholle ihre Studien zeitgleich betreiben. Das Schiff driftet dann mit dem Wasserschöpfer am Kabel über unsere Zielgebiete – soweit die Theorie. Beim ersten Versuch mussten wir den Schnitt allerdings bald wieder abbrechen, plötzlich spielte die Eisdrift nicht mit und zog uns von unserem Ziel weg. Beim zweiten Versuch hatten wir mehr Glück: Wir fanden die ersten Anzeichen für hydrothermale Aktivität in Form eines schwachen Trübe- und Temperatursignals in einer Tiefe von 2600 Metern – also 300-500 Meter über dem Gipfel des Berges. Die Sensoren schlugen dabei deutlich aus: Anomalien in Temperatur, Trübe und chemischem Potential der Wasserschicht über dem Vulkan deuten auf frische, heiße und recht starke Fluidaustritte hin. Diese sind aber dennoch zu verdünnt, um sie mit bloßem Auge zu sehen. Die nächsten erfolgreichen Tow-yo Drift-Stationen erlaubten die Aufzeichnung der für unsere Augen unsichtbaren Rauchfahne über unserem kleinen Berg (Abb. 5). Klar ist, dass sich die frischesten Signale durch Temperaturerhöhungen und scharfe Abfälle im chemischen „Redox“ Potential, sowie hohem Silikat-, Methan- und Wasserstoffgehalt auszeichnen, dabei aber keine Erhöhung der Trübe zu beobachten ist. Wenn sich die Rauchfahne weiter von der Quelle entfernt, wird das chemische Signal schwächer, und die Trübe steigt an. Unter jeder dieser Rauchfahnen zeigen sich Terrassenstufen in der Topographie des Berges. Und auch wenn der mit den gleichen chemischen Sensoren ausgestattete Kameraschlitten über die Terrassen fährt, sehen wir die Rauchzeichen in den Daten.

Was für eine Art von heißer Quelle kann solche Rauchfahnen erzeugen? Bei den typischen Schwarzen Raucher-Schloten fallen Sulfide aus, sobald die 350°C heissen Fluide in Kontakt mit dem kalten Seewasser kommen. In diesem Fall treten Trübe- und chemische Redox-Signale gleichzeitig auf. Das Fehlen eines Trübesignals bei den stärksten Temperatur- und Redox-Anomalien deutet stattdessen darauf hin, dass die Trübepartikel erst nach und nach aktiv im Plume gebildet werden. Eine mögliche Erklärung wäre ein Vent mit niedrigerer Temperatur (um 300°C); in diesem Fall bilden sich die Sulfide bereits unterhalb des Meeresbodens, und die Ventfluide treten als klare Flüssigkeit aus, die reich an gelöstem Eisen und Gasen ist. Dabei könnte das gelöste Eisen nach und nach mit dem Sauerstoff im Meerwasser reagieren und langsam 'Rost' Partikel bilden, die als Trübeplume in unseren Messungen zu sehen wären. Bei diesem Szenario suchen wir auf dem Meeresboden also nicht nach rauchenden Schornsteinen, sondern eher nach Hydranten, die klares, heißes Wasser speien.

Die Gase Wasserstoff und Methan gehören dabei zu den wichtigsten reduzierten Verbindungen, die an hydrothermalen Quellen in die Wassersäule austreten.  Wir können ihre Emission mithilfe gaschromatographischer Methoden schon an Bord quantifizieren und so auch ihre Bedeutung für Mikroorganismen untersuchen. Diese holen wir uns mit dem Wasserschöpfer an Bord und versuchen sie mit verschiedenen Energiequellen zu füttern, um herauszufinden, welche von ihnen von den Rauchfahnen in der arktischen Tiefsee leben. In den frischen Rauchfahnen sind die Methan- und Wasserstoffkonzentrationen sehr hoch. (Abb. 6).

Auffallend ist, dass die Verhältnisse beider Gase zueinander stark schwanken. Dies könnte möglicherweise auf verschiedene hydrothermale Quellen hinweisen. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass beide Stoffe unterschiedlich schnell durch Mikroorganismen abgebaut werden. Für die Mikroben stellen die reduzierten Verbindungen in den Fahnen eine potentielle Energiequelle dar, mit der sie ähnlich wie Pflanzen Kohlendioxid in Biomasse umwandeln können – und dazu brauchen sie kein Licht. Erste Ergebnisse von den mikrobiologischen Experimenten zeigen, dass die Einzeller der Rauchfahnen tatsächlich eine gegenüber normalem Tiefenwasser vielfach erhöhte Kohlenstofffixierung zeigen. Ein neues spektrometrisches Gerät an Bord hat dem Methanrauch auch schon erste Informationen über seinen Ursprung entlockt. Es ist isotopisch sehr schwer gegenüber dem atmosphärischen Methan und lässt uns vermuten, dass es direkt in der Hexenküche des tiefen Meeresbodens entsteht.

In den kommenden Wochen wechseln wir immer wieder zwischen dem jungen, heißen Berg und dem alten, großen Seeberg hin und her, um unsere verschiedenen Aufgaben und Forschungsgeräte zeitlich optimal miteinander zu verschränken. Zur Abkühlung gibt es alle 2-3 Tage eine Eisstation. Auch der Untereis-Roboter NUI hat sein schwieriges Werk aufgenommen und uns 2 hochauflösende Karten und ein Photomosaik beschert. Es ist schon eine besondere Kombination von Extreme-Lebensraum-Forschung, wenn ein Teil der Forscher Tausende von Metern unter dem Schiff die seltsamen Lavafelsen nach heißen Quellen absucht, während gleichzeitig um das Schiff herum die anderen Mitfahrer in Eis und Schnee Kerne bohren, Bojen aussetzen und den gerade beginnenden Gefrierprozess an jungen Schollen beobachten. Wir sind jedenfalls alle froh, uns für Ruhepausen in den gemütlichen Bauch des Schiffes zurückziehen zu können. Denn inzwischen ist der arktische Herbst eingekehrt, es gibt nur noch wenig Sonnenstrahlen, dafür viel Wind und Schnee, und die ersten Tage unter -10°C.  Wir haben gerade zusammen mit der Mannschaft das Bergfest gefeiert mit einem Empfang auf der Eisscholle und BBQ an Bord. Die Hälfte der Fahrt ist also um, doch wir haben noch so viel vor. Drückt uns die Daumen, dass weiterhin Wind, Wetter und das Eis mitspielen.

Von Bord grüßen bei bester Gesundheit die wissenschaftlichen Teilnehmer der Karasik-Expedition ihre Familien, Freunde und Kollegen.

Antje Boetius

Kontakt

Wissenschaft

Antje Boetius
+49(471)4831-1100
Antje.Boetius@awi.de

Wissenschaftliche Koordination

Rainer Knust
+49(471)4831-1709
Rainer Knust

Assistenz

Sanne Bochert
+49(471)4831-1859
Sanne Bochert