PS126 - Wochenbericht Nr. 4 | 14. - 21.06.2021

Bodenarbeiten

[21. Juni 2021] 

Wie bereits im letzten Wochenbericht angekündigt, wollen wir heute über die Arbeiten der Benthologen und Biogeochemiker während der Polarstern-Expedition PS126 berichten; ihr Ziel ist es, Lebensgemeinschaften und Prozesse am Tiefseeboden zu untersuchen.

Um den globalen Kohlenstoffkreislauf besser verstehen zu können, muss man zu wissen, welche Rolle die Meere bei der Speicherung des atmosphärischen Kohlenstoffs spielen. Hierzu gibt es bereits eine Reihe von Untersuchungen im offenen Ozean. Abbauprozesse organischen Materials am Meeresboden, speziell der Arktis, sind bisher nur sehr selten untersucht wurden. Während der aktuellen Expedition wurden deshalb an ausgewählten Stationen Freifallgeräte eingesetzt, die mit sogenannten Mikroprofilern ausgestattet waren. Anhand der gemessenen Sauerstoffprofile kann der Sauerstoffverbrauch im Sediment bestimmt werden, der in erster Linie durch den mikrobiellen Abbau organischen Kohlenstoffs gesteuert wird.

Die Entnahme von Sedimentproben samt der darauf und darin lebenden Organismen erfolgt mit verschiedenen Bodengreifern, dem sogenannten Multicorer und dem Kastengreifer. Dabei erlaubt uns das stahlarmierte Lichtwellenleiterkabel der Polarstern, die Entnahme der Bodenproben live am Bildschirm zu verfolgen.

Unterproben der auf diese Weise gewonnenen Sedimente werden herangezogen, um den darin enthaltenen Anteil organischen Materials zu ermitteln. Pflanzliche Pigmente (Chlorophylle und deren Abbauprodukte), die in den Proben gefunden werden, dienen als Indikatoren für sedimentiertes organisches Material aus der Algenblüte in den obersten Wasserschichten – dieses Material stellt die Hauptnahrungsquelle für Tiefseeorganismen dar. Ein weiterer Parameter, der bereits an Bord gemessen wird, ist die Aktivität der im Sediment lebenden Bakterien. Dafür „füttern“ wir die Bakterien mit einem speziellen Substrat und messen, wie schnell dieses Substrat durch die bakterielle Gemeinschaft abgebaut wird. Andere Unterproben werden für weitergehende biochemische Untersuchungen im Heimatlabor eingefroren oder mit Formol konserviert.

Um die kleinsten benthischen Organismen quantitativ und qualitativ erfassen zu können, nehmen wir Sedimentproben mit dem Multicorer (MUC). Der MUC bringt uns bei jedem Einsatz bis zu zehn etwa 40 cm lange Sedimentkerne mit einem Durchmesser von 10 cm an Bord. Bakterien, die besonders sensibel und schnell auf Umweltveränderungen z.B. in der Nahrungsverfügbarkeit und der Wassertemperatur reagieren, stehen im Mittelpunkt der Untersuchungen unserer Mikrobiologen. Horizontale und vertikale Verteilungsmuster der sogenannten Meiofauna, das sind mehrzellige Organismen mit einer maximalen Größe von 1 mm, werden im Rahmen einer Doktorarbeit untersucht, wobei diese Arbeit gleichzeitig unsere einmalige, bereits vor über 20 Jahren begonnene Meiofauna-Zeitserie erweitert.

Größere sedimentbewohnende Organismen, werden mit einem Großkastengreifer (GKG) gewonnen. Der GKG sticht bei jedem Einsatz einen etwa würfel-förmigen Sedimentblock von 50 x 50 cm Oberfläche und 50 bis 60 cm Höhe aus dem Meeresboden. Das auf diese Weise gewonnene Sediment wird an Bord durch ein Sieb mit einer Maschenweite von 1 mm gespült und die auf dem Sieb zurückbleibende sogenannten Makrofauna wird für spätere taxonomische Untersuchungen in Ethanol konserviert.

Um einen Blick in das Sediment hinein werfen zu können, setzen wir die sogenannte Sediment Profiling Imagery (SPI) Kamera ein. Sobald der kabelgebundene Geräteträger auf dem Meeresboden aufsetzt, rutscht die Mittelsäule, die die Kamera beherbergt, senkrecht in das Sediment und fotografiert über einen Spiegel die oberen Sedimentlagen von der Seite. Die Bilder geben Aufschluss über vertikale Änderungen in den Sedimenteigenschaften - und hin und wieder findet man auch Grabbauten von Organismen im Anschnitt.

Großflächige Verteilungsmuster der auf dem Meeresboden lebenden Megafauna (z.B. Seelilien, Seegurken, Seeigel und Krebse) erfassen wir mit unserem sogenannten Ocean Floor Observation System (OFOS). Das mit 0,5 Knoten etwa 1,5 m über dem Grund geschleppte Kamerasystem wird regelmäßig entlang ausgewählter ca. 4 km langer Transekte über den Meeresboden gezogen und liefert bei jedem Einsatz 700 – 800 gestochen scharfe Aufnahmen. Ein Vergleich mit Bildern, die auf früheren Expeditionen gewonnen wurden, ermöglicht uns zeitliche Veränderungen in der Dichte und Zusammensetzung der Megafauna festzustellen.

Wirbellose Organismen, sogenannte Invertebraten, dominieren die Lebensgemeinschaft des Tiefseebodens sowohl in ihrer Anzahl als auch in ihrer Biomasse. Die meisten dieser Organismen produzieren planktische Larven, die mit der Bodenströmung verdriftet werden und somit zu ihrer Verbreitung beitragen. Während der aktuellen Expedition versuchen wir diese Larvenstadien mit Pumpsystemen, die wir mit Freifallgeräten auf dem Meeresboden absetzen, qualitativ zu erfassen. Es wäre zweifellos ein tolles Ergebnis dieser Reise, wenn wir letztendlich bestimmte Larvenstadien den ausgewachsenen Meeresbodenbewohnern im Bereich des HAUSGARTENs zuordnen könnten, um auf diese Weise etwas über ihre Verbreitungsmechanismen zu lernen.

Über zwei Jahrzehnte intensiver Langzeituntersuchungen in der Framstraße haben (leider) auch gezeigt, dass die Menge an Zivilisationsmüll selbst in dieser weit abgelegenen Region des Weltozeans merklich zugenommen hat. Im nächsten (und letzten) Wochenbericht werden wir auf die Arbeiten zweier Kolleginnen hier an Bord eingehen, die sich speziell mit dem menschlichen Einfluss auf das marine Ökosystem befassen. 

An Bord sind – nach wie vor – alle wohlauf und guter Dinge!

Mit den besten Grüßen von allen Expeditionsteilnehmern,

Thomas Soltwedel

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