Pressemitteilung

Eisbohrkern aus Nordgrönland enthüllt detaillierte Geschichte des Klimas

[08. September 2004] 

Zum ersten Mal wurde bei einer Bohrung in Nordgrönland ein Eiskern gewonnen, der die Klimageschichte der Nordhemisphäre über die letzte Eiszeit hinaus lückenlos erschließt. Die ersten Ergebnisse des internationalen Eiskern-Projekts NGRIP (North Greenland Ice Core Project) werden diese Woche in „Nature“ veröffentlicht. Vergleichbar den Jahresringen eines Baumes enthält der 3085 Meter lange Eiskern Schichten von Schneefällen der letzten 123.000 Jahre.

Vor der letzten Eiszeit, die vor 115.000 Jahren begann, gab es eine warme Klimaperiode, das Eem, in der es einige Grade wärmer war als heute. Die Klimainformation aus dieser Periode ist in dem Eiskern in Schichten von einem Zentimeter Eis pro Jahr erhalten. Der Eiskern bietet damit einen bisher unerreicht genauen Einblick in einen Abschnitt der Klimageschichte, der unserer jetzigen Warmzeit ähnelt. Der Rückgang der Temperatur am Ende der Eem-Periode war langsam. Die schrittweise Abkühlung bis zu eiszeitlichen Bedingungen zog sich über einige tausend Jahre hin. Aus dem Vergleich des Eem mit den heutigen globalen Umweltbedingungen schließen die Wissenschaftler, dass sogar eine etwas wärmere Klimaperiode als die gegenwärtige langsam über mehrere tausend Jahre in eine neue Eiszeit übergehen würde.

Die Bohrstelle befindet sich bei 75 Grad Nord, 42 Grad West auf dem Inlandeis Grönlands. An der Basis der 3085 Meter dicken Eisdecke schmilzt das Eis. Als letztes Jahr bei der Bohrung das Grundgestein erreicht wurde, flutete deshalb Wasser die unteren 45 Meter des Bohrlochs. Das rötliche Grundwasser des subglazialen Wassersystems war sicher sehr lange Zeit von der Oberfläche isoliert. Es enthält möglicherweise organisches Material exotischer Lebensformen oder Überreste frühen Lebens aus einer Zeit, bevor das Eis Grönland bedeckte. In diesem Sommer haben die Forscher das wieder gefrorene Grundwasser erfolgreich durchbohrt. Mit der Untersuchung haben sie gerade begonnen.

Die Eisbohrung in Grönland dauerte acht Jahre. An dem Projekt waren Wissenschaftler aus Dänemark, Deutschland, Japan, den USA, der Schweiz, Frankreich, Schweden, Belgien und Island beteiligt. Die Analyse des Eises zeigt nicht nur, wie sich die Temperatur in der Vergangenheit verändert hat. Im Eis sind außerdem Proben der vergangenen Atmosphäre in Form von Luftblasen gefangen. Des Weiteren sind partikuläre Spurenstoffe wie Seesalz, Mineralstaub oder Aerosole vulkanischen Ursprungs archiviert. Sie bringen unter anderem Erkenntnisse darüber, wie die Treibhausgase und Aerosole das Klima beeinflussten, bevor der Mensch ins Spiel kam. Wenn die Wissenschaftler verstehen, was das Klima in der Vergangenheit bestimmte, haben sie den Schlüssel zur Vorhersage des zukünftigen Klimas.

Das Eiskern-Projekt in Nordgrönland (North Greenland Ice Core Project, NGRIP) ist ein internationales Programm, dessen Logistik vom Niels Bohr Institut der Universität von Kopenhagen organisiert wird. Das NGRIP-Leitungskomitee mit Mitgliedern der teilnehmenden Staaten koordiniert das Projekt.

Weitere Erläuterungen:
Der Artikel „High-resolution record of Northern Hemisphere climate extending into the last interglacial period“ (North Greenland Ice Core Project members) wird am 9. September in “Nature” veröffentlicht.

Die gebohrten Eiskerne sind Zylinder mit einem Durchmesser von zehn Zentimetern, die in Stücken von dreieinhalb Metern Länge an die Oberfläche gebracht werden. Die spezialisierte Technik der NGRIP-Tiefeisbohrung wurde von den Wissenschaftlern selbst entwickelt und bereits mehrfach eingesetzt, um tiefe Eiskerne zu bohren.

Jedes Jahr fällt Schnee auf die Oberfläche der Eisdecke und bildet Schichten, die nach und nach vom Schnee der folgenden Jahre überdeckt werden. Mit zunehmender Tiefe werden die Schichten zu Eis gepresst. Luftblasen und Aerosole aus der Atmosphäre werden dabei im Eis eingeschlossen. Bei dem nun gewonnenen Bohrkern reicht die jährliche Schichtung 123.000 Jahre zurück. Die Analyse der chemischen und physikalischen Eigenschaften des Eises und der eingeschlossenen Luft zeigt, wie sich das Klima über die Zeit verändert hat.

Ein Team internationaler Wissenschaftler verbringt jeden Sommer einige Monate in einem Camp auf dem Inlandeis Grönlands. Das Camp ist 1000 Kilometer vom nächsten Flughafen entfernt und wird durch Flugzeuge mit Skifahrwerken versorgt. Das Team bohrt und analysiert die Eiskerne in Schächten unter der Schneeoberfläche bei -30°C und schneidet aus den Eiskernen kleine Proben, die in Laboratorien weltweit untersucht werden.

Aus Deutschland ist das Alfred-Wegener-Institut für Polar und Meeresforschung, Bremerhaven, maßgeblich an der Bohrung und den Untersuchungen beteiligt. Außerdem ist das Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg beteiligt. Das Sieben-Millionen-Euro-Projekt wird von den teilnehmenden Nationen finanziert. Deutschland trägt nach Dänemark den zweitgrößten Anteil dieser Summe und war mit eigenen glaziologischen Voruntersuchungen maßgeblich an der Festlegung der Bohrlokalität beteiligt.

Bremerhaven, den 8. September 2004

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Das Alfred-Wegener-Institut forscht in den Polarregionen und Ozeanen der mittleren und hohen Breiten. Als eines von 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft koordiniert es Deutschlands Polarforschung und stellt Schiffe wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen für die internationale Wissenschaft zur Verfügung.