PS 117 - Wochenbericht Nr. 5 | 21. - 27. Januar 2019.

Business as usual.

[31. Januar 2019] 

Business as usual.  Polarstern schiebt sich durch das offene Wasser des Weddellmeeres – die Eisbedeckung hat zumindest gefühlt ein Allzeit‑Minimum erreicht – und läuft eine Verankerungsposition nach der anderen an.

Dort sollen die bis zu viereinhalb Kilometer langen Verankerungen mit ihren batteriebetriebenen wissenschaftlichen Geräten aufgenommen und durch neue ersetzt werden.  Peu à peu gewinnen wir so jahrzehntelange Zeitreihen ozeanographischer Kenngrößen, wie Temperatur und Salzgehalt oder aber mehrjährige Aufnahmen der akustischen Umgebung unter Wasser, unter anderem zur Untersuchung der Ökologie der Wale.

Am Verankerungsort angekommen startet die Routine: Die direkt über dem Ankerstein angebrachte akustische Auslöseeinheit wird mittels codiertem hydroakustischem Signal veranlasst, (hoffentlich) die Klinke zum Ankerstein zu lösen. Mittels eines Unterwasserortungssystems beobachten wir, wie der Auslöser vom Boden abhebt und langsam nach oben steigt. Viele Augenpaare halten nach den orange leuchteten Auftriebskörpern Ausschau, von denen die ersten schon nach wenigen Minuten gesichtet werden. Dennoch ist das Auftreiben weiterer Auftriebselemente abzuwarten, was durchaus über eine Stunde dauern kann, da diese aus bis zu 5000m Tiefe mit nur ca. 1m/s aufsteigen. Bevor sich das Schiff ihnen vorsichtig nähern kann, gilt es doch zu vermeiden, dass die Auftriebskörper unter das Schiff gedrückt werden oder die dazwischen hängende Leine in die Schrauben kommt.  Mittels alter Piratentechnik (Wurfanker) wird dann eines der Auftriebselemente geangelt und anschließend die Verankerung in einer gemeinsamen Anstrengung von Decksmannschaft und Wissenschaftlern Meter um Meter eingeholt, die Geräte abgeschlagen und die aufgenommene Leine aufgetrommelt.

Soweit die Theorie. Die erste Verankerungsaufnahme dieser Berichtsperiode, nachmittags am 21. Januar, hatte jedoch etwas mehr Spannung als gewünscht zu bieten. Zunächst lief alles wie geplant, die Verankerung war aufgetaucht, hatte sich entlang einer langen Linie schön ausgebreitet, und wurde bereits eingeholt. Der aufbrisende Wind und eine schnell zunehmende Strömung jedoch ließ einen benachbarten Eisberg wesentlich schneller treiben als erwartet.  Unaufhaltbar drohte er sich zwei, drei Schiffslängen vor Polarsterns Bug genau zwischen Schiff am weitesten entfernten Auftriebskugeln zu schieben, die in etwa 1km Entfernung treiben (Abb. 1). Bei etwa 15 m Höhe kann er leicht bis zu 100m Tiefgang haben, womit er die Verankerungsleine aufgabeln und mit sich ziehen würde - unwahrscheinlich, dass wir dann noch die restlichen Geräte hätten bergen können. Doch die Schiffsführung findet einen Ausweg. Das Schiff quer zum Wind stellend setzt sie Polarstern parallel zum driftenden Eisberg zurück und zieht so die Verankerung vom Eisberg weg, während das Team an Deck in Höchstgeschwindigkeit die Leine einholt. Nach einer gefühlten Ewigkeit wird klar: Die Leine kommt klar (Abb. 2) und kurz darauf sind alle Geräte an Deck. Zeit zum Durchatmen.

Wenige Tage später, am 24. Januar soll die Verankerung AWI 250-1 geborgen werden, welche schon seit 6 Jahren in eisiger Tiefe ausharrt. Ein erster Anlauf, sie nach den üblichen 2 Jahren zu bergen, kam erst gar nicht zustande, da wir seinerzeit die Expedition wegen eines Schadens am Schiffsantrieb abbrechen mussten. Vor 2 Jahren, beim zweiten Versuch, wollte der Auslöser die Klinke zum Ankerstein partout nicht öffnen, die Verankerung trieb einfach nicht auf.  In Erwartung der Möglichkeit derartiger Probleme nach 4 Jahren Verankerungsdauer hatten wir damals vorsorglich unser kleines ROV Fiona (Abb. 3) mitgebracht, um damit eine Bergeleine am obersten Auftrieb (in immerhin noch 230m Tiefe) anzubringen.  Das klappte seinerzeit auch – bei unserem allerersten Tauchgang mit Fiona überhaupt - doch die Leine war zu dünn und riss beim Versuch die Verankerung anzuheben.  Da damals keine Zeit für einen zweiten Versuch zur Verfügung stand, wollen wir es diesmal wieder versuchen - nun mit einer nur wenig dickeren aber deutlich tragkräftigeren Spezialleine.  

Mittels eines, einem Videospiel nicht unähnlichen, Displays (Abb. 4) steuern die beiden Piloten das ROV per Kartenplotter, Sonar und Video zum vermeintlichen Ort der Verankerung.  Doch die Enttäuschung ist groß: obwohl wir direkt auf dem Punkt stehen, sind weder im Sonar noch im Video die gesuchten Auftriebskugeln zu sehen, egal in welche Richtung wir das ROV blicken lassen.  Allerdings haben wir auch nur ein sehr begrenztes Sichtfeld:  30m weit im Sonar, 10 m weiter im Video – fast wie nachts Autofahren in dichtestem Nebel.  Nach kurzer Beratung beschließen wir eine Linie abzusuchen, die von der ursprünglichen Verankerungsposition zur Position des vorherigen geglückten Andockens verläuft.  Immer noch nichts. Wir entschließen uns auf Gegenkurs zu gehen und parallel zum Schiff zurückzufahren und plötzlich: zunächst im Sonar ein deutliches Echo auf das wir zuhalten, dann im Video eine dünne Leine – die, die uns vor 2 Jahren gerissen ist.  Wir tauchen daran nach unten, passieren den Topauftrieb und klinken die Bergeleine darunter in die dicke Verankerungsleine ein (Abb. 4).  Dann noch einige angespannte Minuten – das ROV wird zurück an Bord geholt, aber ist die Bergeleine auch lang genug? – und wir halten diese in den Händen.  Als kurz darauf die Decksmannschaft die Bergeleine unter Zug nimmt, um die Verankerung zu heben, macht unten am Auslöser die Klinke unter der Last von mehr als 1 Tonne Ankersteingewicht doch noch auf und die Verankerung steigt auf.  Anscheinend war die Klinke durch Ablagerungen schwergängig geworden und konnte sich von alleine nicht mehr öffnen.  Die Verankerung wird an der neuen Bergeleine (pink) ans Schiff gezogen und mit ihr ein dickes Knäuel der dünnen Bergeleine (grau) des ersten Versuchs (Abb. 5).

Nachdem gestern das letzte SUIT-Netz in dickem Eis gefahren wurde, begannen wir heute früh den vorletzten Teil unserer Expedition, eine dichte Abfolge von CTD Profilen den Hang zur Antarktischen Halbinsel hinauf, sowie die Aufnahme und Auslage einer ganzen Reihe von Verankerungen, 17 an der Zahl.  Wir sind gespannt, ob diese wichtige Komponente noch angesichts der immer enger werdenden Zeitreserven – gerade mal noch ein halber Tag – zu schaffen sein wird.

 

Die sehr geschäftige Mannschaft und Wissenschaft senden ihre besten Grüße von Polarstern.

 

Olaf Boebel

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