Archiv der Pressemeldungen und Kurzmeldungen

PS94 Wochenbericht Nr. 5 | 15. bis 20. September 2015

Suche nach passendem Eis

[20. September 2015] 

Am Freitagabend haben wir drei Stunden nach einer Eisscholle gesucht. Nicht, dass kein Eis vorhanden wäre - nach wie vor wird unser Vorankommen dadurch gebremst, dass wir große Schollen umfahren und den einen oder anderen Eisrücken durchbrechen müssen.

Aber immerhin ist das Eis hier im sibirischen Teil der Arktis stellenweise mürber als weiter nördlich. Da aber stabile Schollen, mürbe Schollen und dünnes Neueis gleichermaßen von einer dicken Schneedecke überzogen sind, ist es - noch dazu in der nebeligen Dämmerung - kaum möglich, sie von der Brücke aus zu unterscheiden. Aber um für eine Kombi-Station gleichzeitig auf der Backbordseite Zugang zum Eis zu haben, während auf der Steuerbordseite die Geräte im Wasser gefahren werden können, brauchen wir eine Eisscholle, die hinreichend groß ist, um eine repräsentative Eisdickenmessung zu gewährleisten, die robust genug ist, um nicht durch den Kontakt mit dem Schiff zu zerbrechen; das Schiff muss den Wind von der Steuerbordseite bekommen, außerdem muss auf der Steuerbordseite eine ausreichend große Wasserfläche für die Geräte vorhanden sein und es muss absehbar sein, dass diese Situation über die kommenden 20 Stunden so bleiben wird. Irgendwann war dann tatsächlich die richtige Kombination gefunden und die Arbeit konnte wieder einmal beginnen.

Alle Gruppen zogen mit ihrem Equipment aufs Eis, um die nächsten 6, für manche Gruppen bis zu 12 Stunden, bei Temperaturen um minus 13°C und Schneetreiben mit Wind um 6 Beaufort zu arbeiten. Die Biogeochemiegruppe z.B. steckte sich ein kleines Areal ab, auf dem sie mit einem hohlen Bohrer das Eis durchbohrten. Insgesamt haben sie 15 Eiskerne erbohrt und in kurze Stücke zersägt, die die Schichten von der Eisoberfläche bis zur Unterkante repräsentieren. Die Stücke wandern gut dokumentiert in Tüten und werden auf dem Schiff von verschiedenen Gruppen analysiert. Nach dem Auftauen wird  z.B. ein Kern gefiltert, um die Menge an Eisalgen zu bestimmen, die hier dominant durch die Großalge Melosira arctica vertreten werden.

An einem anderen Kern wird der Methangehalt bestimmt. Auf früheren Fahrten haben wir besonders im östlichen Teil der Arktis unerwartet viel Methan im Meereis gefunden. Jetzt wollen wir verstehen, wie wiederholtes Frieren und Schmelzen diesen hohen Methangehalt beeinflusst. Möglicherweise steht damit die Bildung von DMS (Dimethylsulfid) im Zusammenhang: DMS ist ein klimarelevantes Gas in der Atmosphäre, das als Abbauprodukt von DMSP (Dimethylsulfoniopropionat) entsteht – einem Stoff, den Eisalgen als Frostschutzmittel produzieren.

Alle anderen Kerne werden an eine wachsende Zahl an „Kunden“ verteilt, da die große GEOTRACES-Gruppe zunehmend Interesse entwickelt, neben dem Wasser auch das Meereis auf die jeweiligen Spurenstoffe hin zu beproben um deren Kreislauf im arktischen System vollständig zu erfassen.

Eine der zentralen GEOTRACES-Stationen unserer Fahrt war allerdings am Anfang der Woche die Crossover-Station im Makarowbecken. Insgesamt drei Expeditionen sind in diesem Jahr für das GEOTRACES-Programm in der Arktis unterwegs, um dort in verschiedenen Gebieten gleichzeitig die Verteilung von einer Reihe von Spurenstoffen und Isotopen zu messen. Um dies wirklich zu einer quasi-synoptischen Gesamtaufnahme zu machen, muss sichergestellt werden, dass alle Parameter, die wir hier auf Polarstern messen, genauso von unseren amerikanischen und kanadischen Partnern auf den anderen Schiffen gemessen werden. Um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wurden bei der Planung der Fahrten so genannte Crossover-Stationen vereinbart. Sie sollen möglichst in Gebieten liegen, in denen es keine nennenswerte zeitliche Variabilität gibt, d.h. wo die Strömung so niedrig ist, dass das Wasser nur sehr langsam ausgetauscht wird. Ein solches Gebiet ist das Makarowbecken, das sozusagen mitten in der Arktis von keinem Randstrom erreicht wird und fernab von den flachen Schelfgebieten mit ihrer schwankenden Zufuhr von Spurenstoffen liegt.

Genau bei 87°30‘ N, 179°59‘ E haben wir also Anfang letzter Woche mit unseren beiden Rosetten eine umfangreiche Abfolge von Wasserschöpferprofilen genommen, ca. zwei Wochen, nachdem dort die GEOTRACES-Kollegen auf dem US Coastguard-Schiff Healy genau die gleichen Messungen durchgeführt haben. Die zum Vergleich beprobten Parameter reichen von natürlichen Radioisotopen der Stoffe Thorium, Blei, Polonium und Protactinium, über künstliche Radioisotope wie Jod, Uran und Plutonium, und über seltene Erden wie Neodym bis zu gelösten Spurenmetallen wie Eisen, Zink, Kobalt, Nickel, Kupfer, Quecksilber und Blei. Alle diese Parameter wurden doppelt beprobt, einmal für uns und zusätzlich für unsere amerikanischen Kollegen, die diese Proben in ihren Laboren untersuchen. Wir erhalten im Gegenzug die auf der Crossover-Station genommenen Doppelproben der amerikanischen Kollegen. Auch die anderen beiden GEOTRACES-Fahrten in die Arktis haben eine solche Crossover-Station durchgeführt. Nach der Analyse und Aufarbeitung wird es im Jahr 2017 eine große Konferenz in Paris zur Auswertung all der weltweiten Doppelproben geben. Drücken wir die Daumen, dass die Differenzen klein bleiben!

Herzliche Grüße von Bord,

Ursula Schauer

 

Mit Beiträgen von Nuria Casacuberta und Ellen Damm

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