Pressemitteilung

Klimaerwärmung trifft besonders die Arktis

[10. November 2004] 

Klimaerwärmung trifft besonders die Arktis

„Der Nordpol schmilzt“, „Unsere Erde ertrinkt“, so lauten derzeit die Schlagzeilen der Medien
Am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) rekonstruieren Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen das Klima der Vergangenheit, beobachten das derzeitige Geschehen und leiten Trends für die Zukunft ab. Prof. Dr. Peter Lemke ist Leiter der Sektion Regionale Zirkulation am AWI, Vorsitzender des „World Climate Research Program“ und koordinierender Autor des 2007 erscheinenden vierten Sachstandsberichtes des IPCC . Nachfolgend fasst Peter Lemke wichtige Fakten der Klimadiskussion um die Arktis für Sie zusammen:

Erwärmung der Arktis deutlich
Der Trend ist unübersehbar und ungebrochen: die Arktis erwärmt sich mit einer Rate, die mehr als doppelt so groß ist wie die der anderen Bereiche unseres Planeten. Daten der Wetterdienste zeigen, dass der Anstieg der Oberflächentemperatur in der Arktis in den vergangenen 56 Jahren 1,6°C beträgt. Für die globale Temperatur ist dagegen für den gleichen Zeitraum ein Anstieg von nur 0,4°C zu verzeichnen. Allerdings wird aus Beobachtungen deutlich, dass die Lufttemperatur nicht nur einem Trend folgt, sondern durch ausgeprägte Schwankungen gekennzeichnet ist. Dies unterstreicht die komplexe Natur der Klimaänderungen, die durch Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre, Eis, Ozean und Landoberflächen zustande kommen, wobei auch Pflanzen und Tiere auf den Kontinenten und in den Meeren eine wesentliche Rolle spielen. Die komplexen Wechselwirkungen im Klimasystem sind auch der Grund dafür, dass die Bestimmung des menschlichen Einflusses auf das Klima vor dem Hintergrund der natürlichen Klimaschwankungen so schwierig ist. Neueste Klimarekonstruktionen der vergangenen 100 Jahre zeigen, dass die Erwärmung der vergangenen 30 Jahre zum überwiegenden Teil auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist (IPCC).


Abb1: Jährlich gemittelte Lufttemperaturen nördlich von 70°N für den Zeitraum 1948 bis 2003 (Quelle: NCAR/NCEP, AWI: C. Köberle)

Höhere Wassertemperatur im Nordpolarmeer
Wissenschaftler an Bord des Forschungsschiffes „Polarstern“ haben unter der Leitung des AWI im Sommer 2004 in der Fram Straße zwischen Spitzbergen und Grönland und nördlich davon Veränderungen im Ozean und im Treibeis untersucht. In diesem Bereich findet der wesentliche Austausch von Wassermassen zwischen dem Nordpolarmeer und der Grönlandsee bzw. dem Nordatlantik statt. Mit der globalen Erwärmung der vergangenen Jahre haben sich auch die dortigen Verhältnisse verändert. Temperaturmessungen in verschiedenen Meerestiefen in der Framstraße bei 79°N zeigen seit 1990 eine Erhöhung der Temperatur im Kern des Westspitzbergenstroms, der warmes Atlantikwasser in das Nordpolarmeer führt. Aktuelle Messungen deuten auf einen weiteren Erwärmungstrend hin. Im Vergleich zum Vorjahr sind die oberen 500 Meter um bis zu 0,6°C wärmer. Die Erwärmung setzt sich bis in Tiefen von 2000 Meter fort (Abb. 2). Für ozeanische Verhältnisse ist dies ein ausgesprochen deutliches Signal.


Abb. 2: Differenz der Wassertemperaturen (2004 minus 2003) in der Framstraße entlang 79°Nord zwischen Spitzbergen (Längengrad (longitude) 9 Ost) und Grönland (Längengrad 5 West). Die Tiefe ist in Druckkoordinaten (pressure) angegeben und die Werte können als Meterangabe interpretiert werden. Rot und gelb bezeichnen wärmere und grün und blau kältere Temperaturen (AWI: A. Beszczynska, A. Wisotzki).


Arktisches Meereis wandert nach Norden
Mit dem Einstrom wärmeren Wassers in das Nordpolarmeer und der Erhöhung der Lufttemperaturen ändert sich auch die Meereisdecke. Satellitenaufnahmen zeigen in diesem Jahr einen deutlichen Rückgang der Meereisgrenzen im Bereich der Framstraße und der Barentssee im Vergleich zu den beiden Vorjahren (Abb. 3). Aus der Untersuchung der Satellitendaten seit 1978 wird deutlich, dass sich die arktische Meereisfläche im Mittel um etwa 8% verringert hat, wobei der Rückgang im Frühjahr und Sommer mit 15-20% besonders deutlich ist. Interessanterweise hat sich das antarktische Meereis im selben Zeitraum nicht verringert, sondern hat sogar leicht zugenommen. Eine detaillierte Zusammenfassung der neuesten Forschungsergebnisse über die Arktis wurde kürzlich durch das Arctic Climate Impact Assessment (ACIA) veröffentlicht.



Abb. 3: Meereiskonzentration am 15. August 2004 und Meereiskanten am selben Tag 1998 (weiße Linie), 2002 (grün) und 2003 (rot)(AWI: G. Spreen).


Arktisches Meereis wird dünner
Im Klimageschehen ist aber nicht nur die Meereisausdehnung wichtig, sondern auch die Dicke des Meereises. Diese kann allerdings noch nicht von Satelliten aus gemessen werden. Bisher musste man sich darauf beschränken, in die Meereisgebiete zu fahren und Löcher in Eisschollen zu bohren oder die spärlich freigegebenen U-Boot-Sonardaten zu analysieren, um die Dicke zu bestimmen. In den vergangenen Jahren hat die Meereisgruppe des AWI einen Flugkörper mit einem Eisdickensensor entwickelt, der von einem Hubschrauber innerhalb einer Stunde über Strecken von bis zu hundert Kilometer geschleppt wird. Nur damit lässt sich ein repräsentatives Bild der Meereisdicke auf größerer Skala gewinnen. Vor allem lässt sich diese Sonde für die Kalibrierung des ersten Satelliten (CryoSat) benutzen, der die Meereisdicke ab dem Frühjahr 2005 kontinuierlich aus 700 Kilometern Höhe in beiden Polargebieten bestimmen soll. Bisherige Messungen in der zentralen Arktis deuten auf eine Reduktion der Meereisdicke in den vergangenen Jahren um etwa 15% und in einigen Bereichen sogar auf bis zu 40% hin. Ob diese regionalen Veränderungen als Folge der globalen Erwärmung in allen Bereichen der Polargebiete gleichermaßen auftreten, soll mit CryoSat untersucht werden.

Die globale Bestimmung der Meereisdicke und ihre Veränderung haben in der internationalen Klimaforschung eine große Bedeutung, da das Meereis im Klimasystem eine wichtige Rolle spielt und als sensibler Indikator für Klimaschwankungen gilt. Eine Abschätzung der Variabilität des gesamten Treibeisvolumens lässt sich zurzeit nur mit einem optimierten Meereismodell bewerkstelligen. Integriert man das Meereismodell mit den atmosphärischen Beobachtungen (Lufttemperatur, Wind) der Wetterdienste aus den letzten 50 Jahren, dann zeichnet sich in der Meereisentwicklung eine ausgeprägte Variabilität ab. Das gesamte Eisvolumen der Arktis ist dabei hauptsächlich durch dekadische Schwankungen gekennzeichnet (Abb. 4). Es zeigt sich, dass der Trend über die fünfzig simulierten Jahre verschwindend gering ist. Betrachtet man aber nur die letzten vierzig und insbesondere die letzten zehn Jahre, dann ist der Rückgang des Meereises sehr markant. Der Trend ist also sehr abhängig von den betrachteten Zeitskalen. Daher sind alle bisherigen Eisdickenmessungen mit Vorsicht zu interpretieren. Das Interessante ist demnach nicht nur die langfristige Entwicklung des Meereises, sondern es sind die beträchtlichen Schwankung im zehnjährigen Rhythmus, deren Ursachen noch nicht im Detail verstanden sind.


Abb. 4: Änderungen des Eisvolumens in den vergangenen 50 Jahren, rekonstruiert mit Beobachtungen von Lufttemperatur und Wind und einem optimierten Meereismodell (AWI: P. Lemke).

 

Schmelzendes Meereis erhöht nicht den Meeresspiegel
Zum Schluss soll noch ein Missverständnis ausgeräumt werden. Klimaszenarien, die auch im ACIA-Report veröffentlicht wurden, deuten auf ein fast völliges Verschwinden des arktischen Meereises im Sommer bis zum Ende dieses Jahrhunderts hin. Diese Schmelze wird den Meeresspiegel allerdings nicht erhöhen, denn Eis, das schwimmt, erhöht beim Schmelzen nicht den Wasserspiegel. Dies kann jeder beobachten, der einen Eiswürfel in einem Glas Sprudel schmelzen lässt. Eine Meeresspiegelerhöhung tritt im Wesentlichen aus zwei Gründen auf: durch Erwärmung des Meerwassers (genauer gesagt durch die Verringerung seiner Dichte, durch die sich das Volumen vergrößert) und durch Zufuhr von Schmelzwasser von den Eismassen auf den Kontinenten (Gletscher und Eisschilde). Würden alle Gletscher auf den Kontinenten schmelzen (ein durchaus mögliches Szenario für die nächsten 100 Jahre), so wäre eine Meeresspiegelerhöhung um einen halben Meter die Folge. Würde das ganze grönländische Eisschild schmelzen, so wäre ein Meeresspiegelanstieg von sieben Metern zu erwarten. Dies geht allerdings nicht so schnell vonstatten. Dafür sind viele Jahrhunderte nötig. Über dem antarktischen Eisschild wäre es auch nach einer deutlichen Temperaturerhöhung um einige Grad immer noch kalt genug, so dass keine Schmelze eintritt. Die Erwärmung der Luft würde allerdings den Niederschlag erhöhen, der aber immer noch als Schnee fallen würde. Das heißt, dass das antarktische Eisschild zunächst noch wachsen und damit der allgemeinen Meeresspiegelerhöhung leicht entgegenarbeiten wird. Insgesamt sagen die Klimaprojektionen einen Meeresspiegelanstieg – je nach Energieverbrauch der Menschheit – von zehn bis neunzig Zentimeter für die kommenden hundert Jahre voraus.

In der gegenwärtigen Diskussion sind zwei Ergebnisse der Forschung wichtig. Das Klimasystem ist sehr komplex, und eine notwendige bessere Vorhersage von Klimaänderungen erfordert verstärkten Forschungseinsatz. Maßnahmen zur Verringerung des Energieverbrauchs sind unbedingt nötig und auch bezahlbar, wenn wir es nur wollen.

Bremerhaven, den 10. November 2004

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Das Institut

Das Alfred-Wegener-Institut forscht in den Polarregionen und Ozeanen der mittleren und hohen Breiten. Als eines von 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft koordiniert es Deutschlands Polarforschung und stellt Schiffe wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen für die internationale Wissenschaft zur Verfügung.