PS 103 - Wochenbericht Nr. 5 | 16. Januar – 22. Januar 2017

Unerwartete Schwierigkeiten

[24. Januar 2017] 

16. Januar 2017, 3 Wochen und 4 Tage auf See. Schon gestern mussten leider die Forschungsarbeiten an Deck eingestellt werden.

Während der morgendlichen Verankerungsarbeiten war ein ölig schimmernder Fleck an der Wasseroberfläche aufgefallen, dessen Ursprung natürlich umgehend zu klären war. Polarstern verwendet sehr reinen und leichten Schiffsdiesel, sodass sich Schlieren schon bei kleinsten Mengen auf dem Wasser sehr weit ausbreiten (und sich wegen des dünnen Films auch relativ rasch verflüchtigen). Unser erklärtes Ziel ist es aber, absolut frei von Leckagen zu operieren, und seien sie noch so gering.

Auf Grund der Lage der sporadisch auftretenden Schlieren ergibt sich ein erster Verdacht: Die Wellenabdichtung der Backbordwelle könnte undicht geworden sein. Die Welle wird entlastet, und das Schiff fährt unter strenger Beobachtung der Wasseroberfläche nacheinander die verschiedensten Aggregate in die unterschiedlichsten Belastungszustände. Sollte die Wellendichtung die Ursache sein, dürfte es nun keine Verunreinigung mehr geben. Allerdings wäre ein Schaden an der Wellendichtung auf See nicht reparabel. Wir müssten mit einer Schraube direkt die nächste geeignete Werft aufsuchen. Sicherlich nicht die drängendste Sorge, aber dennoch präsent bei allen Wissenschaftlern an Bord: Damit wären die wissenschaftlichen Feldarbeiten dieser und vermutlich auch der nächsten Expedition beendet. Sollte uns wirklich das gleiche Missgeschick wie 2014/15 ereilen?

17. Januar 2017, 3 Wochen und 5 Tage auf See

Die erste Vermutung hat sich nicht bestätigt, die Besatzung sucht weiter unermüdlich nach der Ursache der Leckage.  Decksarbeiten sind bis auf weiteres verschoben, wie auch die weitere Tagesplanung der Expeditionsarbeiten.

Ein neuer Verdacht entsteht: Ein Tank könnte einen Haarriss haben, durch den Treibstoff austreten könnte. Polarstern, 1982 gebaut, hat noch außenliegende Tanks mit der Bordwand als Teil der Tankkonstruktion. Zwar sollte der äußere Wasserdruck bei einem Leck das Meerwasser in den unter der Wasseroberfläche liegenden Tank drücken. Je nachdem wie stark das Schiff aber vibriert, ist es bei einem Haarriss dennoch vorstellbar, dass gelegentlich ein Tropfen Treibstoff nach außen gedrückt wird. Sofort wird der Inhalt des verdächtigen Tanks in einen anderen, leeren Tank umgepumpt, dieser wird belüftet und unter strengen Sicherheitsvorkehrungen inspiziert:  Eine unglaublich belastende Tätigkeit. Jeweils 2 Mannschaftsmitglieder müssen dazu durch enge Öffnungen in den Tank hinein- und darin umherkriechen und alle Schweißnähte nach eindringendem Wasser absuchen. Wissend, dass man sich gerade viele Meter unter der Wasseroberfläche befindet, und dass zwar beachtliche aber dennoch lediglich 36 mm Stahl die Wassermassen aus diesem Raum freihalten, ist auch psychologisch nicht ohne Herausforderung.  

Doch dieser Tank ist dicht. Systematisch wird nun ein Tank nach dem anderen innerhalb des Schiffes - unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Stabilität des Schiffes - umgepumpt.  Eine mühsame, zeitaufwändige Tätigkeit: Polarstern hat zahlreiche Tanks, die nach dem Leerpumpen belüftet und auf Leckagen inspiziert werden. Gegen Abend endlich ein Hoffnungsschimmer: Ein Überlaufrohr des Ballastwassersystems, welches durch einen Brennstofftank hindurch nach außen führt, hat innerhalb des Tanks eine undichte Stelle. Brennstoff könnte so von dem Tank erst in das Rohr, und von dort nach außen, gelangt sein.

18. Januar 2017, 3 Wochen und 6 Tage auf See

Im Laufe der Nacht kann das undichte Rohr mit einer Manschette abgedichtet werden. Der Tank wird bis zur Rückkehr von Polarstern in Bremerhaven und der Reparatur des Rohres leer bleiben. Das Schiff testet eine Vielzahl von Fahrzuständen durch, doch Schlieren treten keine mehr auf.  Es ist geschafft, und alle an Bord atmen auf. Die Wissenschaft ist erleichtert: Zwar haben wir drei Forschungstage verloren, doch dank des unermüdlichen und dezidierten Einsatzes der Mannschaft liegen nun noch 2 Wochen Forschung vor uns. Danke dafür! Punkt 13:00 Uhr können wir die wissenschaftlichen Arbeiten wieder aufnehmen, beginnend mit der Wiederauslage der vor drei Tagen aufgenommenen Verankerung.  Erst jetzt, nachdem wir sozusagen wieder auf Kurs liegen, wird bewusst, wie groß die Anspannung der letzten Tage war. Eines ist aber auch wieder klar geworden: Unsere alte Dame Polarstern bedarf besonderer Pflege, und diese wird ihr auch immer zuteil. Manches aber, wie dieser vermutliche Ermüdungsriss in einer Ballastwasserleitung, lässt sich nicht vorhersehen.

19. Januar 2017, 4 Wochen auf See

Erst gegen Nachmittag erreichen wir die nächste Verankerungsposition. Schon seit unserem Besuch der Neumayer Station liegen alle Verankerungen, die wir überholen wollen, seit mindestens 4 Jahren im Wasser - manche 6. Erwarten Sie, werter Leser, dass Ihr Auto nach 4 Jahren auf dem Parkplatz noch einfach so anspringt? Nun, die Auslöser sind ebenfalls batteriebetrieben, und dieses Mal wollen sie den Haken zum Ankerstein einfach nicht öffnen – zumindest nicht sofort. Über eine halbe Stunde hinweg wiederholen wir aus unterschiedlichsten Positionen die Auslöseversuche, dann endlich steigt die Verankerung auf, ausgerechnet in dem einzigen Eisfeld weit und breit (Abb. 1).

20. Januar 2017, 4 Wochen und 1 Tag auf See

Heute Morgen, kurz nach 2 Uhr, wurde ein weiteres Argo Float ausgelegt, noch eines folgt im Laufe des Tages. Das war es aber dann auch schon für heute an stationsgebundenen Arbeiten, denn wir sind im Transit zu einer Verankerungsposition weit im Süden. Argo Floats treiben frei in der Tiefe des Ozeans und tauchen nur alle 10 Tage auf, um ihre Position zu bestimmen und ihre Daten per Satellit zu übertragen. Wie funktioniert das aber im - mindestens halbjährlich - eisbedeckten Weddellmeer? Um die Floats hier nutzen zu können, haben wir ihnen beigebracht, anhand des von ihnen beim Auftauchen gemessenen Temperaturprofils zu erkennen, ob sie wahrscheinlich im offenen oder im eisbedeckten Wasser auftauchen werden. Im letzteren Fall brechen sie den Auftauchversuch ab und versuchen es 10 Tage später auf ein Neues. So kann es vorkommen, dass wir für 1 bis 2 Jahre keine Daten von einem Float bekommen, bevor es, meist im südlichen Hochsommer, plötzlich unter dem Eis hervortreibt und retrospektiv alle vergangen Datensätze übermittelt. Woher aber können wir wissen, wo das Float während seiner langen Drift unter dem Eis war? Dazu dienen die bereits erwähnten RAFOS Schallquellen, die, fest verankert, einmal täglich einen kodierten Ton senden. Die Floats, zeitlich synchronisiert mit den Schallquellen, messen die Ankunftszeiten der Töne, anhand derer wir im Nachhinein ihre Driftbahn berechnen können. Damit die Schallquellen von den Floats in einem möglichst großen Umkreis wahrgenommen werden können, werden ihre Resonanzröhren, einer Orgelpfeife gleich, der lokalen Schallgeschwindigkeit angepasst, wodurch sie in etwa so laut erklingen wie die Rufe der großen Bartenwale.

21. Januar 2017, 4 Wochen und 2 Tage auf See

Heute steht die möglicherweise schwierigste Verankerungsaufnahme an. Die Meereiskarten zeigen ihre Position gerade noch außerhalb des Bereiches hoher Eisdichten (Abb. 2). Wind und Gezeit können das dichte Eis somit jederzeit über die Position schieben. Gegen 8 Uhr, es sind noch 6 Meilen bis zur Verankerung, verdunkelt sich der Himmel Richtung Verankerung, ein gutes Zeichen, denn das weist auf offenes Wasser hin. Auf Station angekommen behindert dichter Nebel die Sicht, doch das Eisradar zeigt, dass die Verankerungsposition unter einer großen Scholle liegt. Polarstern legt sich an die Scholle und „geht auf Drift“, um festzustellen, wie die Scholle driftet. Wir haben Glück, die Drift steht mit 0,1 Knoten Richtung Nord, in 2 bis 3 Stunden könnte die Scholle über die Verankerung hinweggedriftet sein. Wir warten geduldig, beobachten gespannt die Radar- und Navigationsbildschirme, plötzlich reißt die Drift nach Norden ab, nichts bewegt sich. War es das?  Eine halbe Stunde später nimmt die Scholle wieder Fahrt auf, langsam aber stetig schiebt sie sich weiter gen Norden über die Verankerung hinweg. Endlich – es ist kurz vor 13 Uhr – ist sie im freien Wasser, und wir lösen aus. Doch nichts passiert – alle Auslöseversuche scheitern – die Verankerung reagiert nicht.

Fionas (unser neues, kleines ROV, Abb. 3) Stunde ist gekommen. Der erste wirkliche Einsatz wartet auf sie. Wir wollen versuchen, an die Verankerungsleine - nahe des 220 m unter der Meeresoberfläche schwebenden Topauftriebs - eine Bergeleine anzubringen, um daran die gesamte Verankerung mit Ankersteinen hochzuziehen. Wir schicken Fiona auf 220m Tiefe, nehmen Fahrt in Richtung Verankerung auf – sie soll etwa 70m steuerbord querab liegen - und hoffen, dass der Auftriebskörper im Sonarbild des ROVs ein Echo erzeugt. Und tatsächlich, nach bangen Minuten sehen wir plötzlich einen kleinen, rot-orangen Punkt im Sonar. 50 m Entfernung zeigt das Sonarbild, während im Video nur Nahaufnahmen von Zooplankton zu sehen sind. Wir halten auf den roten Punkt zu, Fiona bewegt sich aber sehr langsam, warum verstehen wir im Moment nicht, was die Anspannung nur vergrößert. Das Echo im Sonarbild wird dennoch langsam größer und größer, wir schalten auf die empfindlichere Schwarz-Weiß-Kamera um, und endlich, bei etwa 10m Entfernung, taucht schemenhaft der Umriss der Auftriebskugel auf (Fig. 4 und 5).

 

Minuten später – das Ansteuern ist nicht so ganz einfach - haben wir die Verankerungsleine direkt vor uns, klar und deutlich, und wir versuchen den am Greifarm des ROVs befestigen Karabinerhaken samt Bergeleine in die Verankerungsleine einzuklinken. Zwei, drei Versuche – ohne räumliches Sehen ist es schwer die Entfernung einzuschätzen – und es ist geschafft.

Die Verankerung ist am Haken (Fig. 6). Das ROV lässt den Karabinerhaken mit der Bergeleine los und wird vorsichtig zurück an Bord geholt. Ein großer Erfolg, der hoffen lässt, zukünftig auf diese Weise widerspenstige Verankerungen einholen zu können - auch wenn dieses Mal sich die Verankerung zu guter Letzt doch noch der Aufnahme verweigert, da die Bergeleine beim Hieven reißt.

22. Januar 2017, 4 Wochen und 3 Tage auf See

Nach den gestrigen Anspannungen ein wohlverdienter Transittag ohne Decksarbeiten Richtung Nordwesten. Nachdem die Aufnahme der alten Verankerung auf 2018/2019 verschoben werden musste (so schnell geben wir nicht auf), wurde gestern noch die neue Verankerung in sicherer Entfernung ausgelegt und eine CTD gefahren. Damit ist sowohl die Kontinuität der Messreihe als auch die Kalibration der bis auf weiteres im Ozean verbliebenen Messgeräte gesichert. 

An Bord sind alle wohlauf und sehen mit gespannter Erwartung auf den letzten Abschnitt dieser Expedition - eine intensive Beprobung des Übergangs vom tiefen Weddellmeer zum Antarktischen Schelf.

 

Olaf Boebel

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