Herschel Island – eine Insel bedeckt von den Flechten, Moosen und Gräsern der Tundra, begrenzt von steil abfallenden Klippen, die von Erosion geprägt sind und mit Temperaturen, die nur zwischen Juni und September über den Gefrierpunkt klettern. Für AWI-Wissenschaftler Hugues Lantuit und das junge Team seiner Nachwuchsgruppe COPER (ein Kürzel, das für Coastal permafrost erosion, organic carbon and nutrient release in the Arctic nearshore zone steht) das optimale Feldlabor. Denn sie wollen herausfinden, wie schnell der Permafrost hier auftaut, dabei ganze Küstenstriche einbrechen lässt und so der umliegenden Beaufortsee Kohlenstoff und Nährstoffe zuführt, die über Jahrtausende in den Böden gespeichert waren. Seit dem Jahr 2006 bricht Hugues Lantuit jeden Sommer zu der Insel an der nördlichsten Spitze des kanadischen Yukon Territoriums auf – seit 2012 gemeinsam mit seinem COPER-Team.
Wissenschaftler nehmen an, dass die Böden in Permafrostgebieten zwischen 1300 und 1600 Gigatonnen Kohlenstoff enthält. Davon sind etwa 825 Gigatonnen Kohlenstoff derzeit eingefroren. Zum Vergleich: Die gesamte Atmosphäre enthält derzeit rund 870 Gigatonnen Kohlenstoff. Der Kohlenstoff im Permafrost stammt von Tier- und Pflanzenresten, die seit Jahrtausenden in der Erde lagern. Ein Großteil dieses Kohlenstoffs befindet sich in den oberen Bodenschichten. Hinzu kommen jedoch noch unbekannte Mengen Kohlenstoff im submarinen Permafrost. Darunter versteht man Permafrost, der sich in der letzten Eiszeit an Land gebildet hat und mit dem Ende der Eiszeit durch den steigenden Meeresspiegel überflutet wurde und nun unter dem Meeresboden liegt.
Wenn Permafrost taut, beginnen Bakterien und Mikroorganismen Tier- und Pflanzenreste zu zersetzen. Dabei wird Kohlendioxid oder Methan freigesetzt – abhängig davon wie trocken (Kohlenstoff) oder feucht (Methan) der Boden ist. Nur gut zwei Prozent der freigesetzten Treibhausgase sind Methan. Allerdings ist Methan ein sehr wirkungsvolles Treibhausgas, dessen globales Erwärmungspotential über eine Zeitspanne von 100 Jahren fast 25-mal so hoch ist wie jenes des Kohlendioxides.
Bisher wird angenommen, dass Permafrost-Gebiete Kohlenstoffsenken sind. Allerdings gibt es hierzu nur wenige Messreihen, die ganzjährig in Permafrost-Gebieten den Austausch von Kohlendioxid bilanziert haben. Eine dieser Messreihen stammt vom AWI Bayelva-Messfeld, nahe Ny-Ålesund, auf Spitzbergen, die zweite befindet sich in Alaska. In Alaska konnte das untersuchte Gebiet als Senke ausgewiesen werden. Die Messungen am Standort Spitzbergen haben jedoch eine Jahresbilanz um null ergeben. Das heißt, hier besteht ein Gleichgewicht zwischen der Aufnahme von Kohlenstoff durch die Vegetation im Sommer und der langen Winter-Ausgasung, bei welcher Mikroorganismen unter der Schneedecke Kohlenstoff zersetzen.
Wissenschaftler haben mit Hilfe von Modellen berechnet, dass der Treibhausgasausstoß des Permafrosts unter anhaltender Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts zu einem zusätzlichen Temperaturanstieg von bis zu 0,29 Grad Celsius führen könnte, bis zum Jahr 2300 bis zu mehr als 0,40 Grad Celsius.
Steigt die Temperatur in der Arktis, wird auch das Pflanzenwachstum angeregt und somit die Fixierung des Kohlenstoffs in organischer Materie. Das kann dem Treibhausgasausstoß des Permafrostbodens zunächst entgegenwirken. Über längere Zeiträume jedoch und bei weiter ansteigenden Temperaturen übersteigt der Ausstoß von Treibhausgasen durch die Zersetzungsprozesse der Mikroorganismen die Fähigkeit der Pflanzen, Kohlendioxid aufzunehmen.
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Die Tauprozesse sind oft nicht linear. In Ny-Ålesund zum Beispiel beobachten AWI-Wissenschaftler seit Beginn ihrer Permafrost-Messungen im Jahr 1998 einen starken Tauprozess, der die Auftauschicht um 50 Zentimeter ausgedehnt hat. In der Tiefe aber haben sich die Permafrost-Temperaturen kaum verändert. Im Gegensatz dazu ist die Auftauschicht im Lena-Delta (Sibirien) nicht tiefer gewandert. Dafür erwärmt sich dort der tiefere Permafrost stark – und zwar mit mehr als 1,5 Grad Celsius seit dem Jahr 2006 (gemessen in zehn Metern Tiefe).
Die Küstenerosion in der Arktis hat sich über die vergangenen Jahrzehnte verstärkt. Das liegt an der geringeren Meereisbedeckung des Arktischen Ozeans im Sommer, an höheren Wassertemperaturen und am steigenden Meeresspiegel. Weniger Meereis bedeutet zum Beispiel, dass bei Wind größere Wellen entstehen, die auf die arktischen Küsten treffen. Im Durchschnitt zieht sich die arktische Küstenlinie um circa einen halben Meter pro Jahr zurück. Einzelne Küstenabschnitte jedoch, die aus sehr eisreichem Permafrost bestehen, ziehen sich um bis zu 25 Meter pro Jahr zurück. Diese schnellen Veränderungen haben große Auswirkungen auf das küstennahe arktische Ökosystem und die dort lebende Bevölkerung.
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Vor allem im europäischen Teil der russischen Arktis zieht sich der Permafrost stark zurück. Im Zeitraum von 1995 bis 2005 hat sich die südliche Grenze der Regionen mit kontinuierlichem Permafrost um bis zu 50 Kilometer nach Norden zurückgezogen. In Gebieten mit diskontinuierlichem Permafrost betrug der Rückzug Richtung Norden bis zu 80 Kilometer.
Zwei Zeitrafferfilme aus dem Feld von Geowissenschaftlerin Dr. Julia Boike. Der erste zeigt eindrucksvoll, wie Permafrost in der Arktis taut. Denn im Sommer 2010 hatten AWI-Wissenschaftler eine automatische Kamera am Ostufer der Lena auf der Insel Samoylov angebracht. Im vierstündigen Rhythmus hat die Kamera dort über zehn Tage hinweg festgehalten, wie sich der gefrorene Boden zurückzieht. Der zweite Film demonstriert, wie die AWI-Forscher im selben Sommer eine Bodenstation im arktischen Permafrost aufbauen. Dabei haben sie Sensoren im Boden angebracht, um herauszufinden, was sich unter der Oberfläche des gefrorenen Bodens abspielt.
In den gefrorenen Böden der Arktis lauert eine bisher unterschätzte Gefahr. Wenn der Untergrund durch den Klimawandel auftaut und instabil wird, kann das zum Zusammenbruch von Industrie-Anlagen und damit zu einer verstärkten Freisetzung von Schadstoffen führen. Zudem können sich dann auch bestehende Kontaminationen leichter in den Ökosystemen ausbreiten. In der Arktis gibt es mindestens 13.000 bis 20.000 belastete Flächen, von denen künftig ein größeres Risiko ausgehen könnte, berichten AWI-Forschende jetzt in Nature Communications.
Wie viele Treibhausgase entstehen beim Tauen der arktischen Böden in Westgrönland? – Dieser Frage widmet sich das neue Verbundprojekt "MOMENT". Das BMBF fördert dieses Vorhaben mit 3,5 Millionen Euro bis Ende Oktober 2025. Das Projekt wird von der Universität Hamburg geleitet und es arbeiten neben AWI-Forschenden, Wisseschaftler:innen aus sechs weiteren Einrichtungen an diesem Verbundprojekt. Zur Originalpressemitteilung.
Was passiert in den Permafrostgebieten der Arktis, wenn sich die Atmosphäre aufheizt? Diese Frage beschäftigt die Klimaforschung, da große Mengen Kohlenstoff im gefrorenen Boden enthalten sind, die von Mikroben in die Treibhausgase Methan und CO2 umgewandelt werden können. Werden die Gase freigesetzt, könnte das die globale Erwärmung beschleunigen. AWI-Wissenschaftlerin Julia Boike hat nun gemeinsam mit Kolleg:innen des GFZ und der Universität Hamburg Ergebnisse einer Beobachtungsreihe in Sibirien veröffentlicht. Zur Originalpressemitteilung.