Die Suche nach dem Mikroplastik

Im Meer treiben nicht nur große Plastikgegenstände, sondern vor allem auch winzig kleine Kunststoffpartikel. Inzwischen wissen Forscher, dass dieses sogenannte Mikroplastik heute in allen Meeresregionen vorkommt, und dass selbst das arktische Meereis belastet ist. Der AWI-Wissenschaftler Gunnar Gerdts versucht, das Ausmaß dieser Verschmutzung zu erfassen. Dazu ist er regelmäßig auf See unterwegs. Und in seinem Labor auf Helgoland analysiert er die Krümel mit Hightech-Geräten.

Sie treiben im Wasser, werden von Flohkrebsen oder Meerasseln gefressen und zu Millionen im Packeis der Arktis eingefroren – und doch sind sie unverwüstlich. Mikroplastik heißen diese winzigen Plastikteilchen. Noch vor wenigen Jahren sprach kaum jemand von ihnen. Doch inzwischen haben Forscher herausgefunden, dass sie allgegenwärtig sind. „Allerdings wissen wir weder genau, woher das Mikroplastik kommt, noch wie viel davon im Meer schwimmt“, sagt Dr. Gunnar Gerdts, Mikrobiologe am AWI auf der Insel Helgoland. Das ist beunruhigend, denn bislang kann niemand sagen, inwieweit die kleinen Kunststoffteilchen Meeresorganismen schädigen oder am Ende sogar dem Menschen gefährlich werden könnten.

Mikroplastik stammt aus vielen Quellen

Mikroplastik ist das Pendant zu den großen Kunststoffabfällen im Meer, den Fischernetzen, abgerissenen Tauen, Plastikflaschen oder Babywindeln. Mikroplastik ist, wie der Name andeutet, nur einige Mikrometer bis Millimeter groß und teils nur unter dem Mikroskop erkennbar. Gunnar Gerdts befasst sich seit mehreren Jahren intensiv mit diesem Müll im Miniaturformat. Mittlerweile geht er davon aus, dass Mikroplastik im Meer auch in erheblichem Maße von Land eingetragen wird und aus vielen Quellen stammen kann. Der Mensch ist immer und überall von Kunststoffen umgeben, allein durch den Abrieb beim täglichen Gebrauch dürften unzählige Mikropartikel frei werden, glaubt er. Alle paar Monate erscheinen wissenschaftliche Artikel, in denen Forscher neue Mikroplastikquellen ausfindig machen – den Abrieb von Autoreifen etwa oder Schiffsanstriche. „Ich aber nehme eher an, dass es nicht eine Hauptquelle, sondern eben viele verschiedene gibt“, sagt der Forscher.

Chemische Analyse winziger Partikel

Gunnar Gerdts will vor allem herausfinden, um welche Substanzen es sich beim Mikroplastik eigentlich handelt. Der Blick durch das Mikroskop reicht ihm deshalb schon länger nicht mehr. „Dabei übersieht man einfach sehr viel Plastik, weil die Partikel zum Teil Sandkörnern ähneln“, sagt er. Stattdessen nutzt er Hightech-Analysegeräte, die genau erkennen, aus welchen Substanzen ein Partikel besteht. Eines der Geräte ist das Fourier-Transform-Infrarotspektrometer (FTIR). Der Apparat beleuchtet Mikropartikel mit Infrarotlicht und analysiert die von ihnen reflektierte Strahlung nach einer speziellen mathematischen Methode. Je nach Inhaltsstoffen absorbieren und reflektieren die Teilchen unterschiedliche Wellenlängen, sodass jede Substanz quasi am optischen Fingerabdruck bestimmt werden kann. Dank FTIR können Gunnar Gerdts und seine Mitarbeiter bestimmen, ob ein Krümelchen aus Polypropylen, Polyethylen oder aus einer Mischung mehrerer Kunststoffe besteht. Die Arbeitsgruppe hat dafür eine Datenbank aufgebaut, welche die chemischen Fingerabdrücke von mehreren Hundert verschiedenen Polymeren enthält. Mit ihrer Hilfe können die Forscher sofort erkennen, um welche Substanz es sich handelt.

Kunststoffteilchen im Planktonnetz

Das Revier, in dem Gunnar Gerdts auf Plastikjagd geht, ist die Nordsee. Er hat auf dem offenen Meer nach Mikroplastik gesucht und in den Flussmündungen von Elbe, Ems und Weser. Aber auch in der Ostsee war er schon unterwegs. Das Mikroplastik fischt der AWI-Biologe mit einem Neuston-Netz aus dem Wasser, einem feinmaschigen Netz, das die Lebewesen nahe der Meeresoberfläche, das sogenannte Neuston, einfängt – aber eben auch Mikroplastik.

Das Netz wird an einem kleinen Metallkatamaran hinter dem Forschungsschiff hergezogen und anschließend an Bord in Gefäße entleert. Um festzustellen, wie viel Mikroplastik im Meer vorkommt, müssen Gunnar Gerdts und seine Mitarbeiter es fein säuberlich vom biologischen Material trennen und zählen. „Das ist ganz schön schwierig, weil die Masse des Materials, das sich im Neuston-Netz sammelt, eben nicht Mikroplastik ist, sondern aus Algen, Krebsen oder Schwebstoffen besteht. Wir müssen es quasi herauslösen.“

In den vergangenen Jahren hat er mit Salpetersäure, Natronlauge und Enzymen gearbeitet, um das biologische Material aufzulösen. In manchen Fällen zersetzte sich der Kunststoff gleich mit. „Bis wir das Mikroplastik sauber aus den Proben gewinnen konnten, haben wir viel Lehrgeld zahlen müssen“, sagt er. Außerdem musste auch die Analyse im FTIR erst für Mikroplastik angepasst werden.

Viele Forschergruppen, sagt Gunnar Gerdts, arbeiten noch immer ausschließlich mit Lichtmikroskopen, um Mikroplastik zu bestimmen und dessen Konzentration in einer Meerwasserprobe abzuschätzen. „Aber das ist extrem ungenau. Wir haben schon Proben analysiert, in denen 97 Prozent des Mikroplastiks zunächst falsch als Sand eingestuft worden waren“, so der Wissenschaftler. Seine eigenen Analysen deuten darauf hin, dass in einem Kubikmeter Nordseewasser durchschnittlich drei bis zehn Mikropartikel schweben. Darüber hinaus hat er das arktische Meereis untersucht, das ihm AWI-Kollegen von ihren Ausfahrten mitgebracht hatten. Die Ergebnisse sind erschreckend. „Wir finden in einem Kubikmeter Eis rund eine Million Partikel – und niemand kann bisher erklären, warum es dort so ungeheuer viele Teilchen gibt. Da wartet noch viel Arbeit auf uns!“

Von der Kläranlage zur Identifikation des Ursprungsstoffes

Mindestens 17 Tage dauert die Analyse des Ursprungs von Mikroplastik-Partikeln und -fasern von Abwasserproben aus einer Kläranlage. Die Bildergalerie zeigt quasi im Zeitraffer, wie die Proben genommen, filtriert, extrahiert und analysiert werden. Erst nach diesen Schritten können die Forscher mit Hilfe der Mikro-FTIR Spektroskopie die Bestandteile und die Menge der Partikel bestimmen.

EU-Projekt zum Thema Mikroplastik

Die Erfahrungen, die Gunnar Gerdts in den vergangenen Jahren bei der Analyse von Mikroplastik gesammelt hat, kommen ihm jetzt zugute. In einer großen Initiative der Europäischen Union zum Thema Mikroplastik im Meer leitet er seit Herbst 2015 das Verbundprojekt „Baseman“. Darin sollen einheitliche Standards für die Bestimmung und Erfassung von Mikroplastik entwickelt werden.

Allein diesem Projekt gehören 24 Forschungspartner aus elf europäischen Ländern an. Geplant sind unter anderem Ringversuche, in denen die verschiedenen Partner dieselbe Mikropartikel-Probe analysieren werden. „Ich bin gespannt, ob wir mit verschiedenen Methoden dieselben Ergebnisse erzielen“, sagt Gunnar Gerdts.

Mikroplastik als Transporter von Krankheitserregern

Als Mikrobiologe interessiert sich Gunnar Gerdts nicht nur für die Plastikpartikel selbst, sondern auch für die Mikroorganismen, welche die Kunststoffoberfläche besiedeln. Das ist ein ganz natürlicher Vorgang, denn Bakterien und andere Einzeller setzen sich im Meer auf so ziemlich jede Oberfläche – Steine, Schiffsrümpfe oder Schneckenhäuser. Gunnar Gerdts und seine Mitarbeiter haben auf dem Mikroplastik viele verschiedene Gruppen von Mikroorganismen entdeckt. Besonders beunruhigend ist für ihn, dass auch Krankheitserreger darunter sind – zum Beispiel das Bakterium Vibrio parahaemolyticus, das Magen-Darm-Entzündungen und Brechdurchfall auslösen kann. „Wer weiß“, sagt er, „vielleicht wird das massenweise im Meer vorhandene Mikroplastik künftig zur Verbreitung von Krankheiten beitragen.“

Die Frage, welche Folgen die zunehmende Menge an Mikroplastik im Meer haben könnte, interessiert auch Gunnar Gerdts Kollegen Lars Gutow. Er ist Biologe und untersucht unter anderem, wie Plastikpartikel wirken, wenn Meeresorganismen sie mit der Nahrung aufnehmen. Lars Gutow hat festgestellt, dass verschiedene Gruppen von Lebewesen offensichtlich jeweils anders auf die Partikel reagieren.

Bei Meeres-Asseln zum Beispiel wandern die Partikel durch den Verdauungstrakt und werden einfach wieder ausgeschieden. Untersuchungen, die seine AWI-Kollegin Angela Köhler durchgeführt hat, zeigen, dass die Partikel in Muscheln aber sehr wohl aus dem Verdauungstrakt bis ins Gewebe und die Zellen wandern. Dort können sie sogar Entzündungsreaktionen auslösen. „Allerdings waren bei diesen Versuchen die Mikropartikel-Konzentrationen in den Laborgefäßen extrem hoch, sodass wir nicht genau sagen können, ob diese Entzündungsreaktionen auch in der Natur so vorkommen würden“, ergänzt Gunnar Gerdts.

Den „Super-Loser“ identifizieren

Lars Gutow hat erste Erklärungen dafür, warum die verschiedenen Tiergruppen unterschiedlich empfindlich sind. Asseln haben in ihrem Verdauungsapparat eine Art Filter, der verhindert, dass Mikropartikel in sensible Organe wandern: Die Tiere nehmen ihre Nahrung vom Boden auf und verschlucken häufig auch natürliche kleine Teilchen wie etwa die Schalen winziger Kieselalgen oder Sandkörnchen. Daher haben sie einen wirksamen Filter entwickelt. Muscheln hingegen durchsieben das Wasser nach Schwebstoffen. Ihnen fehlt ein solcher Filter offensichtlich.

Lars Gutow will künftig noch andere Tiere miteinander vergleichen, die unterschiedliche Fressstrategien haben. „Letztlich möchte ich herausfinden, welche Organismen im Hinblick auf die Mikropartikel die Super-Loser und damit am stärksten bedroht sind.“ Sind es die Krebschen, die Mikropartikel aufnehmen, wenn sie an Algen knabbern, oder sind es tatsächlich die Muscheln? Sind jene Tiere am stärksten betroffen, die im Sand wühlen, oder jene, die Steine abweiden? „Vielleicht gelingt es uns tatsächlich, die besonders gefährdeten Gruppen zu finden.“

Gemeinsam gegen Mikromüll

Damit wäre aber noch immer nicht geklärt, was die Menschheit gegen das viele Mikroplastik in der Umwelt eigentlich tun kann. „Dieses Problem berührt viele Systeme, weil Mikroplastik in vielen verschiedenen Sektoren entsteht“, zieht Gunnar Gerdts Bilanz. Plastik wird in großen Mengen als Folie in der Landwirtschaft eingesetzt, es verwittert und zerfällt zu Mikropartikeln. Auch im Abwasser von Klärwerken und im Faulschlamm haben Gunnar Gerdts und seine Mitarbeiter viel Mikroplastik gefunden. Kosmetikprodukte wie Peelings enthalten ebenfalls Mikropartikel, die zumeist im Abfluss und im Abwasser landen. „Es gibt so viele Quellen, dass wir die Menge an Mikroplastik künftig nur dann nennenswert verringern können, wenn man gebietsübergreifend handelt. Das Problem geht alle an – verschiedene Interessengruppen, Behörden, die Industrie und politische Entscheider.“