Die großen Eismassen, gespeichert in den polaren Eisschilden, sind die Hauptsüßwasserspeicher der Erde und haben daher einen potenziell riesigen Effekt auf die Entwicklung des Meeresspiegels. Im Besonderen sind die Rolle und Entstehung von Eisströmen wie dem NEGIS noch stark umstritten. IPCC zeigte auf, dass die Eisfließdynamik und damit physikalische Prozesse der Eisbewegung Richtung Ozean und Abschätzungen dazu unzureichend verstanden sind. Die Eisfließdynamik muß damit als die Hauptfehlerquelle für die Meerespiegelvorhersagen gesehen werden. Eine von zwei Hauptkomponenten, die das dynamische Fließen steuern, ist die interne Deformation des Eiskörpers.
Jedes großräumige Fließen von Material im Festzustand, auch von riesigen Körpern, wird tatsächlich durch Deformation auf kleineren Maßstäben durchgeführt, bis hin zu Kristallit- und Subkorn- sowie auch Molekül- und Atomskalen. Da diese Deformationsmechanismen die Rheologie wesentlich kontrollieren, ist das Verständnis dieser Prozesse entscheidend für tief gehendes Wissen und Vorhersagen zur Eisdynamik. Abhängig von den Bedingungen (z.B. Tiefe im Eisschild, Geschwindigkeit der Deformation, Temperatur) werden kleinste Volumina von Eis (z.B. molekulare Gruppen, Gitterebenen, Korngrenzen) durch verschiedene Mechanismen aktiviert, deren Bewegung dann zusammengenommen die Formänderung des Eisschildes ausmacht.
Diese kleinskaligen Deformationsmechanismen hinterlassen Spuren in Kristallitmorphologie und Kristallitorientierungen (Mikrostruktur), die genutzt werden können um die relevanten Mechanismen zu identifizieren. Diese Spuren findest man z.B. sowohl in der Korngröße, -form, Kristallorientierungsverteilungen sowie in Auftreten, Misorientierung und Typen von Subkorngrenzen , als auch in Versetzungsdichten und -typen.
Die mechanische Eigenschaften werden zusätzlich durch Rekristallisationsprozesse verändert, die im wesentlichen durch Deformationsenergie und Temperaturwechsel getrieben und ebenfalls in der Mikrostruktur abgebildet werden.
Wir untersuchen Deformationsmikrostrukturen in Eiskernproben aus Grönland und der Antarktis mit den folgenden Methoden:
Die Beugung von rückgestreuten Elektronen im Rasterelektronenmikroskop ermöglicht die Bestimmung der Kristallorientierung aller Achsen (c- und a-Achsen) von Eiskernproben in hoher räumlicher (~3µm) und Winkelauflösung (relative Orientierung ~0.5°). Wir verwenden EBSD in erster Linie um Subkorngrenzen und deren Versetzungstypen zu quantifizieren.
Die Mikrostrukturmodellplattform ELLE ist einer der wichtigsten numerischen Modellcodes in den Geowissenschaften. ELLE simuliert Mikrostrukturen mit Hilfe eines Fronttracking Ansatzes und wurde kürzlich um eine Full-field viscoplastische Formulierung basierend auf der Fast Fourier Transformation erweitert. FFT/ELLE ist in der Lage die Entwicklung der Mikrostruktur von Eis während plastischer Deformation mit Rekristallisation zu simulieren. Dabei können verschiedene Mechanismen in unterschiedlicher Intensität wirken gelassen werden, um deren Effekte auf die Mikrostruktur zu untersuchen. Zum einen wird plastische Deformation mit Beachtung der hohen mechanischen Anisotropie von Eis benötigt, zum anderen spielt die Rekristallisation im "heißen Material" Eis eine große Rolle (homologe Temperatur >0.8 in natürlichem Vorkommen).
Jun.-Prof. Dr. Ilka Weikusat
Ina Kleitz
Dr. Maria-Gema Llorens (Tübingen)
Florian Steinbach (Tübingen)
Ernst-Jan Kuiper (Utrecht)
Dr. Tobias Binder
Dr. Jens Rößiger
Dr. Christian Weikusat
Dr. Maddalena Bayer
Felicitas Mundel (Tübingen)
Anneke Tammen (Mainz)
Eric Gleiß (Heidelberg)
Julien Westhoff (Tübingen)
Sophie Ehrhardt (Leipzig)
Lißbeth Langhammer (Berlin)
Yasuyuki Oishi (Nagaoka, Japan)
Jakub Surma (Köln)
Wataru Shigeyama (Nagaoka, Japan)
Prof. Dr. Sergio H. Faria BC3, Bilbao
Prof. Dr. Paul D. Bons Universität Tübingen
Prof. Dr. Martyn R. Drury Utrecht University
Dr. Albert Griera University Barcelona