Das AWI-NMR-Labor

Wer wegen eines Bandscheibenvorfalls oder eines verletzten Knies schon einmal in der „Röhre“ – in einem Magnetresonanztomografen – war, kennt die Geräte, die mithilfe starker Magnetfelder Atome und Moleküle zum Schwingen bringen, um das Körperinnere sichtbar zu machen. Doch medizinische Anwendungen sind nicht alles, für das man diese Messtechnik nutzen kann. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am AWI nutzen die Magnetfelder, um den Stoffwechsel von Tieren zu erforschen, um chemische Veränderungen in Organismen und der Umwelt zu untersuchen und die Struktur einzelner Moleküle aufzuklären. Dabei machen sie sich das Funktionsprinzip zunutze, mit dem jeder Magnetresonanztomograf arbeitet: Die Geräte erzeugen starke wechselnde Magnetfelder, die Wasserstoffatome zu Schwingungen anregen. Da Wasserstoffatome im Wasser und auch in jedem Biomolekül enthalten sind, kann man aus dem Schwingungsmuster auf die chemische Zusammensetzung der Organismen und biologische Veränderungen in ihrem Innern schließen. Die Geräte des NMR-Labors am AWI erzeugen dabei Magnetfelder, deren Stärke die Stärke des Erdmagnetfeldes um das 180.000 bis 280.000-Fache übertrifft.

NMR-Labor steht allen offen

Im Labor für NMR (Kernspinresonanz oder engl. Nuclear Magnetic Resonance) betreiben die AWI-Experten drei Geräte, die auf dem gleichen Messprinzip beruhen, aber differenzierte Blickwinkel auf  meereswissenschaftliche Fragestellungen erlauben. Diese Geräte sind zum einen ein großer, mehr als zehn Tonnen schwerer Tomograf für Studien an lebendigen Tieren und zum anderen zwei NMR-Spektrometer für die Messung einzelner Substanzen und Moleküle aus Geweben und Zellen. Das NMR-Labor wird von den Gruppen um Dr. Christian Bock aus der Sektion Integrative Ökophysiologie und von Dr. Jan Tebben aus der Sektion Ökologische Chemie betrieben. Es steht allen Forscherinnen und Forschern des AWIs sowie Kolleginnen und Kollegen aus Forschungsinstituten und Universitäten zur Verfügung, die mit dem AWI kooperieren. „Mit den drei Geräten können wir eine Fülle wissenschaftlicher Fragestellungen untersuchen”, sagt Christian Bock, „beispielsweise, wie sich die Erwärmung und Versauerung der arktischen Gewässer aufgrund des Klimawandels auf die Tiere auswirken, die perfekt an die extreme Kälte angepasst sind.”

Einzigartige Beobachtungen im Tomografen mit Strömungskanal

Dank seiner besonders hohen Auflösung können am AWI-Tomografen Strukturen von einem Zehntel Millimeter sichtbar gemacht werden. So können die Expertinnen und Experten Stoffwechselvorgänge in Organismen sehr genau lokalisieren und erforschen, an welchen Stellen und in welchen Organen der Tiere bestimmte Effekte auftreten. „Dass wir derart hochaufgelöst Einflüsse auf lebendige Meerestiere beobachten können, ist weltweit einzigartig”, sagt Christian Bock. „Normalerweise werden Tomografen mit einer so hohen Feldstärke nur in der experimentellen medizinischen Forschung eingesetzt.”

Der Tomograf lässt sich sogar mit einer Schwimmkammer ausstatten, die temperierbar ist. Damit kann man genau beobachten, wie Meerestiere wie Schnecken, Muscheln oder auch Fische auf Veränderungen in ihrer Umwelt reagieren. Aus den Messergebnissen lässt sich herauslesen, wie sich die Konzentration bestimmter Stoffwechselprodukte verändert – etwa der Laktat-Wert. Laktat bildet sich, wenn die Muskulatur nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird. Für Spitzensportler ist der Laktat-Wert ein Maß für ihre Fitness. Bei einem arktischen Fisch, der steigenden Temperaturen ausgesetzt wird, ist das Laktat hingegen ein Hinweis darauf, dass die Tiere zu viel Sauerstoff verbrauchen – und unter Temperaturstress stehen.

Chemische Veränderungen in Organismen und der Umwelt

Während am Tomografen der Stoffwechsel lebender Tiere untersucht wird, analysieren die Forscherinnen und Forscher an den zwei NMR-Spektrometern Substanzen aus den Organismen, dem Meerwasser oder aus Eisproben. Dabei können sie untersuchen, wie sich Umweltveränderungen auf die Zusammensetzung von Molekülen in verschiedenen Lebewesen auswirken. Die Spektrometer sind vielseitig einsetzbar und dienen damit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus ganz verschiedenen Fachrichtungen. „Wir können beispielweise messen, in welche chemischen Stoffe Mikroalgen den atmosphärischen Kohlenstoff umwandeln”, sagt Jan Tebben. „Wir wollen vor allem verstehen, welche Stoffe in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen und wie sich deren Produktion und Abbau durch den Klimawandel verändern wird.” Das seien wichtige Informationen, um den globalen Kohlenstoffkreislauf besser verstehen zu können.

Molekülstrukturen aufklären

In anderen Fällen geht es den Forscherinnen und Forschern darum, die Funktion einzelner Moleküle zu verstehen – zum Beispiel von essenziellen Substanzen wie Vitaminen oder auch Abwehrstoffen wie Toxinen. „Die chemische Aufklärung einzelner Moleküle erlaubt uns, deren Bedeutung für die Kommunikation zwischen Meeresorganismen, für Symbiosen oder die Verteidigung zu verstehen”, sagt Jan Tebben.

Ein Gerätepark exklusiv für die Meeresforschung

„So tragen wir mit den Geräten im NMR-Labor auch dazu bei, grundlegende ökologische oder ökophysiologische Fragestellungen zu klären”, sagt Christian Bock. „Wir wollen zum Beispiel noch besser verstehen, wie eine Auster überlebt, wenn sie bei Ebbe trocken fällt, über Stunden ihre Schalen schließt und ihr Herz zu schlagen aufhört.” Eine Analyse des Stoffwechsels mithilfe der Magnetfelder kann solche Rätsel lösen. „Auf diese Weise können Studentinnen und Studenten sowie Expertinnen und Experten verschiedener Fachrichtungen die Infrastruktur des NMR-Labors für ihre Projekte nutzen und wichtige Beiträge zur Grundlagenforschung leisten“, sagt Christian Bock. „Unser Vorteil ist, dass wir unser NMR-Labor ausschließlich für die Meeresforschung nutzen können.“ 

Info

Zur Ausstattung des NMR-Labors gehören ein 9,4-Tesla-NMR sowie ein 400-MHz-Spektrometer und ein 600-MHz-Spektrometer mit einer Kryosonde.