Archiv der Pressemeldungen und Kurzmeldungen

PS101 - Wochenbericht Nr. 4 | 02. Oktober bis 09. Oktober 2016

Neue Messsysteme für die Beobachtung des arktischen Wandels

[11. Oktober 2016] 

Die Expedition PS101 erprobt verschiedene neue Messsysteme für Eis, Ozean und Meeresboden der zentralen Arktis. Ziel ist, die Veränderungen des Meereises sowie die Ursachen und Konsequenzen für Ozean und Leben zu beobachten und zu verstehen.

Zudem haben wir in der vierten Woche der Polarstern Expedition PS101 weiter an dem hydrothermal aktiven Seeberg im Trog des Gakkelrückens bei 87°N und 55°O sowie den großen Seebergen des Langseth Rückens bei 86°N und 60°O gearbeitet und wertvolle geologische und biologische Proben gewonnen, die im nächsten Wochenbericht gewürdigt werden. Dieser Wochenbericht ist von dem Meereis-Forscher Marcel Nicolaus gemeinsam mit dem FRAM Team an Bord verfasst und berichtet von den Fortschritten mit neuen Messsystemen für die Polarforschung.

Die Grundlage moderner Ozean- und Meereisforschung sind immer weiter entwickelte und zugleich stärker automatisierte Messmethoden, die es erlauben von klassischen Punktmessungen bei Stationen zu zeitlich und räumlich hochaufgelösten Datensätzen für eine Vielzahl von Beobachtungen von Physik, Chemie und Biologie zu gelangen. Zugleich ist es jedoch auch unabdingbar die Qualität der einzelnen Messungen beizubehalten und dafür zu sorgen, dass Messungen mit neuen Instrumenten mit den klassischen Methoden vergleichbar sind. Seit gut zwei Jahren unterstützt die Helmholtz-Gemeinschaft das Infrastrukturprogramm FRAM, welches es uns ermöglicht verschiedene neue Messsysteme zu entwickeln und zu modernen Observatorien zu kombinieren. Während PS101 testen wir diese Systeme unter Realbedingungen und vergleichen die Ergebnisse mit denen etablierter Methoden. Inzwischen ist auch das Forschungsschiff Polarstern selbst durch „underway“ Messungen zu einer komplexen Messplattform ausgebaut worden, die mit verschiedenen Sensoren bis hin zu einer automatischen Filtrationseinheit eine Vielzahl biologischer und geochemischer Parameter entlang der gesamten Fahrstrecke erfasst. Für die Meereisuntersuchungen wurde ein neuer Tauchroboter, das Untereis-ROV (remotely operated vehicle) „Beast“, mit einer Vielzahl an Sensoren ausgestattet; während zeitgleich ähnliche Sensorik in autonomen Messsystemen wie Bojen und Verankerungen in Eis und Ozean integriert wird. Die Eisbojen driften auch nach Abschluss unserer Arbeiten weiter durch den arktischen Ozean und senden eine Vielzahl von Daten über Satellitenkommunikation. Während unserer Fahrt durch das Meereis erhalten wir sehr viel Unterstützung durch das neue Eisinformationssystem (IceGIS) an Bord, das die Navigation und Entscheidungsfindung bei komplizierten Eis- und Sichtbedingungen deutlich verbessert.

Die Hauptarbeit während der zahlreichen Eisstationen zur Untersuchung des Meereises erledigt für uns ein neuer Tauchroboter. Er ermöglicht es, die Eigenschaften des Meereises und vor allem deren räumliche Variabilität direkt an der Unterseite des Eises zu untersuchen. Das „Beast“ zeichnet sich gegenüber anderen ROV Systemen dadurch aus, dass es physikalische, biologische und geochemische Eigenschaften gleichzeitig messen kann und die Tauchgänge durch mehrere Kameras dokumentiert. Dadurch lernen wir mehr über das arktische Klima- und Ökosystem und darüber wie sich diese Systeme aufeinander auswirken. Mit dem neuen ROV, das zu den besten mobilen Plattformen für die Untereisforschung gehört, können wir unsere Beobachtungen in den Meereisgebieten in den kommenden Jahren stark verbessern. Die ROV Messungen werden mit Untersuchungen der Oberflächeneigenschaften der Eisdecke wie Schneeauflage und Eisdicke kombiniert, um ein umfassendes Bild des aktuellen Zustands zu erstellen.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil unserer Arbeit an Bord ist das Ausbringen von Bojen, die die Atmosphäre, den Schnee, das Meereis und den Ozean über die kommenden Monate beobachten. Auch hier setzen wir auf aktuelle Neu- und Weiterentwicklungen, die neue genauere Sensoren sowie verschiedene interdisziplinäre Sensorik zum Einsatz bringen. Diese Bojen speisen ihre Daten unmittelbar nach Erhebung in internationale Messnetzwerke ein und tragen so z.B. zu täglichen Wettervorhersagen bei. Zeitgleich empfangen wir die Positionsdaten auch auf Polarstern, so dass diese unmittelbar im IceGIS für die Driftvorhersage genutzt werden können.

Nur wenige Schiffe können Eis brechen, daher war ein Großteil der Arktis bisher unzugänglich und unerforscht. Es ist kaum möglich, auf der für Schiffe relevanten lokalen Skala der Navigation genau vorher zu sagen, wie sich die Drift dicker und dünner Eisschollen durch Wind und Gezeiten verhält und welcher Weg durchs Eis schnelle Fahrt oder das zügige Erreichen bestimmter Stationen erlaubt.  Daher wird auf dieser Expedition ein neues Geoinformatisches System „IceGIS“ zur Beobachtung und Vorhersage der Eisdrift und Navigation durchs Eis erprobt. Denn auf der PS101 setzt ein Großteil der Messungen in der Wassersäule und am Meeresboden eine besonders gute Kenntnis des Meereises und seiner Drift voraus. Sind die Forschungsgeräte einmal am Draht im Wasser, ist Eisbrechen nicht mehr möglich. Das Schiff treibt dann mit den Eisschollen, doch es gilt, mit verschiedenen Instrumenten Messpunkte in der Größe eines Fußballfelds in Tiefen von bis zu 3500m zu treffen. Das IceGIS unterstützt dieses schwierige Unterfangen, in dem es Satellitenbilder sowie Bojendaten, Radaraufnahmen und Modellvorhersagen von Meereis abbildet, die aus verschiedenen Quellen so zeitnah wie eben möglich an Bord bereitgestellt werden. Zusätzlich wird die Drift des Schiffes im Eis mit Hilfe verschiedener Modelle an Bord simuliert und gemeinsam mit den Model- und Satellitendaten im IceGIS dargestellt. Durch eine Kombination dieser verschiedener Informationen erhöhen sich die Erfolgschancen der Operationen im Eis, wertvolle Schiffszeit kann künftig effizienter genutzt und Ressourcen geschont werden.

Während im Winter der Arktische Ozean wieder überfriert und sich neues Eis bildet, spielen sich viele Prozesse ab, die abhängig von der Sonneneinstrahlung sind. Dazu gehört unter anderem das Wachstum von Algen, die neben der Sonnenenergie auch Nährstoffe (Nitrat, Nitrit, Phosphat, Silikat) im Wasser für das Wachstum benötigen. Da bisher die Anwesenheit des Meereises die Menge der Sonnenenergie, die für die Algenblüte benötigt wird, regulierte, könnte man nun vermuten, dass durch die abnehmende Meereisbedeckung nicht mehr das Licht sondern die im Wasser vorhandenen Nährstoffe der Algenblüte eine Grenze setzten und der arktische Ozean sich somit von einem lichtkontrolliertem in ein nähstoffkontrolliertes System wandelt. Um diese ökologischen Auswirkungen nachvollziehen zu können, ist ein Verständnis über die Arten- und Partikelverteilung, sowie über biogeochemische Parameter wie die Karbonatchemie, Nährstoffkonzentrationen und deren dynamisches Verhalten notwendig. Eine alt bewährte und präzise Methode ist es, zu diesem Zweck Wasserproben zu nehmen, um zum einen die Partikel und Organismen herauszufiltern (für z.B. DNA-Analysen und Chlorophyllextraktion) und andererseits mit chemischen Verfahren im Labor zu analysieren. Da diese Methode jedoch nur eine räumliche und zeitliche beschränkte Einsicht ermöglicht, ist es von immer höherer Bedeutung moderne Sensortechniken für diesen Zweck zu verwenden, die ein kontinuierliches Messen dieser Paramater ermöglichen, z.B. auch in der Winterzeit, wenn Polarstern die Passage durch zu dickes Eis verwehrt wird. Liegt der Vorteil der sogenannten „Unterwegs-“ (Underway-) Sensoren gegenüber herkömmlichen chemischen Verfahren in räumlicher und zeitlicher Messung, können diese jedoch oft nicht mit der Präzision der von Menschenhand kontrollierten chemischen Verfahren mithalten. Gründe dafür liegen zum einen in der Messtechnik selber aber auch in Umwelteinflüssen wie Temperatur oder Biomasse, die sich auf den Sensoren oder innerhalb der Wasserleitungen des Schiffes ablagern und verfälschende Effekte hervorrufen können. Um sicher zu gehen, dass trotzdem qualitativ hochwertige Sensordaten erhoben werden können, ist eine Kontrolle durch einen Vergleich zu chemisch analysierten Proben unumgänglich.

Ein weiterer Typ von multidisziplinären Observatorien sind Verankerungen, welche für ein Jahr mit einer Vielzahl an neuen Sensoren ausgestattet in der zentralen Arktis ausgebracht wurden und nun für die Auswertung geborgen sind. Neben innovativen Sensoren wie ADCPs welche die Strömungsverhältnisse basierend auf der Bewegung von Partikeln im Wasser bestimmen, gibt es auch noch alt bewährte CTDs, die uns Informationen über die Temperatur und Salzgehalt in bestimmten Tiefen liefern. Um Aussagen über die saisonale Veränderung von biologischen und chemischen Parameter machen zu können, haben wir auf dieser Expedition zum ersten Mal erfolgreich einen zusammen mit Sinkstofffallen verankerten Wasserprobennehmer geborgen. Während der Wasserprobennehmer die im Wasser gelösten Nährstoffe beprobt, fangen die  Sinkstofffallen absinkende organische Partikel auf und erlauben uns somit einen Einblick in die Zusammensetzung des Planktons sowie des Kohlenstoff- und Nährstoffflusses in die Tiefen des Arktischen Ozeans, die noch so viele Geheimnisse bergen.

 

Mit herzlichen Grüßen von Bord, Marcel Nicolaus und das FRAM Team

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