PS106/2 - Wochenbericht Nr. 7 | 2. - 9. Juli 2017

Woche 7: Tief im Arktischen Ozean

[10. Juli 2017] 

Auf unserem Weg nach Norden musste Polarstern sich durch betonhartes, schneebedecktes Eis kämpfen. Dies hat unsere Reisegeschwindigkeit erheblich vermindert, sodass wir unseren ursprünglichen Plan, bis 85°N vorzudringen, aufgeben mussten. Während wir immer weiter nach Norden kamen, nahm die Anzahl der Sichtungen von Wildtieren, wie Trottellummen und Eisbären, immer weiter ab. Auch Eischollen mit Melosira arctica wurden nur noch selten angetroffen.

Unser Stationsprogramm besteht in der Regel aus dem Einsatz von CTD, Zooplanktonnetzen, dem SUIT und Probenahmen der Oberflächenschicht mit dem Beiboot Laura. Der scheinbare Rückgang in Sichtungen von Meeresvögeln und Meeressäugern zeigte sich auch auf den niedrigeren Ebenen des Nahrungsnetzes: Die Abundanzen von Zooplankton und Untereisfauna aus den Netzfängen schienen Richtung Norden deutlich abzunehmen.

Auf dieser Expedition beprobt die Zooplankton-Gruppe des AWI  Zooplankton zwischen 0.2 mm und 2 cm Länge mit dem Multinetz, z.B. Ruderfußkrebse, Flohkrebse oder Quallen. Das Multinetz ist mit fünf feinmaschigen Planktonnetzen bestückt, die in unterschiedlichen Tiefen geöffnet und wieder geschlossen werden können. So erhält man Proben aus definierten Tiefen, die fixiert und später im Labor bearbeitet werden. Zusätzlich untersuchen wir die Tiefenverteilung der häufigsten Arten mit dem sogenannten LOKI (lightframe onsight key species investigation). Kernstück des LOKI ist eine hochauflösende Digitalkamera, die kontinuierlich etwa zwanzig Bilder pro Sekunde macht (Bild 1), während das Gerät aus 1000 m Tiefe an die Oberfläche gezogen wird oder auf einer Unterwasserfahrzeug (Remotely operated vehicle, ROV) montiert unter dem Eis entlang fährt (Bild 2). Gleichzeitig werden Salzgehalt, Temperatur und Fluoreszenz gemessen, sodass wir das Vorkommen der verschiedenen Arten mit den hydrographischen Bedingungen korrelieren können. Am LOKI haben wir auf dieser Expedition ein weiteres Gerät, das Aquascat, angebracht. Das Aquascat sendet Töne verschiedener Frequenzen aus, die vom Plankton reflektiert werden. So kann man mit Akustik erfassen, wie viele und wie große Tiere im Waser schweben.

Ein wesentliches Ziel der Meereisphysikgruppe des AWI ist die Untersuchung optischer Eigenschaften von Schnee und Meereis: Wieviel Sonnenlicht wird zurück in die Atmosphäre reflektiert, wieviel trägt zur Erwärmung und zum Schmelzen des Meereises bei und wieviel erreicht den oberen Ozean und steht dort als Energiequelle für das Ökosystem zur Verfügung? Ein wesentliches Werkzeug zur Beantwortung dieser Fragen ist der kabelgebundene Tauchroboter (ROV) BEAST (Bild 3). BEAST taucht durch ein Loch im Meereis und kann dann in einem Umkreis von ca. 200 Metern das Meereis und das Wasser untersuchen und vermessen. Strahlungssensoren, ein Fächerecholotsystem und Kameras sind die wesentlichen Geräte auf dem ROV, die zur Vermessung der Unterseite des Meereises eingesetzt werden. Zusätzlich finden auf jeder Eisscholle umfangreiche Messungen und Beprobungen von Schnee- und Eisdicke sowie manuelle Messungen optischer Eigenschaften statt. Dieses Programm dauert pro Station 8 bis 10 Stunden, während derer die Polarstern an der Scholle liegt. Um die Eisdickenmessungen weiter auszuweiten, fliegen wir (immer wenn es das Wetter erlaubt) Transekte mit unserem EM-Bird (Bild 4), einer Eisdicken-Schleppsonde unter dem Helikopter. So erhalten wir zusätzlich einen Einblick in die regionale Verteilung der Dicke des Meereises.

Die Atmosphärenwissenschaftler auf PS 106/2 betreiben eine Reihe optischer und anderer Fernerkundungsgeräte, die kontinuierlich messen. Diese Sensoren messen Parameter, mit denen die Atmosphäre und ihre Interaktion mit der Oberfläche untersucht werden kann. Diese Parameter steuern wichtige Variabeln, zum Beispiel zur Verbesserung von Klimamodellen und zur Validierung von Satellitenmessungen. Mit dem FTIR-System (Fourier Transform Infrared Radiometer, Bild 5) der Universität Bremen kann eine große Anzahl von Spurengasen bestimmt werden. Die einfallende und abgehende Strahlung wird von der Freien Universität Berlin mit zwei unterschiedlichen optischen Systemen gemessen. Ein DOAS (Differential Optical Absorption Spectrometer) mit dem Namen Pandora-2s wurde auf dem Peildeck montiert, und ein hyperspektrales Polarimeter (URMS/AMSSP: Universal Radiation Measurement System / Airborne Multi-Spectral Sun- and Polarimeter) ist auf dem Krähennest installiert. Das Pandora-2s misst vertikale Strahlungsprofile in der Atmosphäre mit zwei hochauflösenden Spektralradiometern im Wellenlängenbereich 320 bis 1000 nm. Auch können horizontale Profile der Spurengase NO2, O3 (Ozon) und H2O (Wasserdampf) erstellt werden. Das zweite Instrument führt diese Messungen an der Backbordseite des Schiffs durch.

Das Ziel dieser Messungen ist die Bestimmung von Aerosoleigenschaften und die Messung des einfallenden und abgehenden polarisierten Lichtes der Sonne. Das Licht wird in der Atmosphäre gestreut und von der Oberfläche reflektiert. Auf dieser Expedition messen wir die Reflektion von Eis, Schnee und Meerwasser bei unterschiedlichen Bedingungen in der Atmosphäre. Diese Messungen werden zusammen mit den vertikalen Temperaturprofilen von Radiosondenaufstiegen in Strahlungstransfermodelle gegeben, die den Zustand der Atmosphäre charakterisieren. Die Ergebnisse der Strahlungstransfermodelle und der Messungen können dann verglichen werden, um Unterchiede zwischen  Modellen und Messungen des Lichtfeldes zu finden. Mit dieser Kenntnis können dann z.B. Satellitenmessungen verbessert werden.

Am Abend des sechsten Juli erreichten wir den nördlichsten Punkt dieser Expedition bei  83°40’N 31°35’O. Hier setzten wir unseren gesamten Geräteparcours ein und führten eine zehnstündige Eisstation durch. Einen Tag später genossen Mannschaft und Wissenschaftler dann das traditionelle Grillen zum ‘Bergfest’. Dieses hatten sich alle wahrlich verdient. Jeder hier an Bord hat sein Bestes gegeben, viele von uns haben Tag und Nacht gearbeitet. Damit wurde die erste Hälfte von PS 106/2 bereits ein voller Erfolg. Im Anschluss setzten wir unsere Reise dann wieder in südlicher Richtung fort.

Gestern aber wurde unsere Probenahmeroutine durch einen kleinen medizinischen Zwischenfall unterbrochen. Einer der Wissenschaftler erlitt eine akute Entzündung und musste im Schiffshospital operiert werden. Unter der Leitung des Schiffsarztes, Dr. Claus Rudde-Teufel, wurde der Eingriff in kürzester Zeit erfolgreich durchgeführt. Dem Patienten geht es nun wieder gut, er muss sich lediglich von der Operation erholen. Dr. Rudde-Teufel erwartet eine schnelle Genesung. Und so konnte Polarstern das wissenschaftliche Programm schon gestern Nacht wieder fortsetzen.

Während das Schmelzen des Meereises in der nördlichen Region der letzten Stationen noch nicht so weit fortgeschritten war, erwarten wir, dass sich dies in den kommenden Tagen ändert. Dann nähern wir uns wieder der Eisrandzone. Wir planen die Driftstation des ersten Abschnitts (PS106/1) wieder zu besuchen. Dort werden wir unsere zurückgelassenen autonomen Messgeräte bergen und die Scholle noch einmal intensiv untersuchen und beproben. Wir sind sehr gespannt wie es dort jetzt aussieht, und wie sich das Meereis verändert hat.

Mit den besten Wünschen von Mannschaft und Wissenschaftlern

Hauke Flores, Fahrtleiter

 

Mit Beiträgen von Thomas Ruhtz (Freie Universität Berlin), Ulrich Küster (FU-Berlin), Jonas Witthuhn (Tropos), Martin Radenz (Tropos), Sebastian Zeppenfeld (Tropos), Simonas Kecorius (Tropos), Hannes Schulz (Tropos), Teresa Vogl (Tropos), Andre Wetli (Tropos), Xianda Gong (Tropos), Svenja Kohnemann (Uni Trier), Gerit Birnbaum (AWI), Marcel König (CAU), Peter Gege (DLR), Philipp Richter (Uni Bremen), Christine Weinzierl (Uni Bremen), Marcel Nicolaus (AWI), Barbara Niehoff (AWI) und Nicole Hildebrandt (AWI)

Kontakt

Wissenschaft

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Hauke.Flores@awi.de

Wissenschaftliche Koordination

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Sanne Bochert