PS124 - Wochenbericht Nr. 5 | 1. - 7. März 2021

Forschung im Südpolarmeer

[08. März 2021] 

Der letzte Wochenbericht befasste sich mit dem Thema Wetter, das zwar grundsätzlich für die Arbeiten aller an Bord von Bedeutung ist; insbesondere aber für diejenigen, die ihre Forschungsarbeiten mit Hilfe der beiden Polarstern-Helikopter durchführen. Auf dieser Expedition wechseln sich zwei Arbeitsgruppen in der Nutzung der Helikopter ab: die Meereis- und die Robbenforscher.

Allmorgendlich um 8:15 treffen sich die beiden Teams zusammen mit den Piloten, dem Fahrtleiter und dem Kapitän in der Bordwetterwarte, um auf der Grundlage der aktuellen Wetterbeobachtungen der Meteorologen ihre Flüge zu planen.

Meereisforschung im Südpolarmeer

Im Gegensatz zur Meereisbedeckung in der Arktis, die in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen hat, hat sich das Meereis in der Antarktis nur wenig verändert. Die Gründe dafür sind nach wie vor unklar. Außerdem basieren die Beobachtungen fast ausschließlich auf Satellitendaten, während die letzten umfangreichen, direkten Meereisuntersuchungen im südöstlichen Weddellmeer mehr als zwanzig Jahre zurückliegen. Deshalb ist das Ziel der physikalischen und biologischen Meereisarbeiten auf dieser Expedition, den Zustand des Eises mit modernen Methoden vor Ort zu untersuchen und seine Rolle im antarktischen Ökosystem besser zu verstehen. Dabei spielen Untersuchungen von Eis- und Schneedickenänderungen, Schneemetamorphose, sowie biologischer Diversität und Kohlenstoffflüsse eine besondere Rolle. Letzteres ist gerade im Zusammenhang mit den Arbeiten anderer Gruppen von besonderer Bedeutung, die die Prozesse in der Wassersäule und am Meeresboden untersuchen, weil das Meereis diese maßgeblich beeinflusst.

Aufgrund des straffen Zeitplans des Schiffes können wir das Eis nicht vom Schiff aus besuchen, sondern sind auf die Benutzung der Helikopter angewiesen. Dies hat den Vorteil, dass wir aus der Luft besser repräsentative Eisschollen und ebenes Eis aussuchen können. Darüber hinaus ist in unserem Arbeitsgebiet nur wenig Eis, so dass uns die Helikopter erlauben, Eisschollen in größerer Entfernung aufzusuchen. Da die Meereisgruppe aus fünf Personen mit vielen Messgeräten für die umfangreichen Eisuntersuchungen und Probennahmen besteht (Abb. 1), müssen wir mindestens zwei Flüge durchführen, um alles aufs Eis zu transportieren. Aufgrund der mäßigen Wetterbedingungen mit zumeist dicken, tiefen Wolken ist das Licht auf dem schneebedeckten Eis sehr kontrastarm, was das Landen sehr anspruchsvoll macht – für unser erfahrenes Helikopterteam stellt das aber keine große Herausforderung dar.

Erste Ergebnisse zeigen, dass die Schnee- und Eisdicken im südöstlichen Weddellmeer sehr ähnlich wie vor mehr als zwanzig Jahren sind. Die Eisschollen selbst sind sehr variabel, da sie von verschiedenen Meeresströmungen und Winden aus unterschiedlichen Meereisbildungsgebieten im Weddellmeer hierhergetrieben sind. Dies spiegelt sich auch in der Biologie in der unterschiedlichen Zusammensetzung der Meereisorganismen wieder. Außerdem sehen wir, obwohl wir uns am Ende des Sommers befinden, wenig Anzeichen für sommerliches Oberflächen- und Schneeschmelzen. Unsere in-situ Messungen sind außerdem sehr wichtig, um Satellitenbeobachtungen mit Mikrowellensensoren besser verstehen zu können. Damit wird es zukünftig möglich sein, Meereisprozesse auch dann zu beobachten, wenn wir keine direkten Beobachtungen durchführen können. Weitere Ergebnisse der biologischen und bio-geochemischen Untersuchungen werden wir erst später erhalten, wenn unser umfangreiches Eiskernmaterial in den Laboren an Land analysiert wurde.

Robben und Ozeanographie

Das Südpolarmeer macht mit rund 20 Millionen km2 nur etwa 10 % der Weltozeane aus; aber es beherbergt mehr als 50 % der Weltbiomasse an marinen Säugetieren. Dazu gehören die sechs antarktischen Robbenarten: Weddellrobbe, Rossrobbe, Krabbenfresser, Seeleopard, südlicher Seeelefant und Antarktische Pelzrobbe. Diese vergleichsweise geringe Diversität ist eine Folge der Isolierung der Antarktis durch den Antarctic Circumpolar Current (ACC) – den Antarktischen Zirkumpolarstrom, der die südlich des ACC gelegenen Wasserkörper und Landmassen durch seine Frontensysteme mit Temperaturdifferenzen von mehr als 10 °C nach Norden hin wie durch eine unsichtbare Barriere separiert. Der Austausch von Wassermasseneigenschaften ist dadurch in große Tiefen verlagert oder findet nur an ganz bestimmten Stellen statt, zumeist hervorgerufen durch Veränderungen in der Meeresbodentopographie. Diese einzigartigen ozeanographischen Verhältnisse des Südpolarmeers spielen für die wenigen, hoch angepassten antarktischen Robbenarten, die hier leben, sich fortpflanzen und ernähren eine besondere Rolle.

In Ergänzung der zuvor systematisch festgelegten ozeanographischen Stationsarbeiten von Bord der Polarstern werden auch einige Weddellrobben in die Untersuchungen der Ozeanographen einbezogen. Ein kleines Team von Wissenschaftler*innen aus Südafrika, Norwegen und Deutschland stattet die Weddellrobben mit miniaturisierten Sensoren und Sendern aus (Abb. 2), die entlang der Tauchgänge der Robben Daten über die Temperatur und den Salzgehalt des Meerwassers sammeln. Während der Atem- und Ruhepausen der Robben an der Wasseroberfläche und auf dem Meereis werden diese Daten via Satellit übertragen. Zwölf Weddellrobben sollen mit Sendern versehen werden, die danach bis zu einem Jahr lang Daten sammeln. Über die ozeanographischen Fragen hinaus ermöglichen es die Daten auch, die Bewegungsmuster und das Tauchverhalten der Weddellrobben nachzuvollziehen und in Beziehung zu ihrer Umwelt zu interpretieren.

Ausgehend von Polarstern werden zuvor auf Satellitenbildern identifizierte, mitunter kilometerlange Packeisschollen mit dem Hubschrauber angeflogen und das Robbenteam dort abgesetzt, um ein Tier mit einem Sender zu versehen. Es ist ein stets surrealer, beinahe magischer Moment, wenn man sich in über 100 Kilometer Entfernung zum Schiff auf einer Eisscholle treibend der Großartigkeit der Natur und der Grenzen menschlicher Existenz bewusst wird; eine Empfindung, die unsere Wahrnehmung der Erde auf der wir leben nachhaltig prägt.

 

PS124 grüßt vom südlichsten Punkt unserer Reise (77° 12‘ S 34° 01‘ W) im schon herbstlich anmutenden Weddellmeer – eines der wenigen antarktischen Randmeere, das in großen Teilen ganzjährig mit Meereis bedeckt sind.

Hartmut H. Hellmer (Fahrtleiter)

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