Meeresspiegelanstieg

Gletscherschmelze unter Beobachtung

AWI beteiligt sich mit zwei Millionen Euro an den Kosten für eine neue Satellitenmission
[17. Mai 2018] 

Vor einigen Monaten verglühten die zwei Erdbeobachtungs-Satelliten der GRACE-Mission in der Atmosphäre. Zwar war dieses Ende planmäßig, doch riss es den Experten des Alfred-Wegener-Instituts eine Lücke in die Erforschung der Eisverluste in der Antarktis und in Grönland. Nun startet endlich die Nachfolge-Mission. Sie wird wesentlich dazu beitragen, den künftigen Meeresspiegelanstieg besser abschätzen zu können.

Eine der größten Gefahren des Klimawandels ist zweifellos der fortschreitende Meeresspiegelanstieg, der umso größer ausfallen wird, je stärker die mächtige Eisdecke auf Grönland und in der Antarktis schmilzt. Um die Massenverluste dieser großen Eisschilde besser einschätzen zu können, werten Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), permanent Erdbeobachtungsdaten von Satelliten aus. Eines der wichtigsten Raumfahrzeug-Duos waren für sie die GRACE-Satelliten, die seit dem Jahr 2002 im Orbit kreisten, 2017 aber im hohen Alter von 15 Jahren außer Dienst gestellt und Anfang dieses Jahres zum Verglühen kontrolliert in die Erdatmosphäre gelenkt wurden. Seitdem fehlte den AWI-Experten und der internationalen Forschergemeinde eine wichtige Informationsquelle zum Zustand der großen Eisschilde. 

Um nun die Lücke zu schließen, wird am 22. Mai 2018 um 12.47 Uhr Ortszeit PST; 21.47 Uhr deutsche Zeit vom Vandenberg Luftwaffenstützpunkt in Kalifornien (USA) der Nachfolger GRACE Follow-On (GRACE-FO) in den Orbit geschossen (Nachtrag: Erfolgreicher Start am 22. Mai wurde bestätigt.). „Wir sind sehr froh darüber“, sagt der AWI-Geophysiker Ingo Sasgen.„Die erste GRACE-Mission hat uns 15 Jahre lang eine einzigartige und hochinteressante Zeitreihe über die Massenverluste der Eisschilde geliefert. Seit Juni 2017 ist die Zeitreihe unterbrochen und wir haben zum Beispiel keine Daten zur letzten Schmelzsaison in Grönland. Es ist gut, dass die Messungen jetzt weitergehen.“

GRACE ist die Abkürzung für „Gravity Recovery And Climate Experiment“, was man frei mit „Schwerefeld-Messung und Klimaexperiment“ übersetzen kann. Wie der Name andeutet, haben die Satelliten die Aufgabe, das Schwerefeld der Erde einmal pro Monat komplett zu vermessen. Diese Schwerefelddaten werden von verschiedenen Experten zu ganz unterschiedlichen Zwecken genutzt. Sie sind aber eben auch für die AWI-Forscher besonders wichtig, denn die Eismassenveränderung in Grönland und der Antarktis macht sich auch im Schwerefeld der Erde deutlich bemerkbar. Geht mehr Eis durch Schmelzen und Gletscherkalben verloren als durch Schneefall hinzukommt, nimmt das Gewicht der Eisschilde ab und damit die Erdanziehungskraft vor Ort. Die GRACE-Messungen verraten also, ob, wo und wie viel die Eisschilde in der Summe wachsen oder schrumpfen. 

Die beiden Satelliten fliegen in einem Abstand von etwa 220 Kilometern hintereinander her und überprüfen mit einem Mikrowellenradar permanent ihren Abstand zueinander. Überfliegt der erste Satellit einen Bereich mit erhöhter Schwerkraft, wird er leicht angezogen und dadurch beschleunigt. Der Abstand zum zweiten vergrößert sich. Diese Abweichung verrät, wie stark die Schwerefeldänderung in einem Umkreis von etwa 400 km ist. Dabei ist die Messgenauigkeit des Mikrowellenradars erstaunlich. Er misst den Abstand zwischen den beiden Satelliten auf einige Mikrometer genau.

Auch bei der neuen GRACE-Mission kommt der Mikrowellenradar zum Einsatz. „Man hat auf bewährte Technik gesetzt, um schnell eine zweite Mission starten zu können und nicht zu viel Zeit zu verlieren und Datenlücken zu riskieren“, erklärt Ingo Sasgen. „Zusätzlich ist aber noch ein Lasermessgerät an Bord, das während dieser Mission getestet wird. Es ist rund 25-mal genauer als der Mikrowellenradar und kann damit die Analyse des Schwerefeldes noch verbessern.“

Die wissenschaftliche Betreuung der aktuellen GRACE-FO Mission liegt wie beim Vorgänger beim Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) und bei der NASA. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt führt im Auftrag des GFZ den Missionsbetrieb durch. Das AWI wiederum bringt seine Eis-Expertise ein und hat sich an den Kosten für die Falcon-9-Trägerrakete von SpaceX mit zwei Millionen Euro beteiligt.  

Ingo Sasgen und seine Kollegen benötigen die Daten von GRACE-FO nicht nur, um einen Eindruck zu bekommen, wie die großen Eisschilde auf die fortschreitende globale Erwärmung schon jetzt reagieren. Sie füttern damit auch mathematische Modelle, sogenannte numerische Klimamodelle, um besser abzuschätzen, wie sich die Eisverluste künftig entwickeln könnten. Obwohl GRACE-FO sehr genaue Schwerefeldmessungen durchführt, kombinieren die AWI-Experten die Daten mit Messungen anderer Satelliten, zum Beispiel mit denen von CryoSat-2. Dieser tastet die Erde mit Radarstrahlen ab, um die Höhe der Eisbedeckung mit hoher Auflösung zu bestimmen. So lässt sich mit CryoSat-2zum Beispiel recht gut erkennen, an welcher Stelle eines Gletschers viel Schnee niedergegangen ist. GRACE-FO tastet ein Raster von 400 Kilometern ab, das ist recht grob. CryoSat-2 hat mit typischerweise fünf Kilometern eine deutlich höhere Auflösung. Doch auch CryoSat-2 hat seine Grenzen. Die Radarstrahlen dringen ein wenig in Schnee und Eis ein, was die exakte Messung der Schnee- oder Eishöhe schwierig macht, vor allem weil man die genauen Bedingungen vor Ort nicht kennt. Das AWI führt deshalb zusätzlich Kalibrationsmessungen mit seinen Forschungsflugzeugen durch. Eine weitere Unsicherheit: Schnee sackt nach und nach unter seinem Gewicht in sich zusammen. Auch das verfälscht die Höhenmessung. „Ob eine Veränderung der Eis- und Schneehöhe durch eine solche Kompaktierung oder durch Schmelze ausgelöst wurde, können wir allein mit CryoSat-2-Daten nicht feststellen. Dazu brauchen wir wiederum GRACE Follow-On“, sagt Ingo Sasgen. „Denn die Veränderung des Schwerefeldes zeigt uns, ob es tatsächlich Eis- und Schneemassenverluste gibt.“ Die Daten der verschiedenen Satelliten ergänzen sich also sehr gut, weil jeder seine Stärken hat. 

Mit dem Start von GRACE-FO schließt sich jetzt nach rund einem Jahr eine Lücke im Feld der Wissenschafts-Satelliten. Wie beim Vorgänger ist die Missionsdauer von GRACE-FO zunächst für fünf Jahre geplant. Ingo Sasgen hofft, dass die zweite Generation genau wie die erste aber vielleicht sogar 15 Jahre durchhält. „Dann hätten wir insgesamt eine Zeitreihe von rund 30 Jahren. Für Klimamodelle wäre das eine wirklich aussagekräftige Zeitspanne. Diese Daten dürften noch in Jahrzehnten für die Klimaforschung von Bedeutung sein.“


Video: NASA

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