Ein symbolischer Baum in der russischen Arktis

An der Forschungsstation Samoylov im Lena-Delta haben Wissenschaftler erstmals Lärchen entdeckt. Ein Novum.

Gunara Nugamatsyamova von der Universität Kasan (Russland) entdeckte im Juni 2014 eine 70 Zentimeter hohe und vermutlich mehr als 20 Jahre alte Lärche auf der Insel Samoylov, unweit der gleichnamigen russischen Forschungsstation. Die für Sibirien typische sommergrüne Dahurische Lärche (Larix gmelinii) fühlt sich an diesem Standort recht wohl und sendet bereits Sprösslinge im Wurzelbereich aus. Nur eines passt nicht: Der Standort befindet sich in der arktischen Tundra nördlich der Baumgrenze. Eigentlich sollten hier keine Bäume wachsen.

Die regelmäßig auf Samoilov stationierten Wissenschaftler beobachten eine sich stetig verändernde Pflanzenwelt. Die Veränderungen sind jedoch noch kleinräuming und gehen sehr langsam vonstatten, so dass sie auf Satellitenbildern noch nicht zu erkennen sind. Dennoch fand Katja Abramova vom Lena-Delta Reservat in Tiksi bereits 2013 eine kleinere nur 30 Zentimeter "hohe" Lärche, die allerdings während des letzten Winters ihre Krone einbüßte. Außerdem berichten Reservatsmitarbeiter und russische Einheimische dem Stationstechniker Günther Stoof vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) regelmäßig von einer wachsenden Zahl "invasiver" Erlen.

Eine erste Erklärung für dieses Phänomen ist die Verlagerung der Baumgrenze in Richtung Norden durch die Klimaerwärmung. Die Waldgrenze verläuft entlang der Linie an der die durchschnittliche Temperatur des wärmsten Sommermonats zehn Grad Celsius nicht überschreitet. Trotzdem treten vereinzelt Bäume auch nördlich davon in der sogenannten Waldtundra auf, die als Übergangszone mehrere hundert Kilometer breit sein kann. Voraussetzungen für das Wachstum von Bäumen in dieser Region sind ausreichende Feuchtigkeit und eine möglichst lange warme Periode. Neben den Höchstwerten der Temperatur spielt also die "Dauer der Jahreszeiten" im Klimawandel eine wichtige Rolle, die noch weiter erforscht werden muss.

Klimawandel oder Präsenz des Menschen vor Ort?

Die Wissenschaftler wagen noch keine konkreten Aussagen, ob tatsächlich der Klimawandel die Bäume auf die Insel bringt. Die zunehmenden Forschungsaktivitäten in dem wachsenden Arbeitsgebiet an der Station könnten, trotz aller Naturschutzbemühungen der Forscher, das Ökosystem beeinflussen. Moritz Langer vom AWI gibt hier zu bedenken, dass im Permafrost auf Samoylov eine Erwärmung von mehr als ein Grad Celsius über die letzten zehn Jahre gemessen wurde - ein zehnmal höherer Wert als die globale Erderwärmung. Außerdem sei die Aktivität auf der Forschungsstation vor 20 Jahren noch äußerst gering gewesen. Berücksichtigt man das hohe Alter der Gehölze, kann “Forschungstourismus” also nicht die alleinige Ursache für ihr Auftauchen sein. Und selbst wenn dieser Baum mit dem Menschen in die Region gekommen ist, das Besondere daran ist: Er konnte unter den jetzigen Bedingungen überleben. Für Stefan Kruse vom AWI ist damit belegt, dass diese Lärchenart nun weit nördlich der Baumgrenze wachsen kann.

Letztlich bleibt die symbolische Bedeutung des Baumes in der arktischen Tundra: Der Mensch beeinflusst die Umwelt, ob es im Lena-Delta schon jetzt der Klimawandel ist oder “nur” die direkte Präsenz des Menschen vor Ort. Die Natur erlebt eine Veränderung, gerade im hohen Norden, wo bereits geringfügige Änderungen drastische Konsequenzen haben können. (Boris Biskaborn)

Links zur AWI-Permafrostforschung