Copepoden trotzen der Ozeanversauerung

Erfolgsgeschichte eines Widerstandskämpfers

Sie sind klein, unscheinbar – und extrem wichtig für das Nahrungsnetz im Meer. Deshalb untersucht Biologin Dr. Barbara Niehoff am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, wie Copepoden in saurerem Wasser überleben können. Bisher lassen ihre Versuche vermuten, dass sie es bei den kleinen Krebstieren mit echten Überlebenskünstlern zu tun hat. Aber was macht die zentimetergroßen Tierchen so robust? Und könnte die Versauerung vielleicht doch auf Umwegen zur Gefahr für sie werden?


Nicht die kleinste Reaktion

Die Biologin begegnet dem „stumpf“ deshalb mit einem Vergleich: „Copepoden sind wie Weiden. Sie beugten sich den harschen Umweltbedingungen und sind dadurch viel widerstandsfähiger als die starken Eichen.“ Während andere Bewohner seit langem aus den Weltmeeren verschwunden sind, haben sich die Copepoden im Laufe der vergangenen 100 Millionen Jahre immer wieder an neue Lebensbedingungen angepasst – und die Chancen stehen gut, dass sie auch den heutigen Klimaveränderungen standhalten werden. Denn bisher zeigen sie sich von Barbara Niehoffs Härtetests ziemlich unbeeindruckt.

Drei Copepoden-Arten*, die in arktischen Gewässern das Zooplankton dominieren, hat die Biologin in Laborversuchen immer wieder Kohlendioxid-Konzentrationen ausgesetzt, die fast zehnmal so hoch sind wie die heutige. „Wir begannen unsere Versuche mit den widrigsten Lebensbedingungen. In diesem Fall also mit einem Kohlendioxid-Gehalt, den wir frühestens in 300 Jahren erwarten. So wollten wir herausfinden, was saures Wasser im schlimmsten Fall anrichten kann,“ erzählt sie. Der Plan war, die Konzentrationen anschließend wieder zu senken. „So lange, bis wir einen Punkt erreichen, an dem wir erkennen können: ab hier verändert sich etwas im Tier im Vergleich zu ihrem heutigen Verhalten.“

Doch selbst bei den extrem hohen Konzentrationen ließen die Effekte auf sich warten – ganz egal wo Barbara Niehoff ihre Copepoden untersuchte: in Laboren an Bord des Forschungseisbrechers Polarstern, am Institut in Bremerhaven oder bei Feldversuchen vor den Küsten Spitzbergens und Norwegens. Irgendwo und irgendwann, dachte sie, werden die Copepoden auf den sinkenden pH-Wert reagieren. Dabei untersuchte sie unterschiedlich Aspekte: Wie viel fressen die Tiere? Wie viel Sauerstoff benötigen sie? Verlieren sie an Gewicht? Entwickeln sich ihre Keimdrüsen normal? Und schließlich: Wie reagieren die verschiedenen Enzyme in den einzelnen Zellen? Aber die kleinen Krebstiere reagierten überhaupt nicht. Sie entwickelten sich normal, fraßen und atmeten als wäre nichts gewesen.

„Stumpf ist Trumpf“, scherzt ein Kollege, als AWI-Biologin Dr. Barbara Niehoff erzählt, wie ihre kleinen Probanden der Ozeanversauerung trotzen. Einfach, ja. Aber als stumpf würde sie Copepoden nicht bezeichnen. Tatsächlich erweisen sich die Tiere nämlich als echte Widerstandskämpfer – auch wenn sie auf den ersten Blick eher unscheinbar wirken.

Copepoden, auch Ruderfußkrebse genannt, sind kleine Krebstiere, die Süßwasserflöhen ähneln. Mit ihren Ruderbeinen katapultieren sie sich förmlich durchs Wasser und strecken ihre Antennen aus, die oft länger sind als ihr ganzer Vorderkörper. Eine durchsichtige Chitinhülle umgibt ihren zigarrenförmigen Rumpf und lässt Barbara Niehoff ungehindert ins Innere der Tiere blicken: Auf den Darm, die Geschlechtsorgane, auf das Herz und den großen Ölsack. „Sogar eine Schnecke ist komplizierter aufgebaut“, erklärt sie. Und dennoch haben es diese einfachen Lebewesen in sich.

* Die drei Arten

Dr. Barbara Niehoff untersucht die folgenden drei Copepoden-Arten:

  • Calanus finmarchicus
    Eine Art, die vor allem in den gemäßigten Breiten lebt, aber mit dem Nordatlantikstrom in die Arktis transportiert wird.

  • Calanus glacialis
    Eine Art, die vor allem auf in arktischen Schelfgebieten lebt.

  • Calanus hyperboreus
    Ein Riese unter den Copepoden mit einer Körperlänge von bis zu drei Zentimetern. Diese Art bewohnt vor allem arktische Gewässer, ist aber auch weiter südlich, bis in den Gulf of Maine hinein, zu finden.

Nahrhafte Leibspeise

Doch: Kein Ergebnis ist auch ein Ergebnis. In diesem Fall sogar ein sehr gutes für all jene, die es wirklich etwas angeht: Nämlich die Tiere im Ozean, die sich von Copepoden ernähren – und zu denen gehören neben vielen Fischen auch Seevögel und Wale. Hätten diese auf einmal weniger zu fressen, würden auch wir Menschen das zu spüren bekommen. Ihre Beliebtheit auf den Speisezetteln verschiedener Meeresbewohner verdanken Copepoden zum einen ihrer weiten Verbreitung. Sie leben im Prinzip überall: in extrem salzigen Gewässern, an heißen Thermalquellen und im Eis der Polargebiete. Zum anderen kommen sie oft in sehr hohen Dichten vor. Die drei Copepodenarten, mit denen sich Barbara Niehoff beschäftigt, bilden allein bis zu 80 Prozent der gesamten Zooplankton-Biomasse in der Arktis. Ihr – im Vergleich zur Körpergröße – riesiger Ölsack macht diese drei Arten zudem zu einer besonders nahrhaften Mahlzeit. Die Tiere sind also weit mehr als nur ein Snack – sie sind ein wesentlicher Bestandteil der Nahrungsnetze der Arktis.

Folgen auf Umwegen

Die Ozeanversauerung allein kann den Copepoden den Versuchen zufolge also vermutlich nicht viel anhaben. Erst vor kurzem haben Barbara Niehoffs Kollegen sogar etwas Erstaunliches entdeckt, das diese Vermutung noch bestärkt: Copepoden haben ein besonderes Talent: Sie können den pH-Wert in ihrer Körperflüssigkeit regulieren.

Die AWI-Wissenschaftler konnten beobachten, dass der pH-Wert einiger Copepoden bei nur sechs lag, wenn sie ihre Winterruhe hielten. Zum Vergleich: Ein pH-Wert von sechs entspricht dem Säuregrad des menschlichen Urins. Meerwasser dagegen ist mit einem pH-Wert von acht leicht basisch. Sobald die Copepoden aber aus der Winterpause erwachten und zu fressen begannen, stieg ihr innerer pH-Wert wieder auf acht.

Gibt es also eine Entwarnung für Copepoden? Nicht ganz. Copepoden ernähren sich hauptsächlich von einzelligen Algen und deren Gemeinschaft wird sich mit dem Klimawandel wahrscheinlich verändern. So könnte zukünftig die Anzahl kleinerer Algen zunehmen. Zieht sich das Meereis zudem im Frühling früher zurück, vermehren sich auch die Algen im Frühling früher – d.  h. zu einer Zeit, in der die Copepoden in den Tiefen des Arktischen Ozeans noch ihre Winterruhe halten.

Barbara Niehoffs nächste Forschungsfragen lauten deshalb: Was fressen Copepoden, wenn ihre bevorzugte Nahrung, die Kieselalgen, schon fast wieder verschwunden sind, wenn die Tiere aus der Winterruhe erwachen? Können sie auch von deutlich kleineren Flagellaten leben? Erste Versuche lassen die Biologin vermuten, dass die arktischen Copepoden hier an ihre Grenzen stoßen könnten. Denn wenn sie weniger oder qualitativ minderwertigere Nahrung aufnehmen müssen, wachsen die Tiere nicht mehr optimal und ihre Population könnte zurückgehen – mit unter Umständen schwerwiegenden Folgen für das gesamte arktische Nahrungsnetz. Auf Umwegen könnten sich Versauerung und Erwärmung somit doch noch auf die sonst so widerstandsfähigen Copepoden auswirken.