Kernspinresonanz-Tomographie

Blick ins Gehirn – Ein Fisch im Kernspin

Was geht einem Fisch durch den Kopf, wenn er durch saureres Wasser schwimmt? Diese Frage beschäftigt den Biologen Matthias Schmidt seit geraumer Zeit. Im Rahmen seiner Doktorarbeit am Alfred-Wegener-Institut untersucht er, wie sich der Blutfluss eines Fisches bei steigender Kohlendioxid-Konzentration im Wasser verändert. Mit Hilfe einer Kernspinresonanz-Tomographie blickt er dazu tief in den Fisch hinein.

An der schweren Sicherheitstür zum Kernspin-Labor im Erdgeschoss des Alfred-Wegener-Instituts warnt ein rot-weißes Dreieck mit großem Ausrufezeichen: starke Magnetfelder – Achtung Gefahr! Ein zweites Schild alarmiert, dass metallische Gegenstände in der Nähe des Magneten zu gefährlichen Wurfgeschossen werden. Menschen mit Herzschrittmachern und anderen metallischen Implantaten dürfen das Labor gar nicht erst betreten – alle anderen müssen warten, bis jemand hinter der verschlossenen Tür das Klopfen hört.  

Nur wenig später öffnet Matthias Schmidt die Tür zu dem großen Laborraum. In seinem weißen Kittel sieht der junge Biologe aus wie ein Röntgen-Assistent. Auch ein Blick auf die Apparaturen und Gestelle im Hintergrund, an denen ein scheinbares Durcheinander von Kabeln, Rohren und Schläuchen angeschlossen ist, erinnern an eine Intensivstation. Dennoch hat Matthias Schmidt noch nie einen Menschen untersucht – seine Probanden sind Fische. Denn für seine Doktorarbeit erforscht er, wie sich die Erwärmung und Versauerung der Ozeane auf arktische und antarktische Fischarten auswirkt.  

Sein besonderes Interesse gilt dabei dem Fischgehirn. Australische Wissenschaftler hatten vor drei Jahren festgestellt, dass junge Clown-Fische im saureren Wasser nicht flüchteten, sondern geradewegs zu ihrem Fressfeind hinschwammen. Bei darauffolgenden Versuchen verhielten sich die Jungfische bei Versauerung unvorsichtiger an ihrem Heimatriff, entfernten sich weiter von ihren Zufluchtsorten, sahen und hörten schlechter und innerhalb weniger Tage wurden über 70 Prozent der Tiere gefressen. Jetzt will Matthias Schmidt untersuchen, ob Fische in den polaren Gebieten ähnlich auf die Ozeanversauerung reagieren – mit Hilfe der Kernspinresonanz(NMR)-Tomographie, die man aus dem Krankenhaus als MRT kennt.


Der Kernspin bietet den Wissenschaftlern viele Vorteile. Einer der größten ist, das Tier „in vivo“, also lebendig, zu untersuchen. So können Biologen, wie Matthias Schmidt, in Echtzeit beobachten, wie sich saureres Wasser und steigende Temperaturen auf einen Fisch auswirken – bis in die Zellen hinein. Dabei konzentrieren sie sich zum Beispiel auf den Blutfluss, also der Geschwindigkeit, mit der das Herz Blut durch den Körper pumpt. „Was die Versauerung im Gehirn von Fischen auslöst, weiß noch keiner so genau“, erklärt Matthias Schmidt. Er sucht die Antworten auf Fragen, die bisher noch kaum einer gestellt hat. So aktuell ist das Forschungsgebiet, in das sich der Wissenschaftler wagt.  

Im NMR-Labor des Alfred-Wegener-Instituts ist er bestens für diese Herausforderung ausgerüstet. Der vorhandene Kernspintomograph mit einer Magnetfeldstärke von 4,7 Tesla übertrifft das Erdmagnetfeld um das circa 100.000 fache. Aus dieser Feldstärke ergibt sich im Prinzip die Auflösung der Aufnahme, die Wissenschaftler für ihre Studien benötigen. Im Vergleich erreichen Kernspintomographen in Krankenhäusern für Routineuntersuchungen am Menschen üblicherweise Stärken zwischen ein bis drei Tesla. Mittlerweile geht der Trend allerdings zu immer größeren Magneten, so sind Magnetfeldstärken von 9,4 Tesla in der experimentellen medizinischen Forschung keine Seltenheit mehr.

Nur wenige Forschungseinrichtungen verfügen über vergleichbare Untersuchungsmöglichkeiten. Doch die wirkliche Finesse der Anlage ist der so genannte Strömungskanal. Den hat die „in vivo“ NMR-Forschungsgruppe gemeinsam mit der Werkstatt des Alfred-Wegener-Instituts entwickelt und gebaut. Dieser weltweit einzigartige Kanal ermöglicht es Matthias Schmidt, verschiedene Wasserdurchlauf-Geschwindigkeiten einzustellen und dabei den Fisch im Kernspintomographen direkt zu beobachten. So kann er eine Art Fitnesstest mit dem Fisch durchführen: Je schneller das Wasser durch den Kanal fließt, umso schneller muss der Fisch schwimmen. Zusätzlich erlaubt ihm ein separates Zu- und Abführsystem die Kohlendioxidkonzentration im Wasser zu regulieren. Anstatt also wie auf dem Laufband den Widerstand zu erhöhen, dreht der Biologe den Kohlenstoffhahn auf und lässt das Wasser saurer werden.

Auf diese Weise kann Matthias Schmidt untersuchen, ob der Kohlendioxidgehalt im Wasser beeinflusst, wie schnell der Fisch schwimmen kann. „Je schneller der Fisch schwimmt, umso schneller muss das Herz auch das Blut ins Gehirn pumpen. Wir vermuten, dass Fische im saureren Wasser schneller an ihre körperlichen Grenzen stoßen“, erzählt er.


Der Biologe geht auf eine garagengroße Kammer in der Mitte des Raumes zu und wirft einen Blick ins Innere. Dort steht der Kernspin. Das Gerät sieht aus wie die MRT-Apparate aus dem Krankenhaus, nur die Untersuchungsröhre ist vom Durchmesser kleiner. In sie würde kein Mensch passen. Die Magnetspule des Kernspingerätes befindet sich in einem beigefarbenen und zylinderförmigen Gehäuse. Dort schwimmt sie im flüssigen Helium, das wiederum von flüssigem Stickstoff und schließlich einem Vakuum umgeben wird. „Die flüssigen Gase kühlen die Magnetspule auf circa minus 270 Grad Celsius, also knapp über den absoluten Nullpunkt, herunter. Erst dann tritt bei einigen Metallen die so genannte Supraleitung auf, also eine Stromleitung nahezu ohne Widerstand. Nur so kann ein derartiges Magnetfeld erzeugt werden“, erklärt Matthias Schmidt.  

 

Sein aktueller Proband ist ein antarktischer Black Rockcod. Einen Tag zuvor hatte der Biologe den Fisch aus dem Instituts-Aquarium geholt und in einer mit Wasser gefüllten Kühlbox ins Labor gebracht. Dort musste der Biologe das Tier zunächst leicht betäuben. Denn zappelt und windet sich der Fisch, verzögert er nicht nur das Experiment, er schadet vor allem sich selbst. Nach der Betäubung hatte Mattias Schmidt zehn Minuten Zeit seinen Probanden zurechtzulegen. Und zwar so, dass dieser auch Untersuchungen über mehrere Tage in der Kammer gut übersteht und der Wissenschaftler die bestmöglichen Aufnahmen erhält. Gerade polare Fische haben einen so geringen Energiebedarf, dass die Tiere ohne weiteres mehrere Tage ohne Nahrung auskommen können.

Als der Fisch wieder zu sich kommt, findet er sich in einem dunklen Behälter bei null Grad Celsius wieder. Zwölf Stunden gibt ihm Matthias Schmidt Zeit, um sich an seine neue Umgebung zu gewöhnen. „Wir versuchen, dem Fisch Bedingungen zu bieten, die seinem gewöhnlichen Umfeld so ähnlich wie möglich sind. In dem Fall heißt das, dass er sich so fühlen soll wie in unserem Aquarium. Nach zwölf Stunden können wir davon ausgehen, dass er sich nicht mehr im gestressten Zustand befindet und erst dann starten wir auch unsere Versuche“, sagt der Biologe.

Er schließt die Tür der Kammer und setzt sich an den Computer. Dort kann er genau beobachten, was im Kernspin passiert und wie es dem Probanden geht. Dann startet er den ersten Test. Aus dem Kernspin fängt es an zu klopfen und zu hämmern. Die Kammer dämpft das Geräusch für Außenstehende etwas. Aber wie ergeht es dem Fisch in der Röhre? „Wir haben keine Anzeichen dafür, dass der Fisch gestresst ist. Wir können weder beobachten, dass er schneller atmet, noch dass er sich mehr bewegt. Alle Aufzeichnungen lassen darauf schließen, dass die Geräusche beim Fisch keinen physiologischen Stress verursachen“, erklärt Matthias Schmidt und zeigt auf seine Anzeigen auf dem Bildschirm.


Die erste schwarz-weiße Probeaufnahme des Fischgehirns erscheint auf dem Computerbildschirm. Matthias Schmidt ist zufrieden. „In der Mitte der Aufnahme erkennen wir das Gehirn. Die dunklen Stellen signalisieren, dass hier das Blut langsamer fließt und je heller eine Stelle ist, umso schneller fließt dort das Blut.“ Knapp 1500 Messungen wird der Biologe an dem Black Rockcod vornehmen und anhand der Ergebnisse auswerten, wie der Fisch auf die erhöhten Kohlendioxidkonzentrationen im Wasser reagiert hat. Eine 3D-Software hilft ihm dabei, die gemachten Aufnahmen auszuwerten. Sie stellt das Gehirn des Fisches plastisch nach und erlaubt es dem Biologen nochmal einen genaueren Blick auf mögliche Veränderungen zu werfen. Der Fisch wiederum kehrt nach der Untersuchung wieder ins Aquarium zurück, wo er gefüttert wird und bereits der nächste Proband auf Matthias Schmidt wartet.
(Kristina Bär)