Da taut sich was zusammen

Permafrost galt lange als Nischenthema. Während das Thema auf andere keinen besonderen Reiz ausübte, grub sich Prof. Dr. Hans-Wolfgang Hubberten für die Forschung schon früh in hüfthohen Gummistiefeln durch den Matsch. Damit war er ein Vordenker. Denn heute ist der dauergefrorene Boden ein Topthema in der Klimaforschung. Prof. Dr. Guido Grosse will als Nachfolger von Hans-Wolfgang Hubberten das wichtige Thema weiter vorantreiben.

Im Sommer, wenn Hans-Wolfgang Hubberten mit seinen Kollegen knöcheltief im sibirischen Matsch feststeckte, wünschte er sich schon bisweilen, wieder in seinem Büro auf dem Potsdamer Telegrafenberg zu sitzen. Die Mücken im Norden Russlands waren nicht nur groß, sie waren auch hungrig, und sie stachen mühelos durch die Jeans der Forscher. Also mussten diese sich dicker anziehen, obwohl die Temperaturen tagsüber frühlingshafte Werte erreichten. Die Mischung aus Schweiß, Matsch und Mückenöl war irgendwann im Lauf des Tages selbst für hartgesottene Nasen eine Zumutung.

Wenn der 69-Jährige heute davon erzählt, strahlen seine Augen dennoch vor Begeisterung. Denn meistens war er auf den Expeditionen so versunken in die Arbeit, dass er mit seinen Kollegen erst abends über die Nebenwirkungen der körperlichen Anstrengung lachen konnte. „Die Zeit im Feld war immer die schönste in meinem Beruf“, erzählt Hubberten, Geochemiker am Potsdamer Standort des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).

„Da konnte man sich mal so richtig auf die Arbeit einlassen und den Kopf dafür freibekommen.“ In jedem Jahr seines mittlerweile über 20-jährigen Berufslebens als Permafrost-Forscher habe er ein, zwei oder gar drei Monate draußen in den Forschungsgebieten verbracht – auf den Stationen in der sibirischen Arktis, auf Spitzbergen oder der Herschel-Insel in Kanada.

In diesem Jahr ist das Zentrum der Permafrost-Forschung allerdings Potsdam. Dort findet im Juni die internationale Permafrost-Konferenz statt; zum ersten Mal in einem Land, das selbst keinen nennenswerten Permafrost hat.

Ein weiteres Highlight einer langen Karriere

Für Hubberten, der hinter der Wahl des Veranstaltungsortes steht, ist das ein weiteres Highlight einer langen Karriere. Er hat viel bewirkt auf diesem Gebiet und bereits 2008 eine Tradition gebrochen: Da wurde er als erster Forscher aus einem Nicht-Permafrost-Land zum Präsidenten der internationalen Permafrost-Gesellschaft gewählt.

Permafrost bedeutet, dass die Durchschnittstemperatur eines Bodens in mindestens zwei auf einanderfolgenden Jahren unter null Grad Celsius liegt. Im Sommer taut der Boden an der Oberfläche einen halben bis zwei Meter tief auf, darunter bleibt er gefroren – und das teilweise bis in eineinhalb Kilometer Tiefe. Das kann über Tausende von Jahren so gehen. Auf der Nordhalbkugel trifft diese Permafrost-Definition auf rund ein Viertel der gesamten Landfläche zu. Größtenteils liegen die Gebiete in der Polarregion und deren unmittelbarer Umgebung: Die russische Föderation besteht gut zur Hälfte aus Permafrostboden, in Alaska, Kanada, Grönland oder China sind es ebenfalls große Teile. Aber auch in Skandinavien gibt es Permafrost – und in Deutschland auf der Zugspitze. In der südlichen Hemisphäre können dagegen nur einige eisfreie Oasen rund um die Antarktis mit permanent gefrorenem Boden aufwarten.

Heute ist klar, dass Permafrost eine entscheidende Rolle im Klimawandel spielt – und Hans-Wolfgang Hubberten hat maßgeblich daran mitgewirkt, das herauszufinden. Entsprechend groß ist die Bedeutung, die das Forschungsgebiet in den vergangenen beiden Jahrzehnten gewonnen hat. Auch wegen dieser Relevanz lässt das Thema Hubberten nicht los, obwohl er eigentlich schon im Ruhestand ist und nur noch einen Vertrag über wenige Stunden pro Woche hat.

(K)Ein besonderer Reiz

Als Hubberten sich 1992 auf die Forschung an Permafrost einließ, hatte er schon ein halbes Wissenschaftlerleben als Geochemiker hinter sich – und stürzte sich auf ein Thema, das für viele Kollegen keinen besonderen Reiz versprühte. Was sollte man schon Spannendes in dauergefrorenem Boden finden? Das war die übliche Skepsis damals. Doch Hubberten ahnte, dass da mehr sein musste. „Anfangs, als wir das Institut in Potsdam aufgebaut haben, hatten wir noch so eine Art Sammler- und Jäger-Mentalität“, erzählt er.

„Da lief vieles eher zufällig. Wir haben einfach mit den Fachrichtungen angefangen, die wir noch aus DDR-Zeiten am Institut hatten.“ Damals sei es erst einmal darum gegangen, wie der Permafrostboden überhaupt aufgebaut ist, wie er sich im Lauf der Jahrhunderte verändert hat, welche geologischen Entwicklungen an ihm abzulesen waren. „In den vergangenen 20 Jahren haben wir aber gesehen, dass da sehr viel passiert. Und dass die Änderungen große Auswirkungen auf den gesamten Globus haben.“

Der dauergefrorene Boden spielt für den Klimawandel eine bedeutende Rolle, weil in ihm große Mengen Kohlenstoff gespeichert sind. Der steckt in organischem Pflanzen- und Tiermaterial, das teils seit  Jahrtausenden im Permafrost eingefroren ist. Bislang ist es nicht verrottet, sondern noch sehr gut erhalten. Doch schon seit dem Ende der letzten kleinen Eiszeit vor 200 bis 250 Jahren zieht sich die Kälte im Boden zurück.

Taut der Boden, können Mikroben das organische Material abbauen. Dabei entstehen die Treibhausgase Methan und Kohlenstoffdioxid, die in die Atmosphäre wandern und so zur weiteren Erderwärmung beitragen. „Das ist das sogenannte Permafrost-Kohlenstoff-Feedback“, sagt Hubberten. „Kohlenstoff wird durch das Auftauen des Bodens freigesetzt. Die Atmosphäre erwärmt sich durch die vermehrten Treibhausgase schneller.

Der Boden taut tiefer und setzt mehr Kohlenstoff frei.“ Im Zusammenhang mit der Klimadiskussion spielt die Komponente Permafrost also eine entscheidende Rolle. „Das, was in der Arktis passiert, betrifft uns alle“, sagt Hubberten. „Es hat Einfluss auf das Gesamtklima der Welt.“

Das hat Hubberten gemeinsam mit vielen Kollegen bei seinen jahrzehntelangen Forschungen herausgefunden, wenn sie sich in hüfthohen Gummistiefeln durch den Matsch gruben. In den Permafrostgebieten haben sie Bodenproben genommen, Küstenlinien vermessen, Luft- und Wassertemperaturen notiert. Der Abgleich ihrer Daten mit alten Luftaufnahmen zum Beispiel hat ergeben, dass die Erosion der Küsten in diesen Regionen rapide fortschreitet. „In Kanada und Russland hat sich die südliche Permafrostgrenze um bis zu 100 Kilometer zurückgezogen“, sagt Hubberten, der im Juni 2015 als erstes ausländisches Mitglied in die Akademie der Wissenschaften der russischen Republik Sacha aufgenommen wurde.

Sein Kollege Guido Grosse nennt konkrete Zahlen. Sie zeigen eine erschreckende Dimension: „Wir vermuten, dass allein in den oberen Bereichen des Permafrosts 1500 Gigatonnen Kohlenstoff gespeichert sind, die in die Atmosphäre freigesetzt werden könnten“, sagt er mit Verweis auf Hochrechnungen auf Grundlage der Bodenproben und anderer Messungen. „In der Atmosphäre haben wir bislang etwa 800 Gigatonnen. Im Permafrost schlummert also viel Potenzial für ein Katastrophenszenario.“

Viele lokale Folgen

Das Auftauen des gesamten Permafrosts als Klimabombe halten die beiden Forscher jedoch nicht für sehr wahrscheinlich. Dennoch sei das Problem ernst. Man könne schließlich keinen Treibhausgas-Filter auf die gesamte Region setzen. Wenn der Auftauprozess schon nicht aufzuhalten sei, so lasse er sich zumindest steuern, sagt Grosse. Denn den Hauptanteil aller Klimagase machten immer noch die menschgemachten Emissionen aus – und je geringer diese seien, desto geringer sei auch das Auftauen des Permafrosts.

Neben den langfristigen Effekten für den Klimawandel hat auftauender Permafrostboden auch viele unmittelbare lokale Folgen, die weltweit mehrere Millionen Menschen betreffen können. Häuser, Schulen, Straßen, Flughäfen oder Pipelines sind auf dem gefrorenen Boden gebaut, und wenn er auftaut, droht ihnen ein ernsthaftes statisches Problem. Mitunter müssen ganze Dörfer umgesiedelt werden, so wie es in Kanada und Alaska wegen zunehmender Küstenerosion bereits geschehen ist.

Guido Grosse ist Festgesteinsgeologe und hatte im Studium nichts mit der Permafrost-Forschung zu tun. Doch auch er hat sich mit der Begeisterung dafür schnell infiziert. Bei seiner Diplomarbeit im Jahr 1999 kam er mit dem Thema in Berührung, als er an einer Sibirien-Expedition teilnahm. „Davon war ich so angetan, dass ich meine anschließende Doktorarbeit zum Thema Landschaftsdynamik in Sibirien hier am AWI geschrieben habe“, erzählt er. „Als Postdoc bin ich dann 2006 an die Uni Fairbanks nach Alaska gegangen, habe also in einer Permafrostregion gelebt. Das war ursprünglich für zwei Jahre geplant, aber dann wurden sieben daraus, weil die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit vielen Arktis-Spitzenforschern dort so toll war.“ 2013 ist er mit einer Forschungsförderung des Europäischen Forschungsrats, einem ERC Starting Grant, zurück nach Deutschland gekommen. „Das war eine einzigartige Möglichkeit, eine eigene Forschungsgruppe in Europa aufzubauen“, sagt Grosse. Jetzt ist er zum Nachfolger von Hans-Wolfgang Hubberten berufen worden.

In ihrer aktuellen Forschung untersuchen die AWI-Wissenschaftler unter anderem, wie die Kohlenstoffdynamik in den Permafrostregionen aussieht. Dabei geht es vor allem um die Menge des Kohlenstoffs, aber auch um die Frage, wie einfach er von Mikroben um- und freigesetzt werden kann. Die weitere wichtige Frage lautet: Wie beeinflusst die tauende Landschaft die Kohlenstoffdynamik? „Wir schauen uns etwa in Satellitendaten und auf Luftbildern an, wie schnell sich Landschaften verändern, wie schnell damit also auch Kohlenstoff in verschiedenen Regionen freigesetzt wird“, sagt Grosse.

Wichtiger Erfahrungsschatz

Sein Erfahrungsschatz aus den USA ist für die Permafrost-Forschung in Potsdam auch in Zukunft wichtig. „Alles, was in der Forschung relevant ist, haben wir dann hier gut vertreten und werden international weiterhin zu den Spitzenforschungseinrichtungen gehören“, meint Hubberten. Man sei dann „richtig rund“ aufgestellt mit der Erforschung der Permafrost-Geschichte, der Hydrologie, der Landschaftsveränderung, der Küsten- und Kohlenstoffdynamik sowie der Treibhausgasproblematik. So könne man auch künftig mit den großen Playern auf diesem Gebiet, mit der Uni Fairbanks, der Lomonossov-Uni in Moskau, den Unis in Jakutsk, Stockholm, Oslo und Unis in Kanada die Forschung anführen.

Die Erkenntnisse aus der Permafrost-Forschung sind nicht bloß von wissenschaftlichem Interesse, sondern haben unmittelbaren Wert für die Menschen in den betroffenen Gebieten. Ganze Datenkataloge sind schon entstanden. „So können etwa Bürgermeister in Küstenregionen sehen, wie weit ihre Gemeinden von diesen Veränderungen betroffen sind“, sagt Hans-Wolfgang Hubberten. „Und sie können für eventuelle Umsiedlungen Schlüsse ziehen.“

Viele Pläne für die Zukunft

Ganz loslassen kann er vom dauergefrorenen Boden und von der Sektion Periglazialforschung am Potsdamer Standort des AWI, die er lange geleitet hat, aber nicht. Das zeigt die bevorstehende Permafrost-Konferenz in Potsdam, zu der sich Wissenschaftler aus aller Welt angemeldet haben.

Er wird zudem in verschiedensten Gesellschaften aktiv sein, etwa als stellvertretender Vorsitzender der Polargesellschaft. Auch in der Betreuung der deutsch-russischen-Partnerschaft wird er weiterhin seine jahrelange Erfahrung einbringen, und gelegentlich will er in die Forschungsregionen reisen. Wenn Hans-Wolfgang Hubberten anfängt, davon zu erzählen, dann ist da wieder dieses Funkeln in seinen Augen, das unmissverständlich zeigt: Er hat noch einiges vor.

Hinweis:
Dieser Text stammt von Roland Koch und wurde zuerst in den Helmholtz Perspektiven veröffentlicht (Nr. 03, Mai-Juni 2016). Die gesamte Ausgabe können Sie sich kostenlos auf der Website der Helmholtz-Gemeinschaft herunterladen.