Interview zum CBD-Report

„Die Ozeanversauerung ist der böse kleine Bruder der Klimaerwärmung“

Seit fünf Jahren untersucht Dr. Felix Mark vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung wie sich die Ozeanversauerung auf Fische und andere Meeresbewohner auswirkt. Für den zweiten Bericht der Convention on Biological Diversity (CBD) zur Versauerung der Meere hat er gemeinsam mit Kollegen aus aller Welt das aktuelle Wissen zusammengetragen. Was die Wissenschaft über die letzten Jahre erreicht hat und was sie in den kommenden Jahren noch erforschen muss, erzählt der Ökophysiologe im Interview.

Herr Mark, beim ersten CBD-Report zur Ozeanversauerung vor fünf Jahren steckte die Forschung noch in den Kinderschuhen - Welche Fortschritte hat sie seitdem gemacht?

Die vergangenen fünf Jahre waren sicherlich die ausschlaggebenden für die Ozeanversauerungsforschung. Vorher hatten einige Wissenschaftler noch recht grobe Aspekte wie Kalzifizierung und Wachstum erforscht und das mit sehr hohen Kohlendioxid-Konzentrationen von 3000 ppm und mehr, also fast dem zehnfachen Wert der heutigen Konzentration. Erst in den letzten Jahren haben wir angefangen, mit relevanten Kohlendioxid-Konzentrationen, die wir bis zu den Jahren 2100 und 2200 erwarten, zu arbeiten. Wir haben verschiedene Lebensstadien von Tieren wie Fischen und Krebsen angeschaut und die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Arten untersucht, so dass wir beginnen zu verstehen, wie einzelne Arten unter dem Einfluss von Ozeanversauerung interagieren; welche Folgen es hat, wenn eine Art aus dem Nahrungsnetz verschwindet und ob sich Tiere über mehrere Generationen anpassen können.

 

Ozeanversauerung ist nur ein Faktor, der den Lebensraum Meer verändert. Wie können Wissenschaftler seinen Einfluss von den anderen Faktoren wie Temperaturanstieg oder Sauerstoffmangel unterscheiden?

Ozeanversauerung, Temperaturanstieg, Sauerstoffmangel und die Verschmutzung der Meere – das sind natürlich alles Faktoren, die sich gegenseitig verstärken oder abschwächen und sich gemeinsam auf ein Ökosystem auswirken.

Hohe Temperaturen bedingen beispielsweise, dass der Sauerstoffgehalt des Wassers sinkt. Weiterhin haben wechselwarme Organismen im warmen Wasser höhere Stoffwechselraten, wodurch der Sauerstoffgehalt weiter sinkt und den Kohlendioxidgehalt steigen lässt. Hier verbinden sich also drei Faktoren, die wir so gar nicht einzeln betrachten können – die gemeinsam sicherlich auch ein anderes Bild ergeben, als einzeln betrachtet.

Als Wissenschaftler sind wir aber daran interessiert, sagen zu können, welcher Faktor sich wie auswirkt. Deshalb ist die erste Herangehensweise, dass man sie zunächst einzeln beobachtet. Das haben wir in den vergangenen Jahren getan. Im nächsten Schritt werden wir versuchen, die verschiedenen Faktoren zu kombinieren, um zu beobachten, welche Synergien es zwischen ihnen gibt. Führt immer alles zu einer Verschlimmerung oder gleichen sich bestimmte Faktoren wieder aus?

 

Im Labor können immer nur einzelne Arten untersucht werden. Wie können Wissenschaftler daraus das Gesamtbild konstruieren und so abschätzen, wie der Ozean als Ganzes auf die Ozeanversauerung reagieren wird?

Das ist eine der großen Fragen: Wie kann ich von einer Art auf eine Gemeinschaft schließen? Oder anders gefragt: Wie viele Einzelarten eines Ökosystems muss ich untersuchen, um eine Aussage über das gesamte System machen zu können? Wir können sicherlich nicht 50 Prozent oder auch nur 30 Prozent der Arten eines Ökosystems in Versuchen beobachten. Deshalb werden wir in den nächsten Jahren viel mit Modellen arbeiten müssen, die auf den Erfahrungen und auf den Ergebnissen aufbauen, die wir jetzt haben. So können wir versuchen, ein Gesamtbild zu erzeugen.

Zur Person

Felix Christopher Mark

Ökophysiologe Dr. Felix Mark war Co-Autor des zweiten Ozeanversauerungsberichtes der Biodiversitäts-Konvention (CBD), der im Oktober 2014 erschienen ist. Er ist auch Leiter des Konsortiums "Auswirkungen der Ozeanversauerung in einem sich erwärmenden Klima auf Interaktionen zwischen den Arten an den Verteilungsgrenzen: Mechanismen und Konsequenzen auf Ökosystem-Ebene" des nationalen Forschungsprogramms BIOACID II.

Ein gesundes Korallenriff vor der Küste Thailands

CBD Technical Series 75

CBD-Report zur Ozeanversauerung

Der aktuelle Stand des Wissens zur Ozeanversauerung zusammengetragen

Veränderungen der Meerwasserchemie

Diese Animation zeigt wie sich die Chemie des Meerwassers über einen Zeitraum von knapp 350 Jahren mit dem Anstieg des Kohlendioxidgehalts in der Atmosphäre verändert hat und voraussichtlich verändern wird. Die Bilder verdeutlichen, dass das gesamte Südpolarmeer südlich des 60. Breitengrades und Teile des nördlichen Pazifiks korrosiv werden, d. h. Aragonit untersättigt sind. Aragonit ist jedoch ein wichtiger Baustoff für viele Meeresbewohner, die Schalen aus Kalk bauen.

Animation: NOAA Science On a Sphere (SOS)®

Die Frage wie das Ökosystem Ozean als Ganzes auf die Ozeanversauerung reagieren wird, kann also noch nicht final beantwortet werden. Wirft der aktuelle CBD-Report zur Ozeanversauerung weitere Wissenslücken auf?

Beobachtungen zeigen, dass die aktuelle Ozeanversauerung und -erwärmung deutlich schneller ablaufen als dies bisher in der Erdgeschichte der Fall gewesen ist. Die Frage ist deshalb, ob die Tiere mit dieser Geschwindigkeit mithalten und sich schnell genug anpassen können. Bisher haben wir die Kurzzeit-Anpassungsmöglichkeit mariner Organismen untersucht. Worauf es jetzt ankommt, sind die Langzeitanpassungen.

Wir wollen verstehen, wie und ob sich die Tiere über evolutionäre Prozesse anpassen können – und das wird richtig schwierig.

Wir können nicht einfach zehn Generationen einer beliebigen Art unter Laborbedingungen beobachten, um zu untersuchen, was sich von Generation zu Generation verändert. Dazu pflanzt sich der Kabeljau beispielsweise zu langsam fort. Das heißt, wir müssen eine Handvoll Lebewesen auswählen, die sich schnell vermehren und diese als Modellorganismen behandeln.

Wir können uns aber auch verschiedene Populationen anschauen: Wir vergleichen zum Beispiel eine Kabeljau-Population aus der südlichen Nordsee, also aus dem wärmsten Verbreitungsgebiet der Art, mit einer Population aus dem nördlichen Atlantik, aus den Fjorden Spitzbergens und der Barentssee. Das sind zwei extreme Populationen, die sich über evolutionäre Zeitskalen an die jeweiligen Lebensbedingungen angepasst haben. Wenn wir dabei die Unterschiede ihrer Physiologie, also beispielsweise ihre Stoffwechselraten und verschiedene Fitnessfaktoren wie ihre Schwimmleistung, untersuchen, können wir im Prinzip versuchen, Rückschlüsse darauf zu ziehen, wie sich die Populationen weiterentwickelt haben.

Welche nächsten Schritte in der Ozeanversauerungsforschung ergeben sich dadurch für die Wissenschaftler am Alfred-Wegener-Institut?

Momentan sind wir dabei, die einzelnen, verfügbaren Ergebnisse so aufzubereiten, dass sie in Ökosystem-Modelle eingesetzt werden können. Dabei stellt sich für uns die Frage, was das beste Modell ist. Auf der einen Seite müssen Modelle möglichst einfach sein, damit sie gut funktionieren. Denn je mehr Stellschrauben sie haben, desto komplexer werden sie und desto größer ist natürlich die Abweichung eines Ergebnisses, wenn man irgendwo eine Stellschraube falsch gestellt hat. Auf der anderen Seite muss ein Modell auch komplex genug sein, um wirklich eine verlässliche Aussage für die Zukunft treffen zu können. Es geht also darum, die wenigen wichtigen Stellschrauben zu identifizieren, die ein Modell unbedingt beinhalten muss.

Welche Fortschritte erwarten Sie in der Ozeanversauerungsforschung in den nächsten fünf Jahren?

In den nächsten fünf Jahren werden wir sicherlich nicht denselben Wissenssprung machen, den wir über die vergangenen fünf Jahre geschafft haben. Ich hoffe, dass wir mehr dazu sagen können wie Ökosysteme auf sinkende pH-Werte reagieren werden. Dafür werden wir die Ergebnisse, die wir für Einzelarten haben, zusammenfassen, um so ein vollständigeres Bild zu bekommen.

Wir werden auch einen realistischeren Blick auf die Sachlage haben, da wir unseren Fokus nicht mehr nur auf bestimmte, besonders empfindliche Arten richten. Dadurch ist in der Vergangenheit oft der Eindruck entstanden, dass die Ozeanversauerung dramatische Auswirkungen haben wird. Das ist aber sicherlich nicht für alle Arten der Fall.

Die Ozeanversauerung wurde häufig als böser Zwilling der Klimaerwärmung bezeichnet. Haben die aktuellen Erkenntnisse ihr diesen Schrecken wieder genommen?

Die Ozeanversauerung ist eher der böse kleine Bruder der Klimaerwärmung. Denn in unseren Untersuchungen zeichnet sich ab, dass die steigende Temperatur gravierendere Folgen hat. Die Ozeanversauerung ist somit ein zusätzlicher Effekt. Sie verschlimmert die Folgen der Erwärmung in den meisten Fällen, aber nicht immer.

Allerdings kann sich saureres Wasser auch auf eine ganz andere Art und Weise auf Tiere auswirken als wärmeres Wasser: Es kann beispielsweise das Verhalten eines Lebewesens verändern.

Eine wichtige Frage am Ende des vorhergehenden CBD-Reports zur Ozeanversauerung war die Bestimmung von so genannten Tipping Points – konnte die Forschung diese bisher definieren?

Tipping points, oder Sensitivity Levels wie wir sie auch nennen, sind unheimlich schwer zu formulieren, weil sie sehr stark artenabhängig sind und zwischen den einzelnen Lebensstadien divergieren. Es gibt eine gewisse Grenze, beispielsweise um 1500 ppm, wo sich bestimmte Effekte umkehren. Hierzu gibt es ein bekanntes Phänomen aus der Fischzucht: Wenn der pH-Wert ein bisschen sinkt, wachsen die Fische deutlich besser.

Das haben wir auch bei Laborversuchen mit dem Atlantischen Kabeljau festgestellt. Bei Fischen, die wir bei einer Kohlendioxid-Konzentration von circa 1000 ppm gehalten haben, also bei dem doppelten bis dreifachen Wert im Vergleich zu heute, wirkt sich der sinkende pH-Wert noch stimulierend auf ihr Wachstum aus. Dieser Effekt dreht sich um, wenn wir mit Konzentrationen um 2000 ppm arbeiten. Dann hören die Tiere plötzlich auf zu wachsen. Das heißt irgendwo zwischen diesen Konzentrationen liegt der Schwellenwert. Hier wird eine Grenze erreicht, ab der sich der Organismus nicht mehr anpassen kann und diese liegt vermutlich irgendwo bei einem pH-Wert zwischen 7,8 und 7,6. Für Ei- und Larvenstadien derselben Art aber können diese Grenzen viel früher erreicht sein. Und es gibt genügend weitere Ausnahmen. Einige Seeigelarten zum Beispiel sind unglaublich empfindlich und ihr Tipping Point liegt viel niedriger.

Und schließlich stellt sich die Frage, wo liegt der Tipping Point eines Ökosystems? Bis zu welchem Punkt kann sich ein Ökosystem daran anpassen, dass einige Arten verschwinden und andere sich ausbreiten? Und ab welchem Punkt ist ein Ökosystem nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen worden?

Ohne einen bestimmten Wert nennen zu können – denken Sie, dass der Ozean an einen Punkt kommen wird, an dem sich sein Ökosystem grundlegend verändern wird?

Nach dem was wir momentan beobachten, sieht es danach aus, dass wir auf tiefgreifende Veränderungen zusteuern. Die Frage ist also eigentlich nicht mehr ob, sondern wann wir diesen Schwellenwert erreichen. Dabei ist der Zeitfaktor unglaublich wichtig, denn je länger die Organismen Zeit haben, sich anzupassen, desto weniger wird vermutlich im Endeffekt passieren. Allmähliche Verschiebungen im Ökosystem sind leichter zu verkraften als abrupte Änderungen.

Wir sind uns aber auch bewusst darüber, dass sich einige Meeresregionen stärker verändern werden als andere. In jenen Ökosystemen, in denen Schlüsselarten empfindlich reagieren, werden die Folgen natürlich dramatisch sein. Der Polardorsch ist zum Beispiel eine Schlüsselart für das arktische Ökosystem und unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass er relativ empfindlich auf die neuen Lebensbedingungen reagiert. In der Arktis kann sich somit das Gefüge des Ökosystems erheblich verschieben.

 

Das Interview führte Kristina Bär.