Interview: Ozeanversauerung und Fische

Schwimmen im saureren Wasser

Wissenschaftler vermuten, dass die Ozeanversauerung vor allem kalkbildende Lebewesen wie Korallen und Muscheln gefährdet. Doch wie ergeht es eigentlich den Fischen, die in einem immer saurer werdenden Ozean schwimmen? Mit dieser Frage beschäftigen sich Wissenschaftler derzeit im Rahmen des nationalen Forschungsprogramms zur Ozeanversauerung, BIOACID II. Zu der Forschungsgruppe gehört auch Dr. Felix Mark, Physiologe am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. Er erforscht konkret, wie sich die Ozeanversauerung auf den Kabeljau auswirkt – ein relativ neuer Forschungsansatz. Denn lange gingen Wissenschaftler davon aus, dass Fische nur wenig von der derzeitigen Ozeanversauerung betroffen sind. Im Interview erklärt der Physiologe, warum auch Fische empfindlich auf den sinkenden pH-Wert der Ozeane reagieren und wie er das untersucht.

Herr Dr. Mark, warum haben Wissenschaftler bisher kaum untersucht, wie Fische auf saureres Meerwasser reagieren?

Fische sind, abgesehen von den Säugetieren, die am höchsten entwickelten Meeresbewohner. Ihr Körper verfügt über komplexe Mechanismen, die es ihnen erlauben, sich an schwankende Temperaturen und wechselnde Kohlendioxidkonzentrationen im Wasser anzupassen. Kohlendioxid löst sich im Meerwasser und in Körperflüssigkeiten als Kohlensäure und führt so zu einer Ansäuerung, also einer Absenkung des pH-Wertes in der Flüssigkeit. Diese Ansäuerung muss dann ausgeglichen werden, um die Körperfunktionen stabil zu halten. Dabei spielt ihr Blut eine wichtige Rolle. Es dient sozusagen als Puffer zwischen der Außenwelt und dem Innenleben. Denn dank der Pufferkapazität kann der Fisch die größere Menge an Kohlendioxid aufnehmen und neutralisieren, ohne dass sich der pH-Wert seines Blutes verändert. Diesen Effekt haben Wissenschaftler in der Vergangenheit ausführlich untersucht und dabei festgestellt, dass Fische innerhalb von wenigen Stunden einen niedrigeren pH-Wert ausgleichen können. Deshalb sind sie davon ausgegangen, dass Fische, neben den Meeressäugetieren, am wenigsten von der Ozeanversauerung betroffen sind.  

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Kabeljau und Polardorsch im Stress

Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes wollen wissen, wie steigende Temperaturen und die Ozeanversauerung das Leben im Hohen Norden verändern. In den Gewässern um Spitzbergen sind die Biologen auf der Suche nach zwei Fischarten: dem Atlantischen Kabeljau und dem Polardorsch. Ihr Ziel ist es, zum einen die Verbreitung von Polardorschen und Kabeljauen zu untersuchen. Zum anderen wollen sie die lebenden Fische nach Bremerhaven bringen. Denn im Labor können die Wissenschaftler feststellen, wie die beiden verwandten Fischarten auf den sinkenden pH-Wert der arktischen Gewässer reagieren.

Weshalb glauben Forscher jetzt, dass Fische doch empfindlicher auf die Ozeanversauerung reagieren, als sie es bisher angenommen haben?

In den meisten Forschungsarbeiten, ich würde sagen in 90 bis 95 Prozent der Studien, haben Wissenschaftler bisher ausgewachsene, paarungsbereite Fische untersucht und sich dabei auf den allgemeinen Stoffwechsel und die Pufferkapazität des Blutes konzentriert. Dabei haben sie wenige Anhaltspunkte gefunden, die darauf schließen lassen, dass Fische empfindlich auf die Ozeanversauerung reagieren. Es gibt allerdings einige Versuche, bei denen Wissenschaftler sozusagen tiefer in den Stoffwechsel der Tiere vorgedrungen sind. Sie haben sich angeschaut, was eigentlich in der Zelle passiert, wenn der Kohlenstoffgehalt des Blutes ansteigt. Dazu haben sie auch beobachtet, wie Fische in den verschiedenen Lebensstadien auf einen niedrigeren pH-Wert reagieren. Bei diesen Versuchen konnte gezeigt werden, dass speziell junge Fische und Fischlarven empfindlich sind. Sie haben noch nicht alle Mechanismen entwickelt, um mit dem erhöhten Kohlendioxidgehalt zurechtzukommen. Deshalb vermuten wir, dass bei einer größeren Kohlendioxidkonzentration mehr Fische in den sehr frühen Lebensstadien Probleme bekommen werden.

 

Reagieren verschiedene Fischarten unterschiedlich auf die Ozeanversauerung?

Ja, definitiv. Es kommt darauf an, wie gut eine Art mit schwankenden Umweltbedingungen, wie wechselnden Wassertemperaturen und niedrigeren pH-Werten umgehen kann. Nehmen wir die Nordsee-Scholle als Beispiel: Die Scholle ist daran gewöhnt, dass sich der Kohlendioxidgehalt im Wattenmeer im Tages- und Jahresverlauf verändert. Sie hat sich an diese Schwankungen angepasst, indem ihr Körper Mechanismen entwickelt hat, um höhere und niedrigere Kohlendioxidkonzentrationen auszugleichen. Im Gegensatz dazu stehen polare Fische, die an sehr stabile Temperaturen und Kohlendioxidkonzentrationen gewöhnt sind. Bei diesen Fischen haben wir immer wieder festgestellt, dass sie sich nicht so gut an wechselnde Umweltbedingungen anpassen können. Sie verfügen zwar über dieselben Mechanismen wie die Scholle, haben diese Eigenschaften aber nie weiter ausgeprägt. Aus dem einfachen Grund, weil sie die Umweltbedingungen dazu nie gezwungen haben. Es kostet nämlich sehr viel Energie diese Mechanismen anzupassen und polare Fische versuchen, wo es nur möglich ist, Energie zu sparen. Denn sie benötigen ihre Energie, um den kalten Temperaturen zu trotzen.  

 

Die Ozeanversauerung wird oft als „evil twin“ der Klimaerwärmung bezeichnet. Können sich beide Phänomene in ihren Auswirkungen auf die Fische auch verstärken?

Auf jeden Fall. Fische sind wechselwarme Lebewesen. Das heißt, das Meerwasser bestimmt ihre Körpertemperatur. Da auch Stoffwechselprozesse, wie die Atmung, temperaturgesteuert sind, erhöhen sich bei wärmeren Temperaturen auch die Stoffwechselraten – als sichtbare Folge davon steigt beispielsweise die Atemfrequenz. Damit erhöhen sich natürlich auch der Energie- und der Sauerstoffbedarf, so dass der Körper mehr Sauerstoff aufnehmen muss. Irgendwann kommt der Stoffwechsel an seine Grenze und kann nicht mehr genug Energie und Sauerstoff bereitstellen. In diesem Moment ist natürlich die Überlebensgrenze für ein Tier erst einmal gesetzt. Wenn jetzt ein Faktor wie die Ozeanversauerung dazukommt, dann muss der Fisch zusätzlich den niedrigeren pH-Wert ausgleichen. Auch das kostet Energie. Die Ozeanversauerung löst beim Fisch dadurch zusätzlich Stress aus, was dazu führt, dass das Tier früher an seine körperlichen Grenzen gelangt.

Vom Ei zum ausgewachsenen Fisch

Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sich die Ozeanversauerung wohl vor allem in den frühen Lebensstadien auf die Fische auswirkt.

Kann die Ozeanversauerung denn dazu führen, dass sich eine Spezies gegen eine andere durchsetzt?

Das untersuchen wir gerade an zwei Kabeljauarten: am Atlantischen Kabeljau und am Polardorsch. Von denen ist der eine, der Atlantische Kabeljau, ein Generalist. Er lebt sowohl in der Nordsee, rund um Island und in der Barentssee, als auch entlang der Ost- und Nordküste Nordamerikas. Er verträgt Wassertemperaturen zwischen null Grad und 20 Grad Celsius und reagiert vermutlich auch nicht so empfindlich auf niedrigere pH-Werte im Meer. Der Polardorsch dagegen kommt nur in der Arktis bei Wassertemperaturen um null bis vier Grad Celsius vor und wird deshalb vermutlich eher Schwierigkeiten bekommen, mit erhöhten Temperaturen und Kohlendioxidkonzentrationen im Wasser umzugehen. Mit steigenden Wassertemperaturen schwimmt der Atlantische Kabeljau immer weiter in den Norden und damit in den Lebensraum des polaren Kabeljaus. Wir vermuten, dass beide Arten dieselbe Beute jagen und somit in einem Nahrungs-Wettstreit stehen. Und wenn der Polardorsch beispielsweise durch steigende Wassertemperaturen geschwächt ist, dann kann es sicherlich sein, dass der Atlantische Kabeljau die Oberhand gewinnt und sich auf Kosten seines arktischen Artgenossen ausbreitet.  

Wie stellen Sie fest, ob und wie sich die Ozeanversauerung auf den Kabeljau auswirkt?

Wir schauen uns zunächst den ganzen Fisch an: Verändert sich seine Stoffwechselrate bei einem niedrigeren pH-Wert? Schwimmt er im saureren und wärmeren Wasser schneller oder langsamer? Dazu machen wir mit dem Fisch eine Art Fitnesstest in unserem Strömungskanal in Bremerhaven. Der Fisch befindet sich in einer Kammer und muss gegen einen Wasserstrom anschwimmen. Indem wir die Strömungsgeschwindigkeit langsam steigern, können wir seine Stoffwechselrate und optimale Schwimmgeschwindigkeit messen. Das ist ganz ähnlich wie bei uns: Wenn wir rennen, brauchen wir auch mehr Energie und das spiegelt sich in einer erhöhten Stoffwechselrate wider. Wie beim Menschen auf dem Laufband können wir bei einem Fisch im Strömungskanal auch messen, wann er die maximale Geschwindigkeit erreicht. So können wir untersuchen, ob die Leistungsgrenze an verschiedenen Temperaturen und Kohlendioxidkonzentrationen im Wasser gebunden ist. Diese Messungen sind ein Beispiel dafür, wie wir einen Fisch auf der so genannten Ganztierebene untersuchen. Aber wir können auch analysieren, was beispielsweise im Erbgut, also in der DNA, des Fisches passiert. Denn wir wollen letztendlich ein Gesamtbild schaffen, von den Abläufen in der Zelle bis hin zur Ganztierebene. Nur so können wir verstehen, wie ein Fisch darauf reagiert, wenn das Wasser wärmer und saurer wird.

Wie übertragen Sie diese Laborergebnisse dann auf das reale Ökosystem?

Natürlich können wir im Labor nicht alle Umweltbedingungen so nachstellen, wie sie im Ökosystem vorkommen. Aber wir können die Auswirkungen einzelner Bedingungen nacheinander testen. Zum Beispiel können wir zuerst untersuchen, wie ein Fisch auf wärmeres Wasser reagiert und wie auf saureres. Anschließend testen wir dann, wie beide Faktoren, also Erwärmung und Versauerung, zusammen auf den Fisch einwirken. Wir können sogar noch weiter gehen, indem wir nicht nur eine Art betrachten, sondern so viele Arten wie möglich. Dem sind allerdings auch enge Grenzen gesetzt, weil wir ja nicht das komplette Ökosystem im Aquarium halten und nicht mit jedem einzelnen Lebewesen arbeiten können. Deshalb wählen wir bestimmte Arten aus, die zum Beispiel gemeinsam eine Nahrungskette oder den Teil einer Nahrungskette bilden. Denn es könnte natürlich sein, dass eine Fischart sich an die Ozeanversauerung anpassen kann, dafür jedoch ihre Hauptbeute besonders gefährdet ist. Je mehr Faktoren wir berücksichtigen, umso bessere Hinweise können wir geben, was im Ökosystem passiert.  

 

Inwieweit arbeiten Wissenschaftler und Vertreter der Politik und Wirtschaft zusammen, um gegen die Ozeanversauerung vorzugehen?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten für Wissenschaftler national und international politisch Einfluss zu nehmen. National sind das die so genannten Enquete-Kommissionen des Bundestages, die zum Teil mit Wissenschaftlern besetzt sind. Dort legen Politiker beispielsweise Fangquoten und Umweltschutzzonen fest. Beteiligen sich Wissenschaftler an der politischen Arbeit, steigt die Wahrnehmung der wissenschaftlichen Arbeit. Das kann dann auch dazu führen, dass Ministerien weitere Forschungsprojekte ermöglichen. So unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung unser nationales Forschungsprogramm zur Ozeanversauerung, BIOACID II, bereits in der zweiten Finanzierungsperiode. Das ist sicherlich auch ein Hinweis dafür, dass wir zum einen gute Daten generieren und zum anderen, dass diese Daten auch gebraucht werden.  


Das Interview führte Kristina Bär.

Wie könnte sich die Ozeanversauerung auf die Fischerei auswirken?

Die Ozeanerwärmung hat dazu geführt, dass sich die Kabeljaubestände verlagert haben und aus der Nordsee verschwunden sind. Vor Grönland und Neufundland beginnen sich die Bestände langsam zu erholen, das verdanken sie der strikten Quotierung der Fangmengen, aber auch einer leichten Erwärmung der dortigen Gewässer. Das wird sich in Zukunft möglicherweise positiv auf die Kabeljau-Fischerei auswirken. Ob die Auswirkungen auch für das Ökosystem gut sind, ist momentan noch schwierig zu sagen. Deshalb forschen wir derzeit daran, wie sich das Zusammenspiel von Ozeanerwärmung und –versauerung auf die Bestände des polaren und des Atlantischen Kabeljaus auswirkt. An diesen Daten ist dann auch die Fischerei interessiert. Denn sie will schließlich abschätzen, wie sich die Erträge in den nächsten Jahrzehnten entwickeln werden.