Eiskernbohrung auf Grönland erreicht Grundgestein

Internationales EGRIP-Forschungsteam erbohrt Klimaarchiv aus Gletschereis bis in 2670 Meter Tiefe
[04. August 2023] 

Ein internationales Team von Eiskernforschern hat bei seiner Bohrung durch 2670 m dickes Eis im EGRIP-Camp auf dem nordgrönländischen Inlandeis das Grundgestein erreicht. Dies ist das erste Mal, das Forschende einen tiefen Eiskern durch einen Eisstrom erbohrt haben. Das EGRIP (East Greenland Ice core Project) wird geleitet vom dänischen Centre for Ice and Climate am Niels-Bohr-Institut der Universität Kopenhagen, in den vergangenen sieben Jahren haben viele Forschende des Alfred-Wegener-Instituts-Instituts an der Bohrung teilgenommen.

Die ersten Ergebnisse, von denen das Team noch aus Grönland berichtet, sind außergewöhnlich: Der Eisstrom fließt wie ein Fluss aus Eis, der sich vom umgebenden, langsam fließenden Eisschild losreißt. Es konnte festgestellt werden, dass die gesamte Eismasse von 2670 Metern Dicke wie ein sich dehnender Block mit einer Geschwindigkeit von 58 Metern pro Jahr fließt. Der Eisblock bewegt sich dabei auf einer Schicht aus nassem Schlamm, die wie eine Treibsandschicht wirken muss, die es dem Eisblock ermöglicht, über den Fels zu fließen. In der Nähe des Eisbodens fand das Team Felsen und Sand, die in das Eis eingebettet sind. Das Eis selbst ist in der Nähe der Basis mehr als 120 000 Jahre alt und stammt aus der letzten warmen Zwischeneiszeit, als die Temperaturen über Grönland 5 Grad Celsius wärmer waren als heute. Die grönländischen Eisströme versorgen den Ozean mit Nährstoffen, die unter anderem für die Fischerei wichtig sind. Die Zukunft der Eisströme ist daher für Grönland von großer Bedeutung.

Geschichte des EGRIP-Projekts:

Die ersten Eiskerne wurden vor sieben Jahren, am 21. Juli 2016, gebohrt. Zwei der Feldsaisons in den Jahren 2020 und 2021 wurden aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt. Jetzt hat das Team die letzten etwa 250m Eis und dabei 4 Meter des Eiskerns mit einem Gesteinsbohrer gebohrt, da sich im Eis Kieselsteine befanden. Der allerletzte Kern wurde am 21. Juli 2023 gebohrt. Chefbohrer Steffen Bo Hansen vom Niels-Bohr-Institut der Universität Kopenhagen sagte: „Der Gesteinsbohrer blieb im Boden stecken und wir befürchteten, dass wir den letzten Kern und den Bohrer verlieren würden. Es war schwierig, den Bohrer freizubekommen, weil er im nassen Schlamm feststeckte. Wir haben erfolgreich durch den Eisstrom gebohrt und wir waren erstaunt, dass wir Schlamm unter dem Eis finden.“

Prof. Dr. Ilka Weikusat, Glaziologin am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) koordiniert den deutschen EGRIP Beitrag und war selber an der Bohrung beteiligt. Sie schildert: „Ich bin hellauf begeistert von dem gesamten Eiskern, aber auch von den wassergesättigten Sedimentschlammkernen, die der Ausgangspunkt für weitere Forschung sind: Warum entspringt der nordost-grönländischen Eisstrom ausgerechnet hier? Das Zusammenspiel von Wasser und Sediment als Schmiermittel am Untergrund scheint sich zu bestätigen. Weitere Beobachtungen und Überlegungen werden uns jetzt ermöglichen, das hydrologische System unter dem Eisschild zu verstehen. Wir bleiben also gespannt, vor allem auch auf die gesamte Dynamik des Systems: sich dehnender Eisblock und Scherung im Untergrund. Und wir bleiben gespannt auf das gewonnene Probenmaterial und weitere indirekte geophysikalische Daten um mehr Indizien und Beweise liefern zu können, wie solch eine Eisautobahn funktioniert.“

Das Wissen darüber, wie sich die grönländischen Eisströme bewegen, ist der Schlüssel zum Verständnis des künftigen Meeresspiegelanstiegs. Der Eisverlust des grönländischen Eisschilds trägt wesentlich zum Anstieg des Meeresspiegels bei und wird voraussichtlich noch zunehmen, wenn die Temperaturen über Grönland weiter steigen. Die Hälfte des Eisverlustes stammt von den Eisströmen und das Verhalten der Eisströme ist nicht genau bekannt. Die Ergebnisse des EGRIP-Eiskerns, der durch den nordostgrönländischen Eisstrom gebohrt wurde, werden daher die Genauigkeit der Vorhersagen des Meeresspiegelanstiegs verbessern.

Die Leiterin des Projekts, Dorthe Dahl-Jensen von der University of Manitoba und dem Niels-Bohr-Institut in Kopenhagen, sagte: „Ich freue mich sehr über diesen Erfolg. Ich habe das Fließen des Eises verfolgt, indem ich die Form des Bohrlochs über die Jahre hinweg mit einem Bohrlochlogger gemessen habe. Die Tatsache, dass das Eis wie ein Block auf Schlamm gleitet, wird die Modelle verändern und die Meeresspiegelvorhersagen verbessern. Die Messungen zeigen auch, dass das Eis tatsächlich an der Basis schmilzt.“

Der Eiskern selbst ist eine 120.000 Jahre lange Klimaaufzeichnung, die in Dutzenden von Labors auf der ganzen Welt analysiert wird. Die Qualität des Eiskerns ist hervorragend und wird das eiszeitliche Klima, die Warm- und Kaltzeiten während unserer gegenwärtigen Zwischeneiszeit der letzten 11.700 Jahre und die vom Menschen verursachten Veränderungen während der anthropogenen Periode dokumentieren. Die Eiskerne enthalten umfangreiche Informationen über vergangene Umweltbedingungen, die aus dem Eis selbst, aus Verunreinigungen im Eis und aus im Eis eingeschlossenen Luftblasen der früheren Atmosphäre mit ihrem Gehalt an Treibhausgasen gewonnen werden können.

Hintergrundinfos:

An dem internationalen EGRIP-Projekt sind zwölf Nationen beteiligt. Zu diesen Ländern gehören Dänemark, die USA, Deutschland, Japan, Norwegen, die Schweiz, China, Kanada, Frankreich, Südkorea, das Vereinigte Königreich und Schweden. Die Logistik wurde von der Universität Kopenhagen und der US National Science Foundation übernommen. Alle Nationen haben sich an der Feldarbeit und den Eiskernbohrungen beteiligt. 40 % der mehr als 600 Expeditionsteilnehmenden waren junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die im internationalen Umfeld von EGRIP ausgebildet wurden. Proben aus den Eiskernen wurden in mehr als 30 Labors analysiert. Informationen über das Projekt, die Veröffentlichungen und die Feldarbeit sind auf der Homepage eastgrip.org zu finden. Die EGRIP-Eiskerne werden im dänischen Eiskernlager zusammen mit den meisten grönländischen Tiefeneiskernen aufbewahrt.

 

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