PS106/2 - Wochenbericht Nr. 6 | 26. Juni - 2. Juli 2017

Woche 6: Von Spitzbergen in die arktische Tiefsee

[04. Juli 2017] 

Die letzte Woche begann für uns in der Eisrandzone östlich von Spitzbergen, von wo wir Kurs nach Norden in Richtung Arktische Tiefsee setzten. Die Eisrandzone war größtenteils von zerfallendem Meereis und größeren eisfreien Flächen bestimmt. Auf dieser Seite von Spitzbergen sahen wir eine weitaus größere Menge wilder Tiere, als auf der westlichen Seite. Eine große Anzahl an Vögeln kreist dauerhaft auf der Suche nach Fischen um das Schiff, die man während des Eisbrechens auf sich umdrehenden Eisschollen beobachten kann.

Während unser Warmblüter-Beobachtungsteam den Fokus auf eben jene charismatischen Tiere legt, messen andere Wissenschaftler kontinuierlich die Eigenschaften der Atmosphäre mit Hilfe einer Vielzahl an automatischen Sensoren. Im Rahmen der atmosphärischen Untersuchungen verwendet die Arbeitsgruppe für Fernerkundung vom TROPOS Institut ein 35GHz Wolkenradar, den OCEANET Container, inklusive des PollyXT LIDAR Systems, sowie ein Multikanal Mikrowellenradiometer. Auch werden neben Messungen lang- und kurzwelliger Strahlung zusätzlich meteorologische Messungen durchgeführt. Neben anderen Anwendungsmöglichkeiten stellen diese Beobachtungen einen Schlüsseldatensatz zur zweidimensionalen Auflösung physikalischer Prozesse in Wolken zum Vergleich mit hochauflösenden dynamischen Modellen dar.

Zur Untersuchung der lokalen Transferprozesse von marinen Substanzen in die Atmosphäre werden kontinuierlich Aerosole im TROPOS Aerosolcontainer auf dem Peildeck der Polarstern gesammelt. Dies erfolgt sowohl auf Digitel PM1 Quartzfaserfiltern, als auch größenaufgelöst über zwei fünfstufige BERNER-Impaktoren auf Aluminiumfolien. Diese Aerosolproben wurden für spätere chemische Analysen bei -20°C an Bord eingefroren.  Als potentielle Quelle dieser gesammelten Partikel werden sowohl offene Wasserstellen zwischen treibenden Eisschollen, als auch Schmelztümpel untersucht. Hierbei werden mit Glasplatten Proben aus den obersten Milimetern der Meeresoberfläche gesammelt, sowie Flaschenproben aus dem darunterliegenden Wasser entnommen. Die millimeterdünne oberste Schicht des Meeres stellt eine Grenzschicht zwischen Meer und Atmosphäre dar und ist hochangereichert an zahlreichen organischen Verbindungen, die als Aerosole in die Atmosphäre gelangen können.

Die Gruppe der Universität Trier führt Messungen vertikaler und horizontaler Wind-, Turbulenz-, und Aerosolprofile durch. Windprofile sind wichtig, da die Kopplung von Ozean und Meereisoberfläche mit der atmosphärischen Grenzschicht (und der freien Atmosphäre darüber) den windgetriebenen Transport von Meereis in der Arktis bestimmt. Auf dem unteren Peildeck wurde ein Doppler Wind-LIDAR installiert. Dieses sendet ein für das Auge sicheren Laserstrahl aus, der an Aerosolpartikeln und Wolken zurückgestreut wird. Mit Hilfe des Doppler Effekts können vertikale und horizontale Windprofile berechnet werden.

Die Gruppe der Abteilung Integrative Ökophysiologie am AWI ist primär an lebenden Exemplaren des Polardorsches (Boreogadus saida) interessiert, um die physiologische Widerstandsfähigkeit dieser Spezies gegen den Klimawandel zu untersuchen. Diese Untersuchungen werden am AWI in Bremerhaven durchgeführt und beinhalten die Analyse physiologischer Parameter, von der molekularen Ebene bis zum ganzen Tier. Es sollen Prozesse charakterisiert werden, die die Leistungsfähigkeit der Fische unter steigenden Wassertemperaturen und Ozeanversauerung limitieren. Bei der ersten Fischereistation mit dem Grundschleppnetz in ungefähr 200 m Tiefe wurden einige benthische Organismen, jedoch kein Polardorsch, gefangen. Einige kleinere Kraken wurden in die Aquarien im Aquariencontainer gesetzt. Durch die Kraken wurde der Aquariencontainer sofort zu einer neuen Attraktion an Bord, die zahlreiche Kollegen zu regelmäßigen Besuchen veranlasst. Trotz der Abwesenheit des Polardorsches während der ersten Fischereistationen ist die Gruppe der Physiologen guten Mutes, dass in den vielen noch geplanten Fischereihols auf dieser Reise noch genügend Polardorsche zusammenkommen.

In der Nacht vom 28. zum 29. Juni war es wieder Zeit für eine Eisstation. Dank der Mitternachtssonne schwärmten die Wissenschaftler zwischen 22:00 Uhr abends bis 06:00 Uhr morgens auf die Scholle, um Forschung ihre zu betreiben. Das Meereis auf dieser Station war weitaus stabiler als auf der ersten Eisstation. Wieder konnten zahllose Eisbohrkerne, Wasser aus Schmelztümpeln und Schnee gesammelt werden. Das ROV führte mehrere physikalische und biologische Transekte unter dem Eis durch.

Während dieser zweiten Eisstation von PS106/2 nutzte die Besatzung die Zeit, um die Fischereiausrüstung der Polarstern vom Grundschleppnetz auf andere Netze zu tauschen, welche für den Fang von Polardorsch und seiner Beute im tieferen Wasser und direkt unter dem Eis eingesetzt werden. Das „Surface and Unter Ice Trawl“ (SUIT) und das „Rectangular Midwater Trawl“ (RMT) werden verwendet, um die Meereis-Wasser Grenzfläche (SUIT), bzw. die oberen 100 m der Wassersäule zu beproben (RMT). Der Fang wird zur Untersuchung der Artenverteilung im Lebensraum Meereis, der Nahrungsnetzstruktur und der Rolle von Meereis im Lebenszyklus verschiedener Spezies verwendet. Wir gehen davon aus, dass insbesondere das SUIT Polardorsch fangen wird, da die jungen Tiere sich oft an der Unterkante des Meereises aufhalten. Überraschenderweise war jedoch der erste Fisch, der unter dem Meereis gefangen wurde kein Polardorsch, sondern eine andere, nah verwandte Art. Neben Polardorsch interessieren sich die Biologen für die vielen weiteren am und um das Meereis lebenden Spezies, deren Biodiversität und ihre ökologische Bedeutung. Von vielen Arten wurden Proben genommen, um später ausführliche Untersuchungen durchzuführen, z.B. Analysen des Mageninhalts, des Erbguts und verschiedener biochemischer Komponenten.

Dort wo der Barentsseeschelf in das arktische Tiefseebecken abtaucht, treffen Wassermassen vom Schelf auf atlantisches Wasser, welches über die Framstraße herangetragen wird, sowie auf polares Wasser aus der Zentralarktis. Um die komplexe, feinskalige Hydrographie dieser interagierenden Wassermassen zu untersuchen, führte die Gruppe für physikalische Ozeanographie der Universität Göteborg in Zusammenarbeit mit Aquabiota eine hochaufgelöste ozeanographische Studie auf dem Schelfhang durch. Jedoch blockierte Meereis häufig die sorgsam ausgesuchten Messpunkte unserer Schelfhang-Transekte und zwang uns, umzukehren  und erneut die Strecke vom Becken auf den Schelf hinauf abzufahren. Dies machte diese Studie zu einer echten Herausforderung für Besatzung und Wissenschaftler. Nach 30 Stunden harter Arbeit, wurde der Transekt am 1. Juli schließlich erfolgreich abgeschlossen. In der Zwischenheit haben wir unser Messprogramm zu Parametern des Ökosystems und der Atmosphäre fortgesetzt. Am Sonntag, den 2. Juli, wurde eine neue Eisstation begonnen. Heute geht es weiter gen Norden in das arktische Becken, während regelmäßig Beprobungen mit der CTD und verschiedenen Zooplanktonnetzen durchgeführt werden.

Beste Grüße von Wissenschaft und Besatzung,

Hauke Flores, Fahrtleiter

 

Mit Beiträgen von Thomas Ruhtz (Freie Universität Berlin), Ulrich Küster (FU-Berlin), Jonas Witthuhn (Tropos), Martin Radenz (Tropos), Sebastian Zeppenfeld (Tropos), Simonas Kecorius (Tropos), Hannes Schulz (Tropos), Teresa Vogl (Tropos), Andre Wetli (Tropos), Xianda Gong (Tropos), Svenja Kohnemann (Uni Trier), Gerit Birnbaum (AWI), Marcel König (CAU), Peter Gege (DLR), Philipp Richter (Uni Bremen), Christine Weinzierl (Uni Bremen), Nils Koschnik (AWI) und Fokje Schaafsma (WMR)

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