PS115.2 Wochenbericht Nr. 1 | 03.09. – 09.09.18

Von Longyearbyen durch die Nordost-Passage Richtung Sibirische Arktis

[10. September 2018] 

Montag (03.09.18). “Polarstern“ liegt seit Montagmorgen vor Longyearbyen auf Reede und wartet sowohl auf die neue Besatzung als auch auf die neuen Wissenschaftler, die für den kommenden Expeditionsabschnitt eingeschifft werden sollen.

Eine Vorhut von sechs Wissenschaftlern inklusive Fahrtleiter sind bereits heute eingetroffen, der Großteil der Expeditionsteilnehmer wird dann morgen folgen. Da der große Tiefgang der “Polarstern“ ein direktes Festmachen an der Pier nicht erlaubt, ist so eine Einschiffung per Schlauchboot erforderlich (Abbildung 1) – eine schauklige Angelegenheit, wie alle heute bzw. morgen feststellen werden.

Dienstag (04.09.18). Es regnet, zwischendurch ein paar Sonnenstrahlen. Die Hauptgruppe der Expeditionsteilnehmer trifft pünktlich ein, Einschiffen ist um 15.30h am Nachmittag. Alle sind an Bord, und ein Auslaufen ist für Mittwoch in der Frühe geplant. Jedoch macht ein medizinischer Notfall den Besuch im örtlichen Krankenhaus am Mittwochmorgen in Longyearbyen erforderlich, zwingt uns, das Auslaufen um ein paar Stunden zu verschieben. Dies ist auf der einen Seite bedauerlich, zeigt aber allen auch, dass die Gesundheit und Sicherheit des Einzelnen hier an oberster Stelle steht – eigentlich auch ein beruhigendes Gefühl für jeden Einzelnen von uns! Gegen Mittag kommen unser Doc Nobert Jaeger und die Patientin mit erfreulichen Nachrichten zurück – alles im „Grünen Bereich“. Es kann also losgehen! Wir sind vollzählig - 44 Besatzungsmitglieder sowie 49 Wissenschaftler, Hubschrauberpiloten und Techniker! Um 16:00h heißt es so „Anker hoch“. Mit dem Lotsen an Bord gleiten wir in langsamer Fahrt an einer beindruckenden Fjordlandschaft vorbei. Ruhige See, schneebedeckte Berghänge, kleinere, heute zurückgezogene Gletscher in den tief eingefrästen Tälern als Zeugen der letzten Eiszeit! Obwohl in den letzten beiden Stunden Nieselregen die wenigen Sonnenstrahlen der Mittagsstunden mittlerweile verdrängt hat, ist das Peildeck so doch recht voll mit neugierigen Wissenschaftlern, von denen viele zum ersten Mal an einer Expedition in die Arktis teilnehmen. Fünf Tage Transitfahrt, größtenteils durch die Nordost-Passage und somit innerhalb der Russischen Wirtschaftszone (“EEZ“), bis zum Erreichen unseres Forschungsgebiets steht uns bevor. Aber auch ohne Forschungsaktivitäten wird sicherlich keine Langeweile aufkommen!

Donnerstag und Freitag (06./07.09.18). Es herrscht so reges Treiben in den Labors. Kisten werden geschleppt, Geräte ausgepackt und aufgebaut, Software installiert, erste Gerätetests laufen. Diese Arbeiten begleiten uns die beiden Tage und auch darauf, unterbrochen von mehreren Meetings in großer und kleiner Runde. Am Mittwoch endlich eine Abwechslung. Für die Kalibrierung des schiffseigenen Magnetometers müssen zwei Kreise in Anordnung einer „8“ gefahren werden. Unser Kurs geht strikt nach Osten, wir fahren entlang des Kontinentalrandes Richtung Sibirische Arktis, durchqueren so mehrere Zeitzonen. Ein Umstellen der Uhren ist erforderlich, um dem Tageslicht zu folgen. Heute Nacht fangen wir damit an und es wird uns eine Stunde „genommen“.

Samstag/Sonntag (08./09.09.18). Auch das Wochenende bleibt frei, zumindest was die Forschung betrifft. Frühaufsteher oder Nachtschwärmer bekommen Samstag gegen 04:00 die ersten vereinzelten Eisschollen zu sehen, am späten Vormittag driften und schrammen erste größere Eisschollen an der “Polarstern“ vorbei bzw. entlang. Zwischen 12:30 und 14:00 große Aufregung bei vielen, insbesondere den „Arktis-Neulingen“, als die Stimme von unserem Nautiker, Lutz Peine, erklingt: „Eisbär an Backbord-Seite“!! In dieser kurzen Zeitspanne sind kurz hintereinander 4x Eisbären auf vorbeidriftenden Eisschollen gesichtet worden – mal liegend (schlafend?), mal laufend (Abbildung 2), mal auf Lauerstellung hinter einem Eisrücken bei der Beobachtung von drei Walrossen – bahnt sich hier ein Festmahl bzw. eine Tragödie an? Den Ausgang dieser Gegenüberstellung werden wir nicht erfahren, da wir Eisschollen und Mitfahrer schnell aus unseren Augen wieder verlieren.

Auch am Sonntagmorgen bleibt es winterlich, “Leise rieselt der Schnee, ….“!! Zeitweise dicke Schneeflocken haben das Schiff mit einer weißen Decke überzogen. Mittags gibt es Gänsekeule, Rotkohl, Klöße und Eis als Nachtisch (lecker und Dank an die Kombüse!) – eigentlich, was Umgebung draußen und Essen drinnen angeht, recht “weihnachtlich“. Den stimmungsvollen Höhepunkt bildet dann ein Gebiet von dichterem Packeis, das wir bei Sonnenuntergang durchfahren, ein Spektakel, das von vielen an Oberdeck bewundert wird (Abbildung 3).

Dieser Wochenbericht ist recht „winterlich und forschungsfrei“ geblieben. Der Transit durch die Russische EEZ hat ja bisher keine Forschung erlaubt, hat uns aber dafür ermöglicht, dass wir schnell und kostengünstig in unser Forschungsgebiet kommen. Dies wird sich am Ende sicherlich auszahlen – da sind wir uns hier sicher. So sind wir alle wohlgelaunt, insbesondere bei dem Gedanken, dass das Ende dieser forschungsfreien Zeit zum Greifen nahe ist. In wenigen Stunden, kurz nach Mitternacht, werden wir die Russische EEZ verlassen, und unsere Forschungsaktivitäten können mit ersten Arbeiten im “Gakkel Deep“, einem über 5000 m tiefen Becken im zentralen Teil des Gakkel-Rückens, endlich starten. Was wird in den nächsten Wochen in unserem Hauptarbeitsgebiet, dem Lomonosov-Rücken (Abbildung 4), auf uns zukommen? Wie werden sich die Eisbedingungen in den nächsten Wochen entwickeln? Werden wir unsere z.T. sehr unterschiedlichen und hoch gesteckten Expeditionsziele erreichen? Zu diesen Expeditionszielen und den ersten Aktivitäten und Erfolgen dann im nächsten Wochenbericht sicherlich mehr.

 

In diesem Sinne!

Herzliche Grüße, im Namen aller,

Ruediger Stein

09.09.2018

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